So wie wir waren

„Mir fällt heute nicht viel ein und schon gar nichts Adventliches“, sagte die dicke freundliche Frau zu Fritt Miau-lang (zu Deutsch: Nr. 27, Frittierter Tofu mit Gemüse, leicht scharf). „Diktier mir gerne was!“

Fritte überlegte kurz und setzte dann zu einer längeren Erzählung an: „Es ist schon lange her, aber die Älteren unter uns erinnern sich noch, da lebte ich in Bistrita, also in Siebenbürgen, das ja bekanntlich in Rumänien liegt. Ich war ein extrem gutaussehender und charmanter Motan und lebte auf der Straße. Alle Kätzchen der Stadt lagen mir zu Füßen und ihre Mütter auch. Mir war relativ egal, dass ich mit den meisten von ihnen verwandt war, ebenso wie es mich nicht kümmerte, wie sie aussahen: schwarz, weiß, rot, kariert, gestreift, kariert oder von allem etwas. Ich liebte sie und sie liebten mich. Bis sie plötzlich runder und runder wurden und nach gut zwei Monaten einen ganzen Wurf kleiner Fritten in die Welt setzten. Viele von ihnen waren graugetigert mit weißen Abzeichen, so wie ich. Und sie alle verehrten mich als ihren Capo di familia. Was ich sagte, war Gesetz. Keiner wagte …“

„Äh… Fritte…“, sagte die dicke freundliche Frau. „Bist du sicher, dass diese Geschichte einen adventlichen Aspekt hat?“

„Aber natürlich“, erwiderte Fritte, „dazu komme ich gleich. Lass mich ausreden! Also: Keiner wagte, mir zu widersprechen, und noch viel weniger, den Mädels in meinem Revier schöne Augen zu machen. Es gab ab und zu ein paar Jung-Motans, noch grün hinter den Ohren, die dachten, sie könnten mir Konkurrenz machen, aber denen habe ich schnell klargemacht, dass sie keine Chance gegen mich haben. Ich habe sie dann vor die Wahl gestellt, entweder das Land zu verlassen oder aber zu bleiben und in meinem Gefolge für Recht und Ordnung zu sorgen. Ohne dabei ein Auge auf die hübschen Miezen zu werfen oder sie gar anzusprechen. Ach, ich war ein guter Familienvater, wirklich. Den jungen Katern ging es gut und den Miezen natürlich sowieso. Und die Menschen in der Stadt, die wunderten sich, dass immer mehr Kätzchen graugetigert mit weißen Abzeichen zur Welt kamen.“

„Das klingt ja sehr ansprechend“, warf Frl. Leonie Mau ein, die während Frittes Erzählung von der Fensterbank herabgestiegen war, um sich gemütlich auf dem Sofa neben der dicken freundlichen Frau niederzulassen, „wie das Frittenparadies auf Erden.“

„Genau!“, stimmte Fritte ihr zu. „Es war herrlich. Bis ich eines Tages das Pech hatte, in eine Katzenfalle zu geraten. Das war total gemein, denn sie hatten da ein Stück Hühnchen reingelegt, das roch so lecker und ich war soooo hungrig, da musste ich einfach ran. Und dann war ich aus irgendeinem Grund, den ich mir nicht erklären kann, nicht schnell genug und die Falle schnappte zu.“

„Ach du meine Güte“, sagte die dicke freundliche Frau, „und was für fiese Gestalten hatten da überhaupt Katzenfallen aufgestellt?“

„Sie nannten sich Tierschützer“, erklärte Fritte mit finsterem Blick, „aber in Wirklichkeit wollten sie uns nur fangen und uns die Eier abschneiden.“

„Igitt!“, rief Leo und hielt sich die Ohren zu. „Das will ich gar nicht hören.“

„Sie brachten uns zu diesen Leuten, die uns von allen Seiten begrabbelten und untersuchten. Kein Respekt vor der Privatsphäre, nichts. Sie leuchteten mir in die Augen, in die Ohren und in den Hals. Aber ich habe das Hühnchen nicht wieder ausgespuckt, das könnt ihr mir glauben.“

„Und was geschah dann?“, fragte Leo mit großen Augen.

„Sie sagten, ich sei schon ziemlich alt, jedenfalls für einen Straßenkater. So eine Frechheit. Ihr seht doch, was ich bin: Ein Kater in seinen besten Jahren!“

„Natürlich“, sagte die dicke freundliche Frau. „Das müssen die Leute doch auch gesehen haben, oder?“

„Das haben sie“, sagte Fritte mit unheilgeschwängerter Stimme, „und sie haben auch gesehen, dass die ganzen kleinen Kätzchen der Gegend mir ziemlich ähnlich sehen. Und deshalb haben sie mir die Zähne gezogen und die Eier abgeschnitten. Das war eine verdammt blutige Angelegenheit, das kann ich euch sagen.“

„Örks!“, sagte Leo und kletterte zurück auf die Fensterbank. „Zu viele Details!“

„Und dann haben sie noch festgestellt, dass ich irgendein ansteckendes Virus mit mir herumtrage. Deswegen haben sie angeordnet, dass ich ab sofort zu Hause bleiben muss und nicht mehr raus darf. Ich, der Straßenkater, freiheitsliebend und unabhängig und unbestechlich!“

„Du armer Fritte“, sagte die dicke freundliche Frau voller Mitgefühl, „und dann musstest du in ein Haus ziehen?“

„Zuerst musste ich tagelang Auto fahren“, beschwerte sich Fritte. „Zusammen mit einigen meiner Verwandten und einem ganzen Haufen Hunde. Das war echt nervig und hat ewig gedauert. Es war fast unmöglich, in diesem Auto zu schlafen, und so kam ich völlig erschöpft in dem Haus an, in dem ich zuerst gewohnt habe. Was soll ich sagen: Eine klitzekleine Wohnung und ich durfte nicht nach draußen.“

„Das war bestimmt schrecklich für dich“, sagte die dicke freundliche Frau. „Musstest du etwa in einem weichen Bettchen schlafen und mehrmals am Tag einen großen Napf voller leckerem Essen runterwürgen?“

„Allerdings!“, behauptete Fritte mit Nachdruck. „Das war echt schlimm. Und da war noch ein anderer Kater in der Wohnung und ich konnte ihn nicht beißen, weil ich ja keine Zähne mehr hatte. Es war gar nicht so einfach, ihm klarzumachen, dass ich der Boss bin.“

„Das kann ich mir vorstellen“, murmelte Leo aus ihrem Strandkorb auf der Fensterbank. „Um der Boss zu sein, brauchst du schließlich Eier!“

„Du kannst eine ganz schön blöde Kuh sein, Leo“, beschwerte sich Fritte. „Und das, wo ich doch immer so nett zu dir bin und dich als meine Lieblingsfrau auf Pfoten trage.“

Aus dem Strandkorb kicherte es nur.

„Es war wirklich eine schwierige Situation“, fuhr Fritte in seiner Erzählung fort. „Diese weichen Bettchen und das viele Essen, das macht ja was mit einem Kater von Welt. Man muss echt ohne Ende aufpassen, dass man nicht total verweichlicht aus so einer Nummer rauskommt. Ich natürlich nicht. Du könntest mich jederzeit wieder auf die Straße setzen und ich wäre innerhalb von 48 Stunden der unangefochtene Boss der gesamten Hood.“

„Sicher“, stimmte ihm die dicke freundliche Frau zu. „Und was meinst du, wie anführerisch du rüberkommst, wenn die anderen Tiere sehen, in was für einem Luxus du jetzt wohnst! Sie werden sich alle ohne Ende beneiden.“

„Sowieso“, gab Fritte zu. „Und natürlich liegen mir die Miezen – bis auf eine einzige Ausnahme! – nach wie vor zu Füßen. Dass ich keine Eier mehr habe, stört sie nicht. Hauptsache, ich habe Charakter!“

„Dann ist doch alles in Ordnung“, sagte die dicke freundliche Frau zufrieden. „Vielen Dank, ich habe alles, was ich brauche. Du kannst ein andermal weitererzählen. Jetzt musst du dich nur noch entscheiden, in welchem deiner vielen weichen Bettchen du als nächstes ein Nickerchen machen möchtest, bis das Abendessen fertig ist.“

„Abendessen“, wiederholte Fritte träumerisch, „das klingt gut. Erzählen macht richtig hungrig. Aber ein kleines Powernäppchen vor dem Essen geht gerade noch.“

Und Fritte stand auf, drehte sich dreimal um sich selbst, legte sich als ganz kleiner kompakter Kringel wieder hin und fing leise an zu schnarchen, während er im Schlaf milde lächelte.

 

 

2 Kommentare

  1. Männer sind Angeber, egal ob mit Fell oder ohne.

    Spaß beiseite: Habt eine gute Nacht und Fräulein Mau und eure Menschin auch.

    Herzliche Grüße

    Andrea

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