„Orrrrr“, machte die dicke freundliche Frau entnervt und schloss die Nachrichten-App auf ihrem Telefon wieder, kaum 30 Sekunden, nachdem sie sie geöffnet hatte. „Das hält ja keiner aus.“
Sie warf das Telefon zur Seite, nahm einen großen Schluck Wasser und wandte sich Leo zu, die gemütlich neben ihr auf der Sofakante saß und mit halboffenen Augen vor sich hinträumte.
„Leo, wir müssen reden!“
Leo wandte sich der dicken freundlichen Frau zu und öffnete ihre Augen vollständig. „Was ist denn? Hat Fritte schon wieder was angestellt?“
Fritty McFrittface lag friedlich schlafend auf dem Kissen des kleinen freundlichen Hundes (der nicht anwesend war, sondern mit dem großen freundlichen Mann in Bremen), in einem Arm hielt er seine Spielangel mit Plüschvogel dran, im anderen seinen leeren Futternapf.
„Nicht wegen Fritte“, sagte die dicke freundliche Frau, die Leos Blick mit ihrem Blick gefolgt war. „Diesmal nicht. Es geht um die Weltlage und unser kleines Geheimnis.“
„Du meinst die Welth…“, setzte Leo an, wurde aber sofort mit einem „Pssssssst!“ unterbrochen.
„Nicht so laut“, zischte die dicke freundliche Frau. „Wer weiß, wer hier mithört!“
Leo sah ihre Menschin überrascht an. Diese hatte bisher eigentlich keinen paranoiden Eindruck gemacht, nicht einmal, wenn sie Grund dazu gehabt hätte. Aber nun sah sie Leo mit einer Mischung aus Besorgnis und Dringlichkeit an, die so heftig rüberkamen, dass Leo sofort in den Tröst- und Beruhigungsmodus umschaltete, sich mit großen Kinderaugen liebevoll an der dicken freundlichen Frau zu reiben begann und so laut schnurrte, dass der Putz sich ernsthaft überlegte, von den Wänden zu rieseln.
„Es ist ja schon schlimm genug, dass der orangene Verrückte wieder Präsident in Amerika geworden ist“, fing die dicke freundliche Frau an zu erklären, „aber dass nun auch noch in Deutschland die Regierung zerbricht und im Nullkommanichts eine Horde rechtsgerichteter Vollidioten eine feindliche Übernahme sämtlicher Machtpositionen in Aussicht stellt … das ist wirklich Anlass zu großer Sorge.“
Das sah Leo sofort ein. Sie war eine Katze, somit grundsätzlich Anarchistin und im Großen und Ganzen gegen jede Art von Regierung, aber der allgemeine Rechtsruck, der durch die ganze Welt ging, der machte auch ihr Angst. Die Ampelkoalition in Deutschland war natürlich kein Grund zur Begeisterung gewesen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass bei Neuwahlen etwas Besseres herauskommen würde, schien ihr bei allem katzeneigenen Optimismus doch eher gering. Und die Sache mit dem Essen von Haustieren, die der orangene Verrückte aufgebracht hatte, fand sie erst recht nicht lustig, wobei ihr auch da der Orangene mehr Sorgen machte als die Menschen, denen er diese Grausamkeit unterstellt hatte.
„Wir müssen die Weltherrschaft beschützen!“, sagten Leo und die dicke freundliche Frau gleichzeitig. Etwas lauter als eigentlich gedacht, sodass Fritte aus dem Tiefschlaf erwachte, ein Auge öffnete, betrübt seinen leeren Fressnapf betrachtete, sich gemütlich räkelte, das zweite Auge öffnete und verschlafen fragte: „Die Weltherrschaft?“
Entsetzt sahen Leo und die dicke freundliche Frau sich an. Was hatten sie getan? Wie konnten sie die Weltherrschaft beschützen, wenn sie gleichzeitig Fritte, ausgerechnet Fritte, darüber informierten, dass es die Weltherrschaft überhaupt gab … und dass sie etwas über ihren Verbleib wussten? Au weia.
„Nein, nein“, stammelte Leo, während es in ihrem Hirn anfing zu rattern, „du hast dich verhört. Ich habe doch nicht von Weltherrschaft gesprochen. Sondern von … äh … Bellverdacht.“
„Bellverdacht?“, fragten Fritte und die dicke freundliche Frau ziemlich synchron und außerdem verblüfft. „Was zum Geier ist denn Bellverdacht?“
„Ja, also, äh, das ist…“, druckste Leo, „Bellverdacht ist etwas, das meist im Zusammenhang mit Hunden auftritt. Zum Beispiel, wenn dein Kumpel Sean hier bei uns ist, Fritte. Da besteht dann immer sofort ein Bellverdacht.“
Die dicke freundliche Frau verdrehte unauffällig die Augen in Richtung Leo, stimmte ihr aber zu. „Genau. Bei den Nachbarn nämlich. Kaum hören die irgendwo ein Bellen, da denken sie an Sean. Das ist Bellverdacht. Und davor müssen wir Sean beschützen.“
„Über nichts anderes haben wir gesprochen!“, versicherte Leo. „Hast du übrigens gesehen, wie spät es schon ist? Ich glaube, dein leerer Napf könnte gleich wieder aufgefüllt werden!“
Die dicke freundliche Frau sah auf die Uhr. Viertel nach drei am Nachmittag. Nicht wirklich Zeit fürs Abendessen, aber egal. „Genau, Fritte. Ich habe auch gehört, wie im Schlaf dein Magen geknurrt hat. Du musst schrecklich hungrig sein.“
„Natürlich“, gab Fritte zu. „Aber ich hätte doch noch ein paar Fragen.“
„Zum Bellverdacht?“, wollte Leo wissen, die sich immer noch bemühte, ein extrem harmloses Gesicht zu machen und deswegen schon fast Krämpfe bekam.
„Vielleicht“, erwiderte Fritte vorsichtig. „Aber vorher wüsste ich doch gern, was mit dem orangenen Verrückten ist. Und mit unseren Neuwahlen.“
„Das wüssten wir auch gerne“, sagte die dicke freundliche Frau zerstreut, „aber leider hat sich offenbar die Nachrichten-App auf meinem Telefon selbst deinstalliert.“
„Was vielleicht auch besser ist“, fand Leo. „Wenn du die Nachrichten liest, dann vergeht dir nachher noch der Appetit.“
„Das ist nicht sehr wahrscheinlich“, sagte Fritte mit Bestimmtheit. „Wäre jedenfalls das erste Mal. Aber lasst uns ruhig erst essen. Und dann reden wir. In aller Ruhe. Über Bellverdacht und alles, was euch sonst so bewegt, okay, Mädels?“
wie immer wunderbar geschrieben. Ich bin mir jetzt sehr sicher das fritte der ist, der die Weltherrschaft gut verteidigen und sichern kann. ❤️
Texte wie dieser lassen die mistige politische Situation wirklich kurz vergessen. Wie ein guter Kurzfilm. Klasse Bild von dem Putz, der überlegt, von der Wand zu rieseln 🙂