Das erste halbe Jahr. Frl. Leonie Mau erzählt.

Stellen Sie sich vor, Frl. Lotte Miez und ich wohnen nun schon ein halbes Jahr hier. Mit hier meine ich in dieser Bude, diesem Twitteraccount und diesem Blog. Auch wenn wir streng genommen keine Keinzahnkatzen sind, sondern noch ziemlich vollständige Zahnreihen vorweisen können.


Am 14. Dezember hat Bettina uns abgeholt und hierher gebracht. Ich kann mich noch gut erinnern, das war ziemlich aufregend. Wir sind lange im Auto gefahren und dann kamen wir in diese Bude, wo es noch nach den legendären Schwestern Olga und Ida roch. Bettina hatte zwar alle Decken und Kissen erneuert und gewaschen und gelüftet, aber wir Katzen haben ja sehr feine Nasen. Und Olga und Ida hatten lange hier gewohnt und ihre Spuren hinterlassen.


Nun wohnen sie auf einer Wolke, sagt Bettina. Sie ist kein Fan des Konzepts Regenbogenbrücke, die für viele Menschen als Sinnbild für das Sterben ihrer geliebten Tiere steht. Das sei ihnen gegönnt, sagt Bettina, aber ihr persönlich gibt der Regenbogen nichts. Tiere sterben, genau wie Menschen. Dann sind sie tot. Sie leben weiter in unseren Herzen und unserer Erinnerung. Und wenn sie darüber hinaus irgendwo sein müssen, dann auf einer Wolke. Olga gemütlich in der Mitte eingekuschelt und Ida auf der Armlehne. Harfe spielen sie nicht, aus Prinzip. Eigentlich brauchen wir das Bild mit der Wolke auch nicht, aber manchmal ist es ganz schön, sich die beiden so vorzustellen. Sagt Bettina.


Bettina ist ganz in Ordnung. Also, für eine Menschin. Sie kann gut kraulen, schimpft selten (naja, gestern, als ich fast vom Balkon geklettert wäre, hat sie ziemlich geschimpft, aber ich glaube, sie meinte damit eher sich selbst) und drängt sich einer friedlich in der Gegend rumliegenden Katze nur selten ungefragt auf.


Dass sie in der letzten Zeit so viel zu Hause war, war damals natürlich nicht so abgemacht. Aber es ging wohl nicht anders, wegen der Seuche. Wir Katzen können uns ja auch mit einem Corona-Virus infizieren und das ist eine fiese Angelegenheit, wenn man Pech hat. Wir haben Bettina also erlaubt, wochenlang zu Hause zu bleiben und dieses Homofiss zu betreiben. Natürlich kommt man dann als Katze nicht wirklich zu all den Dingen, die man eigentlich erledigen wollte, aber andererseits ist es natürlich auch ganz gut, immer einen Ansprechpartner zu haben, falls der kleine Hunger kommt. Und der kommt fast immer. Ich glaube, Lottis Diät ist in den letzten Wochen nicht ganz so streng eingehalten worden wie geplant.


Ich muss ja zum Glück nicht Diät leben, deswegen bekomme ich zwischen den offiziellen Mahlzeiten manchmal heimlich in der Küche noch etwas Trockenfutter. Das mag ich sowieso lieber als das Tütchenzeug. Von dem lecke ich manchmal nur die Soße ab und den Rest überlasse ich Lotti. Sie hat trotzdem schon etwas an Gewicht verloren, seit wir hier eingezogen sind, auch wenn sie noch nicht gerade eine Bikinifigur aufweisen kann. Bettina macht ja auch Diät seit ein paar Wochen und ich glaube, sie und Lotti sprechen sich da gegenseitig Mut zu und unterstützen sich. So eine Art Selbsthilfegruppe.


Stoppi und ich beobachten das mit Wohlwollen… und freuen uns, dass wir nicht mithungern müssen. Stoppi ist sowieso ein dufter Kumpel und ein richtig guter Freund geworden. Mein Typ ist er allerdings nicht, aber das ist auch gut so, denn Lotti ist sehr wohl in ihn verknallt, auch wenn sie das nicht zugeben will. Und Stoppi ist total hingerissen von ihren großen grünen Augen und ihren weiblichen Kurven und so. Zum Glück ist er echt geduldig, denn Lotti ist wirklich sehr schüchtern.


Ich wohne sehr gerne hier. Nach einem halben Jahr riecht es jetzt definitiv mehr nach Lotti und mir als nach Olga und Ida. Und Bettina weint nicht mehr so oft, sondern lacht sogar häufig. Nicht nur, wenn wir alberne Gesichter machen, die sie dann fotografieren und bei Twitter posten kann. Auch sonst. Sie freut sich, dass wir da sind. Punkt. Und wenn ihr doch manchmal plötzlich die Tränen in die Augen schießen, weil sie wegen irgendeiner Kleinigkeit an Olga und Ida denken muss, dann mache ich schnell einen Witz und dann lächelt sie wieder und sagt: ‟Ach, Leo. Ida wäre stolz auf dich.” Und wenn ich dann nach oben schaue, dann sehe ich Ida, die mir von ihrer Wolke aus fröhlich winkt.

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