Ist bald Abendessen?

Samstag, später Nachmittag. Wir liegen so rum und machen auf Wochenende. Sehr erholsam. Endlich mal in Ruhe lesen. Ja, ich sollte noch das Badezimmer putzen und mich um die Steuererklärung meiner Mutter kümmern, aber… ich habe keine Lust. Ich möchte lieber so rumliegen, auf dem Smartphone rumdaddeln und ein Buch lesen. Abwechselnd oder auch gleichzeitig. Und natürlich Kekse essen. So entspannend … Oh verdammt! Es ist Samstag und ich muss auch noch einen Blogpost schreiben. Worüber nur? Vorhin hatte ich noch eine fast zündende Idee, aber dann kam das Buch dazwischen und nun fehlt mir wieder jeder Plan. Aber es hilft ja nix. Also los, Laptop aufklappen, Textverarbeitung starten und los ge…

„Miau!“

Vor mir steht Frl. Leonie Mau und starrt mich mit großen Augen an.

„Was hast du gesagt?“, frage ich.

Leo öffnet ihre Augen noch etwas weiter, so ungefähr auf Teetassendurchmesser, starrt noch durchdringender und sagt leise, aber etwas bedrohlich: „Miauuuuuuu.“

Ich sehe auf die Uhr. Siebzehn Uhr neun.

„Leo. Es ist erst kurz nach fünf. Es gibt noch kein Essen.“

„MIAU.“

„Hast du gerade die Stimme gegen mich erhoben?“

„Miiiiaududelmaukoloraturpiepsmauz!“

Jetzt kommt auch noch Herr Frittelbertus Fritter-Frittrichsen um die Ecke und hebt zu einer längeren Opernarie an: „Miauuiiiauuupiepszwitschermiauträllersingsangsungmiau!“

Selbst Leo schaut konsterniert und wirft ihrem felinen Mitbewohner einen Nicht-dein-Ernst-oder-Blick zu, den dieser, noch immer in atemberaubenden Koloraturen gefangen, völlig unbeeindruckt wegsteckt.

Ich schaue noch einmal auf die Uhr. Siebzehn Uhr zehn.

„Es gibt noch kein Essen. Legt euch wieder hin.“

Leo baut sich direkt vor mir auf, ihre Augen sind mittlerweile so groß wie Mühlräder. Sie sagt nur ein einziges Wort – „Miau.“ – und es ist vollkommen klar, dass sie nicht scherzt, sondern das alles verdammt ernst meint.

„Leute“, versuche ich es noch einmal im Guten, „es ist Wochenende, wir haben spät gefrühstückt und ihr wisst, dass es frühestens um sechs Abendessen gibt.“

Fritte holt tief Luft und schaltet einen Gang höher: Das, was er da trillernd und trällernd von sich gibt, klingt ganz klar nach Wahnsinnsarie.

Leo legt jetzt auch noch den Kopf schief und starrt mich mit einem sehr intensiven Blick aus ihren kreisverkehrsgroßen Augen an. Ich spüre, wie sie ihre Gedanken an mich überträgt, sehe vor meinem geistigen Auge quasi ein Banner mit ihren Gedanken durchlaufen und muss nur ablesen: „Mach schon, wir haben Hunger. Nur weil du spät gefrühstückt und danach auch noch Kekse gegessen hast, sind wir noch lange nicht satt! Wir sind kurz davor, vor Hunger zu halluzinieren! Los, fütter uns!“

Aus den Augenwinkeln kann ich die Uhr auf meinem Smartphonedisplay erkennen. Es ist siebzehn Uhr zwölf.

„Noch 48 Minuten“, sage ich. „Oder, wenn ihr nicht bald aufhört, mich zu nerven, dann wenn der Blogpost für morgen fertig ist. Das könnte ihr euch aussuchen.“

Von Leo ist nichts mehr zu sehen. Da, wo sie eben noch saß, befinden sich nur noch zwei kettenkarussellgroße Augen mit einem Blick, der mich leise beben und zittern lässt. Vorwurfsvoll ist wahrlich kein Ausdruck für das Konglomerat aus unguten Gefühlen, das sie auf mich zu übertragen versucht. Leider erfolgreich.

Fritte hat mittlerweile aufgehört zu singen, hockt katatonisch in der Zimmerecke, starrt ziellos in die Gegend, sabbert und schaukelt mit dem Oberkörper hin und her. Eine Mischung aus Lucia di Lammermoor im letzten Akt der gleichnamigen Oper und Chucky der Mörderpuppe.

Ich überlege fieberhaft. Werde ich dem Druck der hungrigsten Haustiere aller Zeiten noch weitere 46 Minuten standhalten können? Ist mein Verhalten eher heldenhaft oder von Vornherein zum Scheitern verurteilt? Gibt es hier einen Notausgang? Werden Fritte und Leo mich essen, wenn ich nicht äußerst zeitnah mit dem Abendessen rüberkomme?

Wenn ich wenigstens selbst schon Hunger hätte. Dann könnte ich die Katzen füttern, mein eigenes Abendbrot zubereiten, es mit Leo auf der Bettkante sitzend gemütlich verzehren und anschließend Fritte aus dem Wohnzimmer, wo er mit seinem Futternapf eingesperrt war, befreien. Aber ich habe wirklich spät gefrühstückt und nachmittags auch noch Kekse gegessen. Ich mag noch nicht wieder essen. Das bedeutet, dass ich die Katzen jetzt für ihr Abendessen trennen und später Fritte noch einmal wegsperren muss, damit ich ungehindert essen kann. Oder ich verzichte aufs Abendessen und verhungere. Was sich nicht sehr verlockend anhört, weil gemeinerweise seit den Wechseljahren bei mir Verhungern absolut nichts mit Gewichtsverlust zu tun hat. Seufz.

Rein zufällig fällt mein Blick wieder auf die Uhr. Es ist siebzehn Uhr vierundfünfzig.

Vielleicht habe ich doch eine kleine Chance, unbeschadet davonzukommen. Ich muss einfach nur noch sechs Minuten durchhalten, ohne mich zu bewegen oder zu atmen. Und dann kann ich fröhlich aufspringen und meinen lieben kleinen Katzen vorschlagen, mal in die Küche zu gehen.

Sechs Minuten Unbeweglichkeit und Stille. Nein, sogar nur noch fünf. Ich atme nur noch ganz flach und – Verdammt, was ist das? Oh nein, meine Blase meldet sich mit einem angeblich sehr dringenden Bedürfnis. Noch vier Minuten. Das wird doch wohl…? Nein, die Blase ist nicht verhandlungsbereit. Jetzt oder nie, sagt sie.

„Miau“, sagt Leo. Und Fritte fokussiert seinen Blick wieder auf mich, hört mit dem Schaukeln auf und holt tief Luft.

Okay. Scheiß auf die letzten drei Minuten.

„Möchtet ihr vielleicht was essen? Wollen wir mal in die Küche gehen?“

Flankiert von zwei entzückten und entzückenden kleinen Katzen springe ich auf und mache mich auf den Weg in die Küche. Die Katzen heulen empört auf, als ich kurz vorm Erreichen unseres Ziels rechts abbiege und einen kurzen Boxenstop im Badezimmer einlege. Als wir dann endlich in der Küche ankommen, schlägt die Kirchturmuhr des Hamburger Michel gerade sechs. Halleluja. Es gibt Abendessen.

 

 

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