Zwischen den Jahren.

So. Halbzeit zwischen den Feiertagen. Raunächte. Die Tage, an denen die Grenzen verschwimmen, viele Grenzen, vor allem die zwischen der sichtbaren Welt und dem Unsichtbaren. Das Geisterreich steht offen, die Seelen der Verstorbenen und die Geister haben Ausgang. Zauberkundige Menschen verwandeln sich eventuell in Werwölfe und veranstalten eine Wilde Jagd über Stock und Stein und unter den Wäscheleinen, sofern diese nicht in Sicherheit gebracht wurden. Man sagt, dass die wilden Wesen sich sonst in der Leine und der darauf hängenden Wäsche verfangen und entweder gar nicht erst wieder gehen oder aber im Laufe des Jahres zurückkommen, weil in dem betreffenden Haus gerade ein Leichentuch gebraucht wird und die geklaute Wäsche von Nutzen sein kann.

Jedes Jahr wieder frage ich mich, ob die Bestrafungen für das Wäschewaschen an den Tagen zwischen den Tagen schlimmer sein können als keine frische Unterwäsche mehr zu haben. Jedes Jahr komme ich erneut zu dem Schluss, dass mir die Unterwäsche näher ist als das Leichentuch (oder wie ging das Sprichwort nochmal?) und wasche dann doch. Und hänge die Wäsche auch auf, immerhin ist sie nicht weiß und auch nicht aus Leinen.

Angeblich können in den Raunächten, so um Mitternacht herum, auch die Tiere sprechen. Das finde ich nun nicht soooo besonders. In diesem Haushalt sprechen die Tiere eigentlich den ganzen Tag lang, meistens über die nächste Mahlzeit. Sicherheitshalber höre ich so um Mitternacht aber nicht hin, denn man sagt, wer die Tiere sprechen höre und verstehe, der müsse sterben. Auch der Wilden Jagd gehe ich lieber aus dem Weg, ich glaube, sie hat einfach nicht genug Platz in meinem Wohnzimmer und außerdem bin ich lärmempfindlich.

Entstanden sind die Raunächte, zwölf an der Zahl, weil die Menschheit sich nicht so richtig einigen konnte, ob sie ihren Kalender nach dem Mond oder nach der Sonne ausrichten will. Der Mondkalender ist älter als der Sonnenkalender und ein Mondjahr hat 354 Tage, die in der ursprünglichen freien Mondkalenderfassung nicht durch einen Schaltmonat oder ähnliches an das uns bekannte Sonnenjahr mit 365 Tagen angeglichen wird. Es bleiben elf Tage bzw. 12 Nächte übrig, die zwischen dem 21. Dezember und dem 6. Januar liegen und nicht ins System passen und an denen quasi alles Mögliche passieren kann, wenn mensch sich nicht in Acht nimmt.

Auch das Silvesterfeuerwerk hat mit den Geistern der Raunächte zu tun, genauer gesagt mit ihrer Vergrämung. In Norddeutschland gab es zu Silvester früher auch den schönen Brauch des Rummelpottlaufens, bei dem als marodierende Horde verkleidete Kinder in der Nachbarschaft von Tür zu Tür gingen und sich Süßigkeiten und Kleingeld erbettelten. Mittlerweile ist dieser Brauch wohl zum großen Teil vorverlegt auf Halloween, das nicht in den Raunächten liegt, aber auch mit Geistern zu tun hat. Ich habe ja als Kind in Schleswig-Holstein gewohnt, da sind wir am Silvesterabend wirklich mit Geschepper von Haus zu Haus gezogen und haben sehr sehr lange und sehr sehr langweilige Gedichte aufgesagt, die den Erwachsenen ordentlich auf die Nerven gingen.

Für uns Kinder war das eigentlich ganz lustig und ich finde es schade, dass ausgerechnet dieser Brauch kaum noch zur Ausübung kommt – ganz im Gegensatz zu dem verf***ten Silvesterfeuerwerk, das nach einigen wenigen schwächelnden (Pandemie-)Jahren wieder auf dem Vormarsch zu sein scheint. Dass ein allgemeines Böllerverbot hierzulande nicht durchsetzbar zu sein scheint, kotzt mich möglicherweise noch mehr an als vieles andere. Dass Politiker aller Richtungen und auf allen Ebenen zu schwach und zu feige sind, sich entweder für ein Verbot privater Feuerwerke stark zu machen oder sie, je nach zur Position gehörender Entscheidungsgewalt, einfach zu verbieten, lässt mich ihnen durchaus die Wilde Jagd, sämtliche Kobolde der westlichen Hemisphäre und die ungepflegtesten Werwölfe aller Zeiten an den Hals wünschen – und das nicht nur zwölf Nächte lang, sondern ganzjährig.

Falls also jemand von Ihnen in gutem Kontakt mit der Zwischenwelt stehen sollte und noch Karmapunkte benötigen: Sie kennen Ihre Aufgabe. Falls nicht: Lassen Sie sich durch das blöde Geballer nicht stressen, beschützen Sie Ihre Haustiere und kommen Sie gut ins neue Jahr!

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert