So. Meine Woche war so chaotisch und unzusammenhängend, dass mir trotz angestrengten Nachdenkens kein Thema einfallen will, über das ich gerne bloggen möchte und gleichzeitig auch dürfte, ohne Gefahr zu laufen, deswegen verhaftet zu werden oder Sie zu Tode zu langweilen.
Aus diesem Grunde habe ich mir überlegt, mir auch einmal mir von außen verschiedene und nicht miteinander in Verbindung stehende Stichworte nennen zu lassen, zu denen ich dann einen halbwegs zusammenhängenden Text schreibe. Erfunden habe ich das nicht; andere und bessere Schreiber haben sich so schon zum Schreiben anregen lassen.
Ein kleines Problem hätte es natürlich sein können, dass ich gestern alleine im Büro war und mir niemand etwas zurufen wollte. Aber, einmal entschlossen und nicht mehr aufzuhalten, nahm ich dann einfach ein Buch zur Hand mit der Absicht, es auf irgendeiner Seite aufzuschlagen und mit dem Zeigefinger auf fünf Wörter zu tippen. Natürlich gibt es in meinem Büro ein Buch. Einen Opernführer. Nun ja. Immerhin schränkt das die Wahrscheinlichkeit ein, „rein zufällig“ auf die Wörter „Katze“ oder „Giraffe“ zu tippen (wobei es durchaus Opern mit Katzen gibt).
Gesagt, getan. Ich schlug auf, schloss die Augen, tippte, öffnete die Augen, schaute ungläubig, blätterte erneut, tippte, seufzte, rutschte mit dem Finger einige Zentimeter nach links, überlegte, blätterte, tippte, suchte ein anderes Buch (einen anderen Opernführer), schaute, blätterte, tippte… und dann war auch schon wieder Montag.
Glauben Sie mir: Es war nicht einfach, aber zu guter Letzt gelang es mir, dem Opernführer fünf zufällige Wörter abzuringen, und zwar:
- Bestreben
- Fenster
- hiesigen
- Schlüsselloch
- Folgeschäden
Ha, dachte ich, damit kann man doch arbeiten. Schnell noch zwei oder drei handelnde Personen dazu und schon haben wir eine Geschichte, die sich quasi von selbst erzählt. Natürlich könnte man die Personen auch aus dem Opernführer nehmen, aber wozu habe ich Fantasie? Wer braucht einen Opernführer für eine gute Dreiecksgeschichte? Also, außer Opernlibrettisten? Ich denke mir einfach drei dramatische Personen aus:
Eins: Die Heldin. Von der hübschen, aber eher unscheinbaren Sorte, dafür mit einem Herzen aus purem Gold. Tierlieb, kinderfreundlich und brav ihre Steuern bezahlend. Sie hasst ihre langweiligen Haare mindestens ebenso wie ihre sanfte Stimme, die dafür geschaffen ist, am Ende jeder Phrase im Register ein bisschen nach oben zu rutschen, so dass jede noch so festgestellte Feststellung irgendwie nach Frage klingt, so wie: „Die hiesigen Männer lassen mich kalt?“
Zwei: Der Nicht-wirklich-Held. Gut, die Heldin himmelt ihn an, aber erstens ist er schwul und zweitens erinnert die Heldin ihn viel zu sehr an die Erdkundelehrerin, die ihn einst nachsitzen ließ, weil sie vom Fenster des Klassenzimmers aus gesehen hatte, wie er Schlüssellöcher nein das wäre zu offensichtlich einzelne Seiten eines geklauten Playboy an Fünftklässler verkaufte. Er findet seine Haare toll, hätte aber manchmal auch gerne einen etwas festeren Stimmklang. Er wohnte mal neben der Heldin, fühlte sich aber von ihr gestalkt und wechselte deshalb Haarfarbe, Stadt und Auto.
Drei: Ulrich-Maria, der Antiheld. Name von der Redaktion geändert. Er lebt in einer Kleinstadt, deren Koordinaten in diesem Zusammenhang nicht genannt werden möchten. Hat in den Neunziger-Jahren mal kurz im Knast gesessen, es weiß aber niemand genau, warum eigentlich. Seine sexuelle Ausrichtung ist nicht bekannt. Verdächtig macht er sich eigentlich hauptsächlich dadurch, dass er in seinem Bestreben, nicht aufzufallen, regelmäßig in kleine, aber peinliche Unfälle verwickelt wird. Möglicherweise betreibt er einen streng geheimen Twitteraccount. Er hat mit dieser Geschichte nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Kommen wir zur Geschichte.
„Guten Tag, liebe Geschichte, schön Sie zu sehen. Ich habe gehört, Sie möchten sich selbst erzählen? Dann fangen Sie doch bitte gleich ein.“
„Gern“, erwiderte die Geschichte (die ein bisschen aussah wie Hildegard Knef und gerade eine ihrer falschen Wimpern in ihrem angesichts der Faltenlage recht großzügigen Ausschnitt suchte). „Also, das war so: 1918. Sie wissen ja, die Matrosen hatten gemeutert, der Kaiser hatte abgedankt und der November hatte die Revolution ausgeruf…“
„Doch nicht die Geschichte!“
„Pah“, sagte die Geschichte, die ein bisschen aussah wie Hildegard Knef, empört. „Dann eben nicht. Wäre aber wichtig angesichts dessen, was da gerade wieder passiert!“
„Schon, aber diese Geschichte handelt von einer ganz anderen Geschichte. Sie wissen schon, mit der unscheinbaren Heldin auf der Suche nach Liebe und dem Typen, der dauernd seine Haare färbt und die Stadt wechselt.“
„Das bin ich!“ In der Tür stand eine Geschichte (die bei näherer Betrachtung ein bisschen aussah wie Johannes Heesters, aber vielleicht hatte sie auch einfach nur einen weißen Seidenschal um und einen holländischen Akzent). „Ich habe, was Sie suchen. Aber das kostet Sie eine Kleinigkeit. Wissen Sie, ich stand neulich mit meinem Wohnwagen im Halteverbot und bin abgeschleppt worden. In den Autoknast, aber das habe ich gar nicht gemerkt, weil ich ja hinten im Wohnwagen ein kleines Nickerchen machte. Dabei hätten die Polizeibeamten nur durchs Schlüsselloch schauen müssen, um mich zu sehen. Das war vielleicht eine Geschichte!“
„Bestimmt, aber das ist auch nicht die Geschichte, die wir hören wollen!“
„Dann tut es mir leid. Rufen Sie, wenn Sie es sich anders überlegen. Ich mache Ihnen einen Sonderpreis.“
Entschuldigen Sie bitte. Ich weiß, das alles ist schwer auszuhalten. Und dabei fehlt mir ja nur noch ein einziges Wort – das irgendwie schwer unterzubringen ist. Aber diese Geschichten sind schon ganz schön zickig und sehr schwer zu berechnen. Sie machen was sie wollen ohne Rücksicht auf Verluste und eventuelle negative Konsequenzen!
Wo war ich? Ach ja, das Wort, das ich noch unterbringen muss. Hm. Vielleicht muss doch der bisher völlig unbeteiligte Ulrich-Maria noch ran. Der ist zwar extrem unsympathisch und hat so gar kein Charisma, das ihn zur Hauptperson einer Geschichte prädestinierte, aber durch die bereits erwähnten kleinen Unfälle kannte er sich zumindest bestens mit Folgeschäden aus.
Ha.
Haben Sie das gesehen? Leichtfüßig und völlig unangestrengt, oder? Puh. Dann können wir uns ja nun endlich dem Sonntag zuwenden, in den Park gehen, Eis essen oder Wäsche aufhängen. Oder auf dem Sofa sitzen und die noch immer schwangere Giraffe anglotzen. Und endlich die Katzen füttern.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
TL; DR: Ihr Bestreben war es, durch das Schlüsselloch in das Zimmer hinein und dann auf der anderen Seite aus dem Fenster wieder hinaus zu schauen, aber angesichts der eher dilettantischen Leistung der hiesigen Schlüsselloch- und Fensterfabrikanten wäre das ohne ernsthafte Folgeschäden leider nicht möglich gewesen.