Die Zeit rast. Wohin?

Wo ist bloß wieder die Zeit geblieben? Gerade war doch noch Spätsommer, dann kurz Oktober – und nun hat der November begonnen? Das ging dieses Jahr aber wirklich verflixt schnell und noch schneller als in den Vorjahren – oder bilde ich mir das etwa ein, dass das Karussell immer schneller fährt? Ja, ich weiß, Alterserscheinung und vollgepacktes Leben und so. Aber trotzdem.

Und außerdem habe ich mein Leben ja durchaus etwas entschleunigt in den letzten Jahren. Der Jobwechsel, die Verkürzung meiner Wochenarbeitszeit, die Anerkennung der Tatsache, dass ich trotz gegenteiliger Behauptungen meiner selbst, meines Umfeldes und der mir bekannten Ärzteschaft nicht mehr kerngesund und grundsätzlich unkaputtbar bin, sondern sterblich und mit Symptomen, die sich nicht nur als unvermeidliche Alterserscheinungen abtun lassen, ausgestattet. Alles nichts wirklich Schlimmes bisher, also: Nichts was unweigerlich zum Tode führt. Aber eben doch so blöde und störende Sachen, bei denen ich davon ausgehe, dass sie chronisch sind und bei mir bleiben bis zum Ende.

Wie zum Beispiel das Lymph- und Lipödem, das mir vor allem die Beine unförmig und die Füße schwer macht. Oder die Arthrose in den Knien und die Platt-, Senk- und Spreizfüße in Kombination mit meinen vor vielen Jahren mal ganz charmant aussehenden X-Beinen. Den Charme haben sie mittlerweile verloren, das X leider nicht. Und natürlich auch die nicht jünger und straffer werdende Blase, die morgens, wenn ich mich im Bett aufsetze und mein dicker Bauch nach unten drückt, mir gelegentlich Ultimaten setzt, so in der Art von: „Ich muss jetzt pinkeln. Und mit jetzt meine ich jetzt. Du hast zehn Sekunden, neun, acht, sieben …“ und so weiter. Und ich springe aus dem Bett, so schnell ich kann, und hechte ins Badezimmer, während die Blase unerbittlich weiterzählt und sich bereit macht, den Badteppich, den Fußboden und den Rest der Welt unter Wasser zu setzen. Okay, das ist ein Bereich, in dem das mit dem Entschleunigen wohl eher kontraproduktiv wäre.

Aber sonst schon. Vor allem die Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 25 Stunden (in zwei Stufen von 36 Stunden). Warum habe ich das nicht schon viel früher gemacht? Natürlich hatte das auch finanzielle Auswirkungen, aber die wurden tatsächlich durch die im Jahr 2023 verhandelten Tariferhöhungen für die Beschäftigten der Länder sehr abgemildert. Und außerdem brauche ich auch nicht mehr ganz so viel Geld wie früher, weil ich ja nicht mehr einkaufen gehe. Weder Lebensmittel noch Klamotten noch Bücher und Musik. Klar, das kann man sich alles liefern lassen. Lebensmittel bringt mir auch regelmäßig ein Picnicman oder Reweman. Klamotten, Bücher und anderes Zeug kaufe ich aber wirklich deutlich weniger und seltener als noch vor zehn Jahren. Ohne etwas zu vermissen – das, was mir wirklich wichtig ist, kann ich mir auch immer noch leisten.

Ansonsten ist es wirklich wunderbar, nicht mehr so viel zu arbeiten. Völlig unabhängig davon, dass ich nach wie vor gern arbeite. Allein dass der Arbeitstag nicht mehr grundsätzlich fast acht Stunden dauert, sondern fünf, sechs oder vier Stunden, ist wunderbar. Dass ich oft erst gegen Mittag zu arbeiten anfange, ist noch wunderbarer. Okay, meine Arbeitswege sind länger als früher, wo ich nur kurz eine Straße mit leichtem Gefälle runtergekullert bin und mich in weniger als einer Viertelstunde an meinem Schreibtisch in der Staatsoper wiederfand, aber auch das ist in Verbindung mit einem kürzeren Arbeitstag gut machbar. In den meisten Wochen dazu noch zwei Tage im Homeoffice. Ich habe wirklich deutlich mehr Zeit als früher für mich. Das wiederum gefällt den Katzen gut. Wir müssen unsere gemeinsame Zeit ja nutzen, vor allem wenn diese weiterhin so rast. Was sie ja voraussichtlich tun wird. Schneller und schneller dreht sich das Karussell und wir drehen uns mit, hin- und hergerissen zwischen Geschwindigkeitsrausch und Brechreiz. Ganz so wie im wirklichen Leben.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert