Für die meisten von uns ist es ja schon ein Angang, eine ganz normale Patientenverfügung zu erstellen, natürlich verbunden mit einer Vorsorgevollmacht bzw. Betreuungsverfügung. Ich kenne das; auch ich war froh, Vordrucke mit Ankreuzmöglichkeiten benutzen zu können. Um so mehr, als mein Hausarzt, den zu diesem Thema einmal gründlich zu befragen einem ja immer empfohlen wird, der Meinung ist, dass die Patientenverfügung eigentlich gar nicht so wichtig sei. Viel wichtiger erscheine ihm, dass der Mensch, den ich mit meiner Vorsorgevollmacht zur Ausführung meiner Vorstellungen beauftrage und ermächtige, Bescheid weiß über mich und meinen mutmaßlichen Willen.
Na gut, dachte ich, über die wirklich wichtigen Dinge haben mein Freund und ich ja tatsächlich gesprochen und darüber hinaus hätte ich ja auch Vertrauen in Entscheidungen, die er trifft, wenn er mal nicht hundertprozentig weiß, wie ich in einer Situation entscheiden würde. Und um die großen und wichtigen Dinge geht es ja wohl hauptsächlich.
Tut es auch. Aber nicht nur. Und die Wahrscheinlichkeit, dass mein Freund zu der sich zu der Frage äußern muss, wie ich zu Sondenernährung stehe (die ich auf gar keinen Fall als Dauerlösung möchte, bestenfalls als kurzzeitige Überbrückung einer Situation, in der ich nicht selbst essen kann, bis ich wieder selbst essen kann), ist längst nicht so groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass jemand von ihm wissen möchte, ob ich lieber Salami aufs Brötchen möchte oder Heringssalat (gar nichts von beidem, ich bin Vegetarier, und von Heringssalat muss ich schon wegen der Mayonnaise kotzen!). Kleine Dinge, weitreichende Wirkung… und das womöglich auf Dauer.
Als mir vor Jahren ein Hospizpfleger erzählte, er arbeite ganz oft an seiner Patientenverfügung, abends zur Entspannung, war ich sehr beeindruckt, aber auch ein bisschen verwundert. Was zum Geier steht in dieser Patientenverfügung und wird sie irgendwann als mehrbändiger Roman veröffentlicht werden?
Immerhin fing ich an – obwohl mein Hausarzt das nicht für sonderlich sinnvoll hielt – an einer Ergänzung meiner Patientenverfügung zu schreiben, in der ich versuchte, mich, meine grundsätzlichen Einstellungen und Überzeugungen, dieses Leben betreffend, zu erklären. Fand das dann aber eine ziemliche Schwafelei und pseudophilosophisch. Falls Sie also diesen Text irgendwann in meinen Entwürfen finden: Nehmen Sie ihn nicht zu ernst!
Kürzlich stieß ich aber in diesem, unserem Internet auf ein Dokument, das mich aufhorchen ließ: Eine sogenannte „Sinnesverfügung – persönliche Anmerkungen zur Patientenverfügung“ mit dem Titel: „Mein Fuß muss immer rausgucken“.
Ich kann Ihnen sehr empfehlen, dieses pdf „Mein Fuß muss immer rausgucken“ von Angelika Zegelin zu lesen. Die Autorin ist Pflegewissenschaftlerin, Expertin für viele verwandte Themen und vor allem eine Frau, die daran glaubt, dass jeder Mensch das Recht hat, seine Persönlichkeit, individuelle Vorlieben, Gewohnheiten und Abneigungen ebenso wie seine Überzeugungen mit in die letzte Lebensphase und auch in die Sterbephase zu nehmen. Um dies realisierbar zu machen, hat sie für sich selbst einen Text verfasst, in dem sie sich und die Dinge, von denen sie glaubt, dass sie ihr bis zum Ende wichtig sein werden, beschreibt. Zum Teil sehr detailliert. Der Text liest sich großartig und so zögere ich nicht, eine Leseempfehlung an Sie auszusprechen.
Das Lesen ist der erste Schritt. Ich bin jetzt entschlossen, mit dem zweiten Schritt zu beginnen und eine entsprechende Verfügung für mich aufzusetzen. Schließlich habe ich, wenn ich so darüber nachdenke, doch einige ziemlich starke Vorlieben und Abneigungen. Diese vollständig auswendig parat zu haben, möglicherweise auch unter Stress, wäre doch recht viel verlangt von meinem Freund. Schließlich muss er schon, wenn ich das nicht mehr kann, meine Katzen versorgen und meinen Hausstand auflösen, der Arme (bitte sagen Sie ihm, dass er meinen Kleiderschrank einfach ungeöffnet in die Klamottenklappe stopfen soll, okay?).
Sich dann auch noch daran zu erinnern, dass ich nur Cremedeo vertrage, da aber das stärkste, das auf dem legalen Markt erhältlich ist, dass ich den Duft von Rosen und Lavendel nicht mag (aber Zitrone, Minze und Vanille), dass ich morgens erst etwas Herzhaftes oder Neutrales essen muss, aber bloß nicht gleich etwas Süßes, dass ich Stille mehr mag als Musik und dass Sie mich Tag und Nacht wecken dürfen, um mir von Katzen zu erzählen. Von meinen, von Ihren, von Katzen aus dem Internet… das wäre viel verlangt. Und fehleranfällig. Und muss auch gar nicht sein. Denn ich werde dieses Geheimwissen jetzt für die Nachwelt festhalten.
Vielleicht komme ich beim Schreiben ja, wie Frau Zegelin auch, vom Kleinteiligen wieder ins Große zurück und finde ein paar abschließende Worte über mein Menschenbild und das Leben an sich. Aus dem scheinbar Banalen heraus entwickelt klingt es dann vielleicht nicht mehr ganz so hohl. Vielleicht. Wir werden sehen. Ich halte Sie auf dem Laufenden.