Von Listen, Zitronen, Felsen und Fernbeziehungen.

Als ich sagte, ich würde nun gerne mal ein paar Sachen im Leben machen, die ich noch nicht mein Leben lang gemacht habe, meinte ich: ein paar Sachen. Nicht alle oder zumindest so viele, dass ich mein Leben und mich kaum noch wiedererkenne. Aber okay: Vielleicht hätte ich deutlicher sprechen oder das Ganze doch lieber schriftlich einreichen sollen. Jedenfalls ändert sich um mich herum alles Mögliche, ohne dass ich darauf Einfluss nehmen könnte. Und ich stehe da, werde mit immer neuen Anforderungen und Wünschen bombardiert und denke: Aha.

Es ist keineswegs alles schlecht. Der Hospizkurs nämlich lässt sich ganz großartig an. Diese Woche hatten wir, nach dem langen Einführungswochenende neulich, nun den ersten dreistündigen Abendtermin – und der hat großen Spaß gemacht. Unsere Gruppe, bestehend aus sechzehn Teilnehmern, fühlt sich schon recht vertraut an. Wir kennen uns zwar noch nicht lange, haben uns gegenseitig aber bereits sehr persönliche Dinge anvertraut. Das verbindet, und zwar zügig.

Wonach ich aber zum Beispiel nicht gefragt habe, ist die Entwicklung rund um mich herum im Job. Dass ich plötzlich für zwei Vorgesetzte arbeite, einen kommenden und einen gehenden, die miteinander nicht sprechen, sondern relevante Informationen, Stille Post spielend, über mich austauschen: Das war nicht mein Plan! Natürlich ist es schön und schmeichelhaft, unentbehrlich zu sein und ständig als Fels in der Brandung bezeichnet zu werden. Bei genauerer Betrachtung fühle ich mich allerdings eher wie das Staffelholz, das elegant bzw. ohne Zeitverlust übergeben werden soll und dabei immer wieder versehentlich zu Boden fällt.

Völlig daneben haut das Leben aber nun mit der lustigen Idee, meinen Freund und mich demnächst in einer Fernbeziehung leben zu lassen. Das hat nun wirklich niemand gewollt – und ich weise jeden Hinweis, ich hätte das Kleingedruckte aufmerksamer lesen sollen, mit Nachdruck zurück. Ja, klar, ich habe meinen Freund nach Kräften unterstützt, als er sich beruflich noch einmal ganz neu orientiert hat. Aber doch nicht, damit er jetzt seine Bude sowie Katze 3 und Katze 4 (Kater 1) einpackt und sich eine Hansestadt weiter begibt!

Blöderweise fand die berufliche Neuorientierung in Bremen statt, wo sich dann auch ein erster Job fand. Das Pendeln zwischen den Städten war anstrengend, teuer und zeitraubend. Schnell wurde klar, dass das auf Dauer nicht funktioneren würde. Dann übernahm mein Freund aber einen befristeten Job in Hamburg, adoptierte Katze 3 und Katze 4 (Kater 1) und ich fasste langsam Hoffnung, dass er sich nun endgültig für Hamburg entschieden hatte. Er übrigens auch.

Die Katzen waren immerhin ein voller Erfolg. Katze 3 ist einfach zuckersüß (manche würden es möglicherweise „klebrig“ nennen) und eine begeisterte Schoßsitzerin. Und wenn sie keinen Schoß vorfindet, sitzt sie auch auf Bäuchen, Beinen, Händen und überhaupt allen Körperteilen, die man nicht schnell genug in Sicherheit bringt. Schnurrend, versteht sich. Katze 4 (Kater 1) lässt sich inzwischen auch vorsichtig streicheln, kommuniziert in einer Art Schmatzsprache und fordert meinen Freund nur noch ab und zu zu Tatz-Boxkämpfen heraus.

Tja. Und nun kam aus Bremen ein Angebot, das mein Freund weder ablehnen kann noch will. Genau das, was er sich gewünscht hat. Und: Eine Vollzeitstelle. Das ist in seinem Berufsfeld durchaus eine Rarität.

Ich hatte und habe außer „Oh. Das hatte ich mir anders vorgestellt!“ irgendwie kein Argument gegen diesen Wechsel und natürlich ist es nur vernünftig, wenn mein Freund nun seinen Wohnsitz in Bremen nimmt. Mit Katze 3 und Katze 4 (Kater 1) im Gepäck, versteht sich.

Für mich steht ein Umzug, vor allem wegen meiner Mutter, die noch immer keinen Platz in dem von ihr und uns favorisierten Heim hat, derzeit nicht zur Debatte. Von meinem Job und allen anderen Lebensumständen mal ganz abgesehen. Und für ein längerfristiges tägliches Hin und Her bin ich, genau wie mein Freund, genetisch nicht ausgelegt.

Also richten wir uns auf eine Fernbeziehung ein. Immerhin ist die Entfernung Hamburg – Bremen ja überbrückbar. Wenn mein Freund die Wohnung bekommt, um die er sich momentan bemüht, dann trennen uns 117 Kilometer. Die mit dem Auto laut Google in 1 Stunde 21 Minuten zu überbrücken sind. Oder – in meinem Fall mit der Bahn oder dem Flixbus – in rund zwei Stunden. Es könnte schlimmer sein, viel schlimmer. Hamburg – Bremen, das kann man locker an einem Nachmittag hin und zurück schaffen, wenn man will. Am Wochenende natürlich sowieso. Wobei…

… wobei in einer unserer Wohnungen dann eben immer zwei Katzen sitzen und warten werden. Katzen sind nur in den seltensten Fällen gerne auf Reisen, die meisten von ihnen sind beschissene Beifahrer und – aus guten und nachvollziehbaren Gründen – ungern gesehene Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel.

Katze 3 und Katze 4 (Kater 1) sind Trockenfutteresser; sie werden an einem Wochenende ohne menschlichen Beistand zumindest nicht verhungern. Ob sie es übelnehmen, keinen Schoß und keinen Sparringpartner zur Hand zu haben, wird sich zeigen.

Katze 1 und Katze 2 hingegen möchten in regelmäßigen und nicht zu langen Abständen mit Feuchtfutter-Tütchen versorgt werden. Größere Mengen Trockenfutter möchte ich sie nicht schlucken und lutschen lassen. Sie über Nacht alleine zu lassen, ohne dass Franny die Haustiernanny oder sonst irgendwer sie zumindest kurz besucht, kommt also nicht in Frage. Ich habe schon immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich sie tagsüber länger als zehn Stunden alleine lasse.

Momentan wohnen mein Freund und ich ungefähr einen Kilometer auseinander. Wir sehen uns keineswegs jeden Tag, aber das Gefühl, dass wir das bei Bedarf sehr wohl könnten, ist mir lieb und teuer. Ob sich das tägliche Telefonat am Abend anders anfühlt, wenn man weiß, dass zwei Stunden statt zehn Minuten Fahrtzeit zu überbrücken wären? Ob wir uns am Wochenende mehr unter Druck fühlen werden, nun etwas qualitativ Hochwertiges miteinander zu unternehmen, weil wir uns dann ja wieder fünf Tage lang nicht sehen? Ich weiß es nicht. Aber ich werde es wohl herausfinden müssen.

Es wird schon irgendwie gehen. Wir vertrauen einander und sind beide nicht eifersüchtig veranlagt. Wir hoffen selbstverständlich, dass wir irgendwann wieder in derselben Stadt wohnen werden, kommen aber damit klar, hier im Moment noch keinen Zeitrahmen abstecken zu können.

Ich freue mich natürlich für meinen Freund. Schließlich nimmt er einen Job an, der für ihn wie gemacht erscheint und den man ihm und nur ihm angeboten hat. Beim Umzug und allem, was damit zu tun hat, werde ich ihn nach Kräften unterstützen. Vielleicht werfe ich sogar mein Trampolin raus, damit ein besseres Schlafsofa für ihn in mein Wohnzimmer passt (aber vielleicht lasse ich ihn auch vorher auf dem Trampolin probeschlafen). Ich werde versuchen, Job und Ehrenamt nach Möglichkeit vom Wochenende fernzuhalten, damit ich mir Zeit für unsere Beziehung nehmen kann.

Was ich an der Situation an sich ein bisschen unbefriedigend finde: Wieder reagiere ich vor allem auf die sich ändernden Anforderungen meiner Umwelt, statt selbst Pläne zu machen und zu verwirklichen. Ich nehme das dem Leben (und erst recht meinem Freund) nicht übel, aber ich treffe auch gerne, wenigstens ab und zu, mal meine eigenen Entscheidungen. Deswegen ist mir ja auch das Hospiz-Ehrenamt so wichtig, denn das ist endlich mal was, was ich mir selbst ausgesucht habe.

Ansonsten: Ja, ich mache alles mit und das Beste draus und Limonade aus den Zitronen, die das Leben mir gibt. Aber: Ich habe ein bisschen die Schnauze voll davon, immer nur den blöde Felsen zu geben, an dem sich alle festhalten. Ich möchte auch endlich mal die beschissene Brandung sein dürfen! Das wollte ich nur mal gesagt haben. Auch wenn gerade keiner danach gefragt hat.

 

 

 

 

 

 

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