Ein gutes Vierteljahr ist rum seit dem offiziellen Beginn der Corona-Krise. In den letzten zwei Wochen habe ich mehr Zeit im Büro verbracht als in den restlichen ca. 14 Wochen zuvor. Und richtig viel gearbeitet, voll reingekniet und so. Das war ziemlich anstrengend.
Nachdem wir unser gesamtes Programm von Mitte März bis Ende Juni abgesagt hatten (und die betroffenen KünstlerInnen mit Entschädigungsangeboten versorgt hatten), geht es nahtlos weiter mit dem kommenden Herbst. Da wird in der Staatsoper – hoffentlich! – wieder gespielt, aber eben ganz anders als ursprünglich gedacht. Im Zuschauerraum werden wenige Menschen weiträumig verteilt sitzen. Auf und hinter der Bühne sowie im Orchestergraben sind ebenfalls Abstände zu wahren – wobei für ‟Ansingen” (also durch SängerInnen) und ‟Anhupen” (also mit Blasinstrumenten) natürlich besondere, strengere Auflagen verwirklicht werden müssen.
Die wenigsten Opernproduktionen, die wir für diesen Herbst geplant hatten, sind mit den notwendigen Abstands- und Hygienekonzepten vereinbar. Oder entsprechend adaptierbar. Sie müssen also zum größten Teil ausfallen und werden durch andere Produktionen ersetzt, die konkret für diese Situation geschaffen werden, mit weniger Personal und Interpretationen, in denen Distanz und Für-Sich-Sein thematisiert werden.
Für eine große Anzahl KünstlerInnen mussten Lösungen gefunden, angeboten, besprochen und verhandelt werden. Manchen können wir Ersatztermine direkt in den neuen Produktionen oder in der zweiten Spielzeithälfte anbieten, den meisten aber nicht. Mit denen soll in möglichst naher Zukunft wieder eine Zusammenarbeit vereinbart werden. Und – weil viele Künstler im Jahr 2020 den größten Teil ihrer Engagements verloren haben oder noch verlieren werden – es müssen Kompensationszahlungen geleistet werden. Schließlich wollen wir niemanden zurücklassen oder gar verlieren.
Das war und ist viel Arbeit und ich muss meinen KollegInnen und mir mal auf die Schulter klopfen: Wir sind schnell und wir sind gut. In zwei Wochen, seit die Planung für den Herbst, so sicher sie jetzt halt sein kann, steht, haben wir so gut wie allen betroffenen KünstlerInnen Angebote machen können. Die meisten freuen sich, manche meckern (was ihr gutes Recht ist), wiederum andere sprechen mit ihren Anwälten (was selbstverständlich auch ihr gutes Recht ist). Wir machen es so gut, wie wir können – es ist und bleibt aber eine Scheißsituation.
Dass wir den Laden dann im Herbst wirklich wieder öffnen dürfen, kann uns natürlich keiner garantieren. Aber auf irgendein Ziel muss man ja hinarbeiten. Die KollegInnen aus dem künstlerischen Bereich sind wild darauf, ihre Berufe endlich wieder ausüben zu können, mit Publikum und nicht nur auf dem Balkon oder im Livestream. Auch viele OpernbesucherInnen kratzen schon regelmäßig an den Türen der Theaterkasse und fragen, wann es endlich wieder Karten zu kaufen gibt.
Ich hoffe mit ihnen, wirklich, aber für mich persönlich steht ein Opernbesuch sehr weit unten auf der Liste der Dinge, die ich gerne tun möchte und bei denen ich mich sicher fühlen würde. Irgendwo zwischen dem Besuch eines Schlachthofkühlraums, Innenstadtshopping in der Vorweihnachtszeit und der Mitwirkung bei einer Orgie mit unbekannten TeilnehmerInnen ohne Corona-Warn-App.
Aber ich muss ja nicht. Zum Glück. Ich bleibe einfach in meinem Büro und verstecke mich hinter meiner Säule. Und setze in Windeseile weitere notwendige Änderungen im Spielplan um – momentan sieht es aus, als hätte die Corona-Krise Nachwirkungen bis in die Saison 2023/24. Wir werden also noch eine Weile damit beschäftigt sein.
Was ich eigentlich sagen wollte: Ende nächster Woche beginnt endlich mein Urlaub. Wie immer mein gesamter Jahresurlaub, sechs Wochen. Und ich habe ihn verdammt nötig, trotz der fast drei Monate im Homeoffice. Um endlich mal wieder runterzukommen. Um zu sehen, was das alles eigentlich mit mir gemacht hat, und auch um nachzudenken, wie ich mit der veränderten und sich weiterhin verändernden Situation in der Zukunft umgehen kann und will. Vielleicht liegen ja doch irgendwo Chancen und Möglichkeiten versteckt und nicht immer nur noch mehr Einschränkungen, Risiken und Ängste. Wir werden sehen.
„Ansingen“ kennt ein Hobby-Chorsopran natürlich, aber heißt das bei Blasinstrumenten wirklich „Anhupen“? Nur bei Trompeten und Posaunen oder auch bei Querflöten, die ja wahrlich keine hupähnlichen Töne hervorbringen? Der Begriff klingt extrem witzig.
Na ja, „Anhupen“ ist vielleicht etwas sehr umgangssprachlich, aber „Anspielen“ klingt nach Fußball und „Anblasen“ nach sexueller Aktivität…
2023/2024.
Liebe Grüße an deine Fellnasen und toi toi toi für deine Pläne.
Andrea