Achte Woche im Homeoffice. Was war, was ist, was kommt?

Sind wir wirklich schon in der achten Woche im Homeoffice? Oder sollte ich lieber „erst“ sagen statt „schon“? Wie rasend schnell doch die Zeit vergeht. Und wie schnell man sich an neue Gegebenheiten gewöhnt und anpasst, körperlich ebenso wie seelisch.

Acht Wochen! So lange war ich noch nie nicht im Büro, seit 1996. Selbst mein am Stück genommener Jahresurlaub beträgt ja nur sechs Wochen. Und der Urlaub für 2020 steht ja auch bevor, ab Juli. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir noch vorher wieder regulär im Büro arbeiten, ist sehr gering, schätze ich. Das heißt, wir wären dann von Mitte März bis Mitte August (oder, falls wir die Spielzeit etwas früher beginnen als ursprünglich mal geplant, bis Anfang August) aus der täglichen Routine raus und hier meldet sich meine innere Viertelostfriesin zu Wort, die anmerkt, dass sie dann anschließend bitte komplett neu angelernt werden möchte.

Diese Woche war ich einen Tag lang im Büro, sechs Stunden lang, und habe angestrengt gearbeitet. Auflösungsverträge schreiben, prüfen, prüfen lassen, dokumentieren, einscannen, mit sinnvollen Bezeichnungen versehen und in einen Ordner speichern, auf den die Kollegen Zugriff haben, die die Anschreiben gebastelt haben und alles verschicken sollen.

Vorbereitet hatten wir diese Aktion natürlich von zu Hause durch das Aufstellen von Listen, Abgleichen von Beträgen und genaue Absprachen, wer wann was macht und dafür eventuell im Büro sein muss. Drei Kollegen habe ich persönlich gesehen, auf Distanz natürlich. Es klappt ganz gut, unbegleitete Unterschriftenmappen im Aufzug von einer Etage in die andere zu befördern. Auch Ablegen irgendwo im Gang und schnell Wegrennen funktioniert.

Am Abend nach diesem Einsatz war ich völlig kaputt und erinnerte mich daran, dass das nach normalen Bürotagen kein unbekanntes Gefühl ist. Ich hatte es eben nur seit acht Wochen nicht mehr und frage mich still und leise, ob ich das wirklich noch will. Und kann. Nun ja. Das wird sich nicht in diesem Moment klären lassen. Aber ich hoffe sehr, dass ich noch eine Weile im Homeoffice bleiben kann. Teeküchenschwätzchen kann ich auch mit den Katzen und zu Hause halten.

Gestern habe ich doch tatsächlich meinen Freund endlich mal wieder gesehen. Das Wetter war ja schön und keiner von uns hatte das dumpfe Gefühl, sich gerade noch am Freitagabend irgendwo angesteckt zu haben. Viel frische Luft, Sitzplätze an der offenen Balkontür, sofortiges Händewaschen nach jeder kurzen Berührung (ja, wir haben uns kurz an den Händen gehalten und das war schön) und Mund-Nasen-Schutze für alle waren Teil unseres Plans. Das war wunderbar und hoffentlich sehr bald ausbaufähig.

Die zahlreichen in Hamburg, Bremen und der restlichen Welt angekündigten Lockerungen der Corona-Beschränkungen lösen sehr zwiespältige Gefühle in mir aus. Schon jetzt, finde ich, sind wieder unfassbar viele Menschen, Fahrräder und Autos draußen unterwegs. Werde ich mich wirklich noch vor die Tür wagen, wenn es noch mehr werden? Immer wieder sage ich mir, dass das Ganze nur auf den ersten Blick aussieht wie ein Haufen suizidaler Ameisen und dass man auf den zweiten Blick sehr wohl erkennt, dass die meisten Menschen die Abstandsregelungen mittlerweile durchaus verinnerlicht haben und sich relativ entspannt aus dem Weg gehen. Auf diese Nonchalance warte ich bei mir noch; ich sehe außen auf den ersten, zweiten und dritten Blick vermutlich noch immer aus wie ein verschrecktes Hasenbaby vom Lande, das panisch hin- und herhüpft, sich hinter Verkehrschildern und Mülltonnen versteckt und unterm Mundschutz hyperventiliert.

Ich freue mich definitiv, wenn man bei schönem Wetter draußen sitzen, ein Kaltgetränk süffeln und eine Pizza essen darf – aber möchte ich das wirklich auf der Terrasse eines Restaurants tun? In der Nähe anderer Menschen? Ich glaube, ich muss noch mal nach Picknickkörben googeln. Wobei ich ja – trotz aller Liebe für den Hashtag #PummelgegenHass – auf Diät bin, seit vor ein paar Tagen die Nachricht rumging, dass starkes Übergewicht das Risiko auf einen schweren Verlauf von Covid-19 extrem erhöhen soll. Aber es gibt ja vielleicht auch Picknickkörbe, in denen man Möhren und Radieschen transportieren kann.

Wahrscheinlich wird ja auch das Besuchsverbot in Krankenhäusern und Pflegeheimen über kurz oder lang gelockert werden. Das finde ich prinzipiell gut – ich wünsche den Kranken, Alten und Hilfsbedürftigen wirklich nicht, eine Isolation zu ertragen, deren Hintergründe sie vielleicht nicht einmal verstehen können – das damit verbundene Risiko, auf diese Weise das Virus doch noch in bisher coronafreie Einrichtungen zu tragen, macht mir allerdings auch Bauchschmerzen. Und ich weiß auch nicht, was mein Bruder und ich machen, wenn jeder Bewohner/Patient von nur einer einzigen Person besucht werden darf und nicht abwechselnd von mehreren. Wer darf dann? Mein Bruder? Ich? Oder vielleicht der Freund meiner Mutter, der sie vor der Coronakrise fast jeden Tag besucht hat? Fragen über Fragen.

Alles in allem verdichtet sich mein Eindruck, dass der Schutz der Schwächeren in der Coronakrise nach und nach zur Privatangelegenheit bzw. zur Sache der Betroffenen und ihres Umfeldes erklärt werden wird und dass sich die Allgemeinheit nicht mehr als zuständig ansehen muss. Von Solidarität und der Möglichkeit, auf die eine oder andere Lockerung/Vergünstigung vielleicht auch mal zu verzichten, um andere nicht zu gefährden, scheint mir im Moment gerade wenig die Rede zu sein. Oder verpasse ich nur die öffentliche Vorstellung der grandiosen Konzepte, die die gesellschaftliche Teilhabe auch weiterhin für die möglich machen wollen, die nicht nur mit einem geringeren Ansteckungsrisiko leben können, sondern sich grundsätzlich gar nicht, auch nicht mit einer Restwahrscheinlichkeit von 0,01 Prozent, infizieren dürfen oder wollen?

Wer macht sich denn in der Öffentlichkeit energisch dafür stark, Testmöglichkeiten mindestens in dem Umfang, in dem sie zur Fortsetzung der Bundesliga benötigt werden, Privatmenschen, Familien, Pflegeheimen etc. zur Verfügung zu stellen zum Zwecke von Familienzusammenführung, Inklusion und wenigstens ein bisschen Qualität im Privatleben für Menschen, die beruflich Verantwortung für Gefährdete tragen? Wer setzt sich dafür ein, dass Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung zu halbwegs normalen Preisen langfristig auch außerhalb von Einrichtungen im medizinischen Bereich verfügbar wird? Oder ist das nicht medienwirksam genug?

Acht Wochen im Homeoffice. Zu viel Zeit zum Nachdenken, klar. Aber es gibt auch vieles, was bedacht werden möchte und muss. Sachverhalte und Erkenntnisse entwickeln und verändern sich. Nicht nur für Virologen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.