Es war ein schöner Tag, der letzte im August …

Nach zwei Wochen Urlaub und einer Woche Busumleitung bin ich in dieser Woche wieder meine gewohnte Strecke zum Hospiz am Deich gefahren: Vom Kraftwerk Tiefstack aus, wo ich aus dem die ganze Stadt durchquerenden Metrobus 3 in die 122 umsteige, über Moorfleet, Spadenland, Tatenberg, Ochsenwerder, Fünfhausen (das zu Kirchwerder gehört) und Reitbrook nach Allermöhe. Da hält der Bus genau vor dem Hospiz, aber eben nur einmal pro Stunde (und abends irgendwann gar nicht mehr).

Die Fahrt durch die Vier- und Marschlande genieße ich immer, weil es da wirklich viel Natur in Grün und Blau sowie im Sommer auch Bunt und natürlich vor allem Schwarz-Weiß zu sehen gibt. Wobei das jetzt schon wieder auf den Rest geht, weil ein Großteil der Vier- und Marschländer Störche schon auf dem Weg in die südlichen Winterquartiere ist. Die Jungvögel, die neulich noch die ersten Flatterversuche von ihren Horsten aus machen, sind schon vor zwei, drei Wochen gestartet, während die Eltern noch für ein paar Tage die sturm- und jugendfreie Bude genießen und sich noch einmal ordentlich sattessen, bevor sie sich auch auf den Weg ins Warme machen.

In der letzten Woche, also bei meiner ersten Tour nach dem Urlaub, hatte ich schon Angst, die Störche jetzt alle verpasst zu haben. Morgens auf der Hinfahrt gab es keinen einzigen schwarz-weißen Tupfer mit orangem Schnabel in der Landschaft. Mist, dachte ich, und: Ich muss das mit dem Urlaub im August im nächsten Jahr irgendwie anders regeln. Auf der Rückfahrt aber wurde ich für den Morgen entschädigt: Auf einer ganz frisch gemähten Wiese, der Bauer auf dem Traktor war quasi noch zu sehen, hatten sich mindestens zehn Störche versammelt, um sich allerlei Kleintiere, die noch nicht ganz verstanden hatten, dass das schützende hohe Gras jetzt weg war, zu schnappen und direkt zu verzehren. Ohne Umweg zum heimatlichen Horst, wo hungrige Jungstörche warten und alles, alles aufessen, was zwei so gut wie unermüdliche Elternstörche im Laufe des Tages so anschleppen.

Die Störche waren ein Stück von der Straße entfernt und der Bus hielt ihretwegen auch nicht an, sodass ich sie weder zählen noch fotografieren konnte. Vor meinem inneren Auge sah ich sie aber vor mir, wie sie – in jeder Hand einen Frosch – sich so viele Feldmäuse in den Schnabel gestopft haben, dass sie gar nicht mehr kauen können. Dennoch halten sie genießerisch die Augen geschlossen und feiern einfach nur sich und den Moment: Die diesjährige Brut ist gut geraten und nun ist sie weg. Hundert Prozent der Tagesbeute können einfach direkt verzehrt werden.

Der Gedanke an eine große Storchenvöllerei auf der grünen Wiese gefiel mir außerordentlich gut. Sie haben sich das Fressgelage verdient, ganz klar, und wenn sie am nächsten Tag aufgrund einiger Pfunde Übergewicht, das erst wieder abgebaut werden muss, nicht fliegen können – wen juckt es? Dann gammelt man eben noch ein paar Tage im Nest rum und verdaut, bevor man sich dann selbst auf den Weg in den Süden macht. Und wenn man den Hintern heute Abend nicht mehr hochkriegt, dann übernachtet man eben auf einem der Bäume am Rande der Wiese. Zu Hause wartet ja keiner.

Und dann dachte ich: Wo kommen diese Störche eigentlich aller her? Die wohnen doch, immer zu zweit, in verschiedenen Ortschaften in der Umgebung, aber nicht unbedingt in Sicht- oder Klapperweite voneinander: in Ochsenwerder, in Reitbrook, auf jeden Fall in Fünfhausen und wer weiß, wo sonst noch. Woher wissen die alle gleichzeitig, dass hier die Wiese gemäht wird und es reichlich Futter gibt? Gibt es einen Alarmstorch, der alle Horste der Gegend abfliegt und Flugblätter verteilt? Sind die Störche in einer Whatsapp-Gruppe oder bei Facebook organisiert (und haben sie auch, so wie Katzen, eine Bauchtasche, in der sie ihr – im Flugmodus bestimmt superleichtes – Endgerät verwahren?)? Oder orten sie sich ganz bequem gegenseitig über die Website des NABU, der ja einige der Hamburger Störche mit GPS-Sendern ausgestattet hat und die Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt?

Bin ich mit solchen Fragen wieder mal alleine oder gibt es noch andere Menschen, die sich darüber Gedanken machen?

Diese Woche, am Donnerstag, habe ich noch jeweils zwei einzelne Störche an unterschiedlichen Orten gesehen, mehr nicht. Nach wie vor herrscht wohl unter Storchens die Meinung, dass es in Hamburg im Herbst und Winter zu nass und zu kalt wird, um ein Überwintern vor Ort in Erwägung zu ziehen (an anderen Orten in Deutschland gibt es ja Störche, die gar nicht mehr in den Süden fliegen, sondern einfach warme Socken anziehen und ganzjährig hierbleiben). Dafür wohnen in den Vier- und Marschlanden aber inzwischen auch Reiher, und die fliegen offenbar nicht mehr nach Afrika, sondern freuen sich über die wärmer und wärmer werdenden Winter auch in Norddeutschland.

Wenn die Störche dann weg sind für dieses Jahr, bin ich immer ein bisschen melancholisch. Auch die Sommerblumen und -sträucher sind nun langsam durch, der Hibiskus verblüht, die Brombeeren sind abgeerntet – und bis die Herbstfarben und die Kürbisdekorationen vor Häusern und in Gärten dominieren, dauert es noch ein bisschen. Den blauen Hibiskus mag ich immer besonders gerne und da gibt es auf meiner Strecke ein paar tolle große Sträucher. Wenn er dann nach und nach seine Blüten verliert, dann spüre ich plötzlich, dass der Sommer zu Ende geht.

Zum Glück rast ja, wenn man erst einmal so ein hohes Alter erreicht hat wie ich, die Zeit wie bekloppt und der nächste Sommer kommt bestimmt und schneller als gedacht. Und mit ihm der Hibiskus und die Störche. Die Zeit bis dahin teile ich immer in drei Abschnitte ein: Kürbis-Deko, Weihnachtsbeleuchtung und die ekelhafte Durststrecke am Anfang jeden Jahres, wenn alles grau, kalt und klamm ist. Wochenlang. Aber auch das geht vorbei, ganz bestimmt, und dann kommen die Störche zurück und alles geht wieder von vorne los. Es gibt nicht viele Gewissheiten im Leben, aber auf die Störche und die Hibiskus-Sträucher und die Brombeeren ist Verlass, trotz des Klimawandels und der Eingriffe des Menschen in die Natur zu Ungunsten der Natur. Zumindest bisher noch, zum Glück. Und wenn ich vielleicht doch noch rausfinde, wie die Störche das mit dem Weitergeben der Infos zur frischgemähten Wiese machen, dann bin ich nicht nur im Großen und Ganzen zufrieden mit den Dingen, sondern regelrecht begeistert.

Es war ein schöner Tag, der letzte im August. Biubiubiu. Die Sonne brannte so, als hätte sie’s gewusst. Biubiubiu. – Entschuldigung.

2 Kommentare

  1. Was für ein schöner Text! Und das mit dem Strukturieren hilft wirklich. Hier im Rheinland gibt es durch den Karneval noch eine kleine Unterbrechung während der grauen Zeit. Auch ohne selbst zu feiern – die Farbtupfer der verkleideten Menschen und natürlich die arbeitsfreien Tage tun schon gut.

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