Ein Hauch von Nichts. Nichts anzuziehen. In zwei großen Schränken. Und auf dem Korbstuhl zwischen den Schränken. Auf Bügeln an allen Schranktüren. An der kleinen Hängegarderobe hinter der Zimmertür und der auf der Seite vom Wäscheschrank. An der Flurgarderobe neben der Wohnungstür, die so voll ist, dass sich die Tür nur zur Hälfte öffnen lässt.
Meine ganze Bude ist voll mit Klamotten und ich habe nichts anzuziehen. In diversen Formen, Farben und Größen. Für alle Gelegenheiten und leicht zu kombinieren. Nur für die Opernpremiere heute ist nichts dabei und wo, zum Geier, ist das schwarze T-Shirt, das die richtige Länge für diese Hose, naja, eigentlich für jede Hose hat?
Ich habe mindestens hundert schwarze T-Shirts. Klitzekleine und riesengroße. Tief ausgeschnittene, dezente, rollkragige, gewickelte und völlig normale T-Shirts. Eng anliegende, locker fallende und die Figur umspielende. Und keins von diesen hundert T-Shirts hat die richtige Länge für diese Hose. Beziehungsweise für irgendeine Hose. Vierzig schlabbern bis weit über den Hintern, vierzig enden weit über dem Bund und zwanzig können sich nicht entscheiden und sind auf einer Seite zu lang und auf der anderen zu kurz. Und das geht überhaupt nicht mit einer Hose, die nicht richtig passt. Beziehungsweise irgendeiner Hose.
Eigentlich würde ich ja viel lieber einen Rock anziehen. Früher habe ich oft Röcke getragen, das war voll mein Ding. Lange Röcke, kurze Röcke, enge Röcke, weite Röcke. Sie hängen alle noch im Schrank und keiner passt. Viel schlimmer: Ich müsste darunter eine Strumpfhose tragen. Erstens weil meine Beine im Rock ohne Strumpfhose viel zu schwabbelig sind und zweitens weil es draußen arschkalt ist und meine schwabbeligen Beine mit Gänsehaut so aussehen, dass Sie mich sofort im Tierheim abgeben wollen würden. Strumpfhosen gehen aber gar nicht. Sie schneiden am Bund ein, sind zu eng, zu kurz, schmeißen Falten am Knöchel (die noch schlimmer sind als meine schwabbeligen Knöchel), bekommen bei der ersten falschen Bewegung Laufmaschen und rutschen. Erst rutschen sie langsam von der Taille in Richtung Hüfte, dann, am dicksten Punkt (der Hüfte), wenn das Material aufs Äußerste gespannt ist, beginnen sie plötzlich, sich aufzurollen. Nach unten, was zur Folge hat, dass meine Hüfte oberhalb der abgerollten Strumpfhose wie ein sich öffnender Airbag unter Rock unter Oberteil nach oben springt. Das wiederum hat zur Folge, dass ich hektisch zum Klo renne und da die nächsten achteinhalb Minuten beschäftigt bin. Durchschnittlich alle halbe Stunde. Ein zusätzliches Höschen über der Strumpfhose – das wird in solchen Situationen ja gerne empfohlen – verhindert vielleicht (vielleicht!) das Rutschen, bringt aber einen weiteren einschneidenden Bund in meine Taillengegend und sorgt spätestens nach zwei Stunden dafür, dass ich mich sehr unwohl fühle und nach Hause will.
Also: Keine Strumpfhose. Infolgedessen auch kein Rock. Eine Hose muss es sein. Da die Temperaturen draußen um den Gefrierpunkt schwanken, kann ich zur Hose wenigstens vernünftige, flache Schuhe tragen. Mit warmen Socken drin. Die natürlich im Schuh nach unten rutschen und sich unterm Spann knäueln, sobald ich ein paar Schritte gehe. Die Hose muss also lang genug sein, so dass kein schwabbeliger Hautstreifen zwischen Hose und Schuh sichtbar wird. Weder in Bewegung noch im Sitzen. Zum Glück besitze ich einige Hosen in Überlänge, sie sind nicht leicht zu bekommen und ich hüte sie wie meinen Augapfel. Normalerweise. Im Moment weiß ich allerdings nicht genau, wo sie sind. Bis auf die eine, die ich gestern anhatte. Und vorgestern und vorvorgestern. Die hängt jetzt frischgewaschen auf der Wäscheleine und wird bis heute Abend nicht trocken sein.
Gut. Dann muss es eben die enganliegende schwarze Hose mit dem „Komfortbund“ sein. Die ist unten am Knöchel so eng, dass sie nicht hochrutschen kann, deswegen wirkt sie länger, als sie eigentlich ist. Sie braucht aber ein weitgeschnittenes Oberteil, das auch nicht ganz kurz sein darf, weil der überambitionierte Designer der ansonsten ziemlich anständigen Hose an den Seiten zwei Reißverschlüsse angebracht hat, die ins Nichts führen. Taschen hat die Hose nicht, sie trügen auch sicher bei dem dünnen, glatten Material zu sehr auf. Aber eben Fake-Taschen mit Nicht-Fake-Reißverschlüssen, die zwar keinen tieferen Sinn haben, aber natürlich auch auftragen, so dass sie nach Möglichkeit vom Oberteil verdeckt werden sollten. Und mit dem überambitionierten Designer würde ich bei Gelegenheit gerne einmal kurz ein paar Worte wechseln.
Da die Hose unten am Bein sehr eng anliegt, werden meine Schuhe sichtbar sein. Ich sollte sie also wohl besser putzen. Denke ich jedes Mal, wenn ich die Hose anziehe, aber es ist noch nie passiert. Ich glaube, mir ist vor ein paar Jahren die Schuhcreme ausgegangen. Oder sie ist irgendwo in meiner Küche verschwunden. Wer weiß das schon?
Es fehlt also noch das Oberteil zur Hose. Lang genug, um die Peinlichkeiten in der Körpermitte zu überdecken, aber nicht zu lang und nicht zu raumgreifend. In Opernpremieren ist es eng und ich will auch nicht aussehen wie eine Babuschka, die verschiedene Looks übereinander trägt. Ein kurzes Kleid im Hängerstil, also A-förmig geschnitten, das wäre es. Ich besitze drölfzig Hängekleidchen – leider hat keines davon lange Ärmel. Also müsste wieder ein T-Shirt drunter oder ein Bolero-Jäckchen drüber. Moment, hatte ich nicht mal ein schwarzweißes Kleid mit Ärmeln? Wo ist das denn hingeraten? Ach richtig, zu dem Kleid habe ich keine Handtasche, die klein genug für die Oper ist. Warum fällt mir das immer erst ein, wenn es zu spät ist?
Ich schaue noch einmal in meinen Schrank, was da so an der Stange baumelt. Vielleicht hängt da ja genau das Teil, das ich mir gerade vorstelle, und ich habe nur vergessen, dass es das schon gibt?
An der Stange baumelt so einiges. Darunter leider wirklich nichts, was mir heute (oder irgendwann) mal weiterhelfen würde. Diverse Sommerkleidchen aus schlankeren Zeiten. Fast ebenso viele Zweimannzeltkleider aus fetteren Zeiten. Ein paar Teile aus Zeiten, in denen die Fashion Police offenbar noch nicht erfunden war – ich hoffe, es gibt keine Fotos von mir in diesen Klamotten! Ein schwarzer Indoor-Mantel, der zu allem passt und zu nichts wirklich gut aussieht. Ein schwarzes Kleid komplett aus durchsichtiger schwarzer Spitze, das ich offensichtlich mal für eine Fetischparty kaufte und dann doch nie trug, weil es mir viel zu spießig vorkam. Ob ich damit in die Oper könnte, wenn ich ein passendes Unterkleid finden würde? Ach nein, dann kämen wir wieder zum Strumpfhosenproblem und außerdem will ich ja, solange meine Haare in den Längen noch gefärbt und in den Ansätzen grau sind, keine so auffälligen Looks mehr präsentieren.
Was ist das? Hey, wieso hatte ich das denn vergessen? Ein langärmeliges schwarzes Kleid mit grauen Einsprengseln und harmlosem Ausschnitt, bequem aber nicht zeltartig geschnitten, leichte A-Linie, geht sowohl mit Strumpfhosen als auch über einer richtigen Hose! Warum habe ich das eigentlich so lange nicht mehr angehabt? Ach ja, das Kleid hatte ich bei der Beerdigung meines Vaters an und danach schien es mir nie wieder für irgendeinen Anlass passend. Aber die Beerdigung liegt ja nun auch schon über ein Jahr zurück und irgendwie wäre es schade, das Kleid nie mehr zu tragen.
Ich hänge das Kleid mal außen an den Schrank, damit ich es nicht wieder vergesse. Ansonsten ist hier weit und breit nichts zu sehen, was mir heute weiterhelfen würde. Vielleicht sollte ich diesen ganzen Kleiderschrank einfach wegschmeißen? Mit allem, was drin ist?
Habe ich denn noch einen Schal, der zu einem schwarzgrauen Kleid passt und nicht aussieht, als hätten Katzen oder Motten damit ein Nest gebaut? Oh Gott. Möglicherweise scheitert der Look auch daran, dass mein schwarzgrauer Wollschal ein Loch hat und der graue Baumwollschal Fäden zieht! Geht Dunkelrot auch? Eigentlich geht Dunkelrot doch immer – und es stellt eine Verbindung zu Brille und Handtasche her.
Hey, ich habe einen Plan. Anprobieren werde ich das Kleid, damit mir die Tatsache, dass ich eine Opernpremiere besuchen muss, nicht den ganzen Tag verdirbt, erst etwa zwanzig Minuten, bevor wir nachher aus dem Haus müssen. Wenn es dann nicht passt oder nicht aussieht oder sich nicht kombinieren lässt, dann ziehe ich halt das Fetischkleid ohne Unterkleid an, dafür aber mit Katzenmaske vor dem Gesicht. Oder das gerade geschnittene schwarze Tülldingsi, das man einfach über das T-Shirt stülpt und das alles irgendwie aufwertet. Ja, genau das, das ich bei der letzten Premiere auch getragen habe. Und bei der vorletzten. Ein Hauch von Nichts. Nichts anzuziehen.
Herzhaft gelacht. Irgendwie kenne ich das….
Orrr, Strumpfhosen sind die Hölle, die habe ich schon als Kind gehasst, wenn ich die Beinteile nicht ohne Verdrehen
..sorry, auf den Tablet auf den Sendeknopf gekommen, mal wieder m). Also, Strumpfhosen doof sage ich heute noch, weil man mit nicht-standardisierter Körperform nichts passendes findet. Dass ich jetzt wegen Lipödem Kompression vom Fuß bis Taille tragen muss, ist angesichts meiner Strumpfhosenabneigung ein Witz, aber wenigstens wird medizinische Kompression auf Maß hergestellt. Daher Frage: falls Beine manchmal schwer sind (?), mal beim Venenarzt vllt Kompression (die gerade in den weniger starken Stärken ganz schick wirkt…) anfragen? Oder: sogenannte Kompressionsleggins, die es z.B. bei Rossmann gibt, passen sich gut an und sind ziemlich bequem (trotz des Namens) und wirken, kombiniert mit schwarzen Strümpfen darunter, wie eine blickdichte Strumpfhose… Vielleicht eine Option?