Vorsätze für das neue Jahr? Hm, da bin ich wohl irgendwie umhingekommen. Zu viel zu tun mit um 21.30 Uhr ins Bett gehen und so. Wie meine Mutter. Während die damit kokettierte („Und was machst du Silvester?“ „Ach, ich leg mich früh hin.“), war das bei mir gar nicht geplant. Ich wollte eigentlich meinen Katzen Trost bieten, falls trotz des Verbotes laut geböllert wird.
Ich glaube, ich brauch auch keine Vorsätze für das neue Jahr. Es scheint schon viel zu sein, wenn ich den Status Quo erhalten möchte.
Was ich damit meine? Naja.
Ich bin gesundheitlich etwas angeschlagen dieser Tage. Physisch wie psychisch. Körperlich muckt eins meiner Knie seit einiger Zeit rum und ich kann nicht mehr joggen. Das liegt an einem Meniskusanriss und an Arthrose. Da ich mir einen großen Teil meiner Fitness, mental wie körperlich, über das Laufen geholt habe, war ich erstmal echt geknickt. Aber das Knie tut richtig, richtig weh, wenn ich es falsch belaste – und das auch tagelang. Und nun? Nun ist diese Stütze weggefallen. Und das auch dauerhaft. Das heißt, es wird auch nichts mehr mit dem Laufen.
Bei so einer Veränderung im Leben bin ich meist erstmal super hilflos. Schildkröte auf dem Rücken und so.
Nach und nach formierten sich aber Gedanken wie: „Du hast letztes Jahr 15 kg abgenommen. Wenn du die nicht wieder haben möchtest, solltest du weiterhin nicht mehr so viel essen und … auch weiter Sport machen.“
Ach. Na gut. Ich habe ein Indoor-Rudergerät – und wenn es geht, darf ich rudern, sagt der Orthopäde. Also rudern mit gestreckten (nicht ganz gestreckten) Beinen.
Und ich darf Fahrradfahren. Also ab in die Wümmewiesen mit dem Rad. Ein Ergometer ist in Planung – dann kann ich fernsehen und Chips essen, während ich radele. Das Knie ist immer noch doof, aber das Loch, in das ich gefallen bin, ist nicht mehr so tief.
Ich habe davon gehört, dass eine alleinige Strategie zum Ausgleichen, Wohlfühlen etc. in Therapeutenkreisen eine „gefährliche Strategie“ genannt wird, und ich kann nun nachvollziehen, wieso.
Somit fielen die guten Vorsätze zu „Sport machen“ irgendwie weg.
Was mir Silvester tatsächlich gefehlt hat, waren alkoholische Getränke. Allein zu Hause, viele andere feiern, da hätte ich mir gern einen gezwitschert. Ging aber auch nicht, weil ich letztes Jahr aufgehört habe mit dem Trinken. Verdammt. Und wieder ein Vorsatz weniger.
Ich musste mir letztes Jahr eingestehen, dass ich wohl nicht mehr so arbeitsfähig bin, wie ich es gern wäre.
Ich bin jetzt fast 60 und habe mein Leben lang gearbeitet. Wie bei vielen Männern üblich, habe ich mich zu einem großen Teil über meine Arbeit definiert. Ich habe studiert, bin Taxi gefahren, hatte mein eigenes Taxiunternehmen, war Disponent im Kuriergeschäft, danach im Overnightgeschäft.
Dann wurde ich ziemlich krank – ich litt an Depressionen. Da die wiederkommen („rezidivierend“), leide ich immer noch dran.
Das Arbeiten in Hamburg für einen Ü-50jährigen Mann wurde damit nicht leichter – ich nahm alles an Stellen an, was ich bekommen konnte. Müllarbeiter und Mädchen für alles im Krankenhaus Ochsenzoll (bei einer Unterfirma der eigentlichen Krankenhausgesellschaft, wie es heute üblich ist: kann ich nicht empfehlen), Druckereihelfer bei einer Erdölgesellschaft (Mindestlohn – geilomat!); Hauptsache nicht arbeitslos.
Dann hörte ich von einer Weiterbildung zum Genesungsbegleiter, das sind Menschen mit einer psychischen Erkrankung, die in der Psychiatrie arbeiten (den Patientenblickwinkel einbringen und damit Geld verdienen, damit sie möglichst selbständig leben können). Ehemalige Patienten, quasi. Au ja. Ich machte (und bezahlte) diese Ausbildung in Bremen.
Und dort fand ich auch meine erste halbe Stelle in dem Bereich. In einem Krankenhaus. Das war cool und aufregend und ich arbeitete mit einem Kollegen zusammen. Leider wohnte ich noch in Hamburg und das Pendeln war bald zu teuer. Es folgte ein Job in Norderstedt bei einem großen Hamburger Träger. Ambulant diesmal und für 30 Stunden. Und darauf folgte ein Angebot in Bremen bei einer privaten Krankenhausgesellschaft. In Vollzeit. Und Vollzeit blieb es dann auch für jetzt schon 4 Jahre.
Und nun, nach 5 Jahren in der Psychiatrie, merke ich, dass es für mich immer anstrengender wird.
Ich fehle mittlerweile öfter. Immer mal 1 – 2 Tage. Bin auf der Arbeit schnell in einer Überforderung. Denke nachts über Situationen dort nach, kann schlecht abschalten.
Zuerst dachte ich mal dran, meinen Grad der Behinderung (GdB) anpassen zu lassen, damit ich nicht so schnell gefeuert werden kann. Über ein Gleichstellungsverfahren hat das geklappt, zugleich lasse ich den GdB neu feststellen. Das könnte zwar auch nach hinten losgehen, aber ich bin ganz guter Dinge.
Bei meinem Vollzeitjob hilft mir das aber nicht. Selbst wenn der GdB auf über 50% festgesetzt wird, bekäme ich nur 5 Tage Urlaub mehr. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir das hilft.
Einfach so mit den Stunden runter ist auch nicht so leicht. Genesungsbegleiter werden nur im unteren Segment der Lohnskala bezahlt und das Leben, wie Sie wissen, ist teuer.
Also habe ich mit meinem Psychiater besprochen, wie das gehen könnte. Die Lösung könnte eine Teilerwerbsminderungsrente sein – das Wort ist ebenso schön wie der Weg dorthin. Die Rentenkasse scheint dieser Tage erstmal gewohnheitsmäßig abzulehnen, also Widerspruch. Es kann sich hinziehen.
Trotzdem werde ich den Antrag stellen.
Und mir damit eingestehen, dass ich nicht mehr so kann wie früher. Dass ich älter geworden bin. Dass die Krankheit seit 10 Jahren an mir nagt und ich nicht mehr so kann, wie ich es gerne hätte.
Trotzdem werde ich weitermachen, so gut es eben geht. Und das, liebe Freunde, ist zwar kein Vorsatz für das neue Jahr… Aber es ist ein Ziel: Ich möchte mich nicht unterkriegen lassen.
Es klingt auf jeden Fall nach einem hoffnungsvollen Ziel.
Von Herzen alles Gute für Sie.
Alle Pfoten und Daumen sind gedrückt.
Allein die Entscheidung, diesen Weg zu gehen, hat bei mir im Oktober 2020 zu einer großen Erleichterung geführt. Nachdem ich Juni zuvor körperlich so stark gebeutelt war, von einem 12-Stunden-Job auf 0 runterfahren, war meine Welt aus den Fugen. Ich hatte doch immer funktioniert, jetzt nicht mehr. Allein einen Antrag auf Schwerbehinderung zu stellen, fiel mir schwer. Im Oktober hatte ich dann Schwerbehindertenrente beantragt, da ich – etwas älter als Du – damit abschlagsfrei 2 Jahre früher gehen konnte. Der Tag der Benachrichtigung der Rentenversicherung vergesse ich nie.
Dir wünsche ich, dass Du diese Erleichterung auch bald spüren kannst. Wir sind keine Maschinen und können nicht immer funktionieren. Alles Gute. Und Mepp.
Danke für diese wahrhaftig und klaren Sätze. „Dem Gehenden legt sich der Weg unter die Füße“, heisst es – und so sei es. Bestes für 2022!