Stellen Sie sich vor, ich habe ein Zertifikat erhalten. Na ja, eigentlich eher eine Teilnahmebestätigung, aber immerhin: Ich habe die Grundstufe der Qualifizierung zur Trauerbegleitung nach BVT e. V. erfolgreich abgeschlossen. Es gab Sekt und eine kleine Feier am letzten Seminartag und mir wurde bewusst, worüber ich vorher überhaupt nicht nachgedacht hatte: Das ist ein kleiner Meilenstein.
Juhu. Es geht voran.
Weiter geht es mit der Aufbaustufe, mit der ich ja schon im letzten November begonnen habe. Normalerweise überschneiden sich Grund- und Aufbaustufe bei der Fortbildung im Hamburger Lotsenhaus nicht, aber die Pandemie mit ihren vielen Verschiebungen machte es möglich, mit der Aufbaustufe zu beginnen, ohne vorher die Grundstufe beendet zu haben.
Die Grundstufe befähigt übrigens zur Begleitung Erwachsener mit nicht-erschwerten Trauerprozessen und zur Co-Leitung von Gruppen. Oh. Was die Gruppen angeht, bin ich meiner Zeit also schon ein bisschen voraus.
Ich habe bei zwei von unterschiedlichen erfahrenen Trauerbegleiterinnen moderierten Gruppen hospitiert und wurde dann gefragt, ob ich es mir zutraue, eine eigene Gruppe zu leiten. Alleine. Und was habe ich gesagt? Aber natürlich. Dies selbstverständlich in dem beruhigenden Wissen, zwar die Gruppensitzungen alleine durchzuführen, mir vorher und auch anschließend bei der Leiterin der Abteilung Trauerarbeit und einer der erfahrenen Kolleginnen so viel Hilfe und Rat holen zu können, wie ich mit beiden Händen greifen und festhalten kann. Also eine Menge.
Und was soll ich Ihnen sagen? Es funktioniert. Meistens sogar ganz gut. Im Moment läuft meine zweite Gruppe, die geht sogar schon dem Ende der moderierten Termine und dem Beginn ihrer Eigenschaft als Selbsthilfegruppe entgegen. Bisher sind noch keine Teilnehmer*innen abgesprungen und beschwert hat sich, soweit ich weiß, auch noch niemand. Im Gegenteil, eigentlich betonen die Teilnehmer*innen häufig, wie wichtig ihnen die Gruppentreffen sind und wieviel sie ihnen geben.
Das heißt natürlich nicht, dass ich nichts mehr zu lernen hätte! Keineswegs. Immer mal wieder stelle ich im Verlauf einer Sitzung fest, dass meine Ohren heiß werden – ein sicheres Anzeichen dafür, dass mir etwas peinlich ist. Meistens habe ich dann einen Punkt im Ablauf vergessen oder eine, wie ich selbst finde, unzureichende Antwort auf eine Frage gegeben. Aber okay, das muss ich mir wohl zugestehen: Schließlich bin ich noch nicht gerade superroutiniert, das heißt, es kommt vor, dass ich mich auf einen mir wichtig erscheinenden Aspekt sehr konzentriere und dann, wenn jemand nach einem anderen Aspekt fragt, einfach nicht schnell genug umschalten kann. Oder auch eine Antwort weiß, sie aber bei weiteren Nachfragen nicht gut begründen kann, einfach weil ich ein Stück „offizielles Trauerbegleiter-Wissen“ zwar in meinem Schädel abrufen kann, aber noch nicht so gut selbst durchdacht habe, dass ich umfassend dazu etwas sagen könnte.
In solchen Situationen kann ich dann sagen: Darf ich darüber selbst noch einmal nachdenken? Oder auch fragen, ob ein*e andere*r Teilnehmer*in das vielleicht besser erklären kann als ich. Das kommt gelegentlich vor, weil in Trauergruppen durchaus kluge und reflektierte Menschen sitzen, von denen einige auch im sozialen Bereich tätig sind und/oder Therapieerfahrung haben. Ich habe schnell begriffen, dass es überhaupt nicht peinlich ist, ihr Wissen anzuzapfen.
Noch häufiger greife ich auf das Wissen meiner Chefin und der Kollegin zu: Beide sind wunderbar souverän und erfahren und hilfreich. Ich lerne bei jedem Austausch mit ihnen so viel.
Noch besser ist, dass ich in der Fortbildung auch superwichtige und hilfreiche Sachen lerne… und dass ich dort, vor allem im Austausch mit den anderen Teilnehmerinnen auch mal suchen und ausprobieren kann, ohne dass es gleich Konsequenzen hat (also so Konsequenzen wie echten Trauernden den Abend versauen). Nicht in Sekundenschnelle eine Antwort wissen zu müssen wie im echten Leben, das ist so herrlich entspannt und lässt auch die Kreativität frei fließen. Andererseits ist es quasi unbezahlbar, das Gelernte dann zügig wieder in der Gruppe anwenden zu können. So verbinden sich Theorie und Praxis auf die beste Weise.
Dass ich das alles tun darf, in wertschätzender und wohlwollender Atmosphäre, lernen und anwenden, das ist einfach fantastisch. Ich habe nämlich richtig viel Glück gehabt… nachdem ich selbst den Mut und die Zuversicht hatte, meinen früheren Job aufzugeben und mich der „Auseinandersetzung mit der Endlichkeit“ zuzuwenden bzw. daraus einen Beruf machen zu wollen.
Es läuft. Und ich habe ein Zertifikat, na gut, eine Teilnahmebestätigung erhalten. Ist das nicht ein Grund zur Freude?