Der Hashtag #FlattentheCurve. Theorie und Praxis.

Der Hashtag #FlattentheCurve ist mir sehr sympathisch. Genau wie #StaytheFuckatHome. Ich bin davon überzeugt, dass wir jetzt alle unser Möglichstes tun müssen, um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen.

Ich bin gerne zu Hause. Nicht unbedingt alleine, aber mit zwei Katzen, genügend Katzenfutter, Keksen und WLAN ist es schon okay. Auch tagelang, solange Lieferando oder wenigstens der Pizza-Service um die Ecke in der Lage sind, mich gelegentlich mit warmen Mahlzeiten zu versorgen. Notfalls auch mit den Beständen in der Küche – falls dort außer Katzenfutter noch etwas lagert. Am liebsten habe ich dazu natürlich auch noch meinen Freund auf dem Sofa-Beifahrersitz, wenigstens am Wochenende.
Und da fangen die Probleme schon an. Mein Freund wohnt mit seinen zwei Katzen und seinem WLAN bekanntlich in Bremen. Er hat zwar ein Auto, findet das Pendeln auf der Autobahn zwischen seiner und meiner Hansestadt aber beschwerlich. Also fährt er, wenn nichts Besonderes anliegt, wofür wir ein Auto brauchen, gerne mit dem Metronom nach Hamburg. Und ich fahre ja, weil autolos, sowieso immer mit dem Zug nach Bremen.
Dieses Wochenende ist mein Bremen-Wochenende. Oder wäre es, wenn ich mich denn trauen würde, in den Metronom zu steigen und nach Bremen zu fahren… Und wenn mein Freund mich noch reinließe, nachdem ich mit dem Metronom gefahren bin.
Wir sind beide nicht besonders hysterisch, was das Coronavirus angeht, aber eben doch das, was man ‟angemessen besorgt” nennen würde. Das heißt, dass wir derzeit etwas mehr auf Hygiene achten als früher, und ebenso, dass wir uns auch eventueller unvermeidlicher Lücken in der Einhaltung der Hygiene-Vorschriften bewusster werden. Sie kennen das.
Nun gehöre ich nicht zu den Menschen, die in einen Zug einsteigen und sich auf einen Sitzplatz im Oberdeck setzen können, ohne dabei irgendwelche Griffe und Haltestangen zu berühren. Nicht mal, wenn ich es versuche. Mir während der Fahrt und vor dem nächsten Händewaschen nichts ins Gesicht zu grabbeln, klappt schon etwas besser – ich sitze einfach die ganze Zeit bis zum Aussteigen mit gefalteten Händen, zwischen denen mein Smartphone klemmt, da. Fast immer. Dann steige ich mit so wenig Haltegriffkontakt wie möglich wieder aus und steuere das nächste Waschbecken an.
Mein Freund und ich sind uns darüber einig, dass auf diese Weise eine hundertprozentige Hygiene nicht zu erreichen ist. Ob wir uns auch darüber einigen können, ob uns das zu sehr beunruhigt, um uns an diesem Wochenende in Bremen zu sehen, war bis heute Morgen noch nicht raus. Wir haben die Entscheidung verschoben, denn gestern ist mein Freund mit leichten Erkältungssymptomen aufgewacht. Erkältungssymptome würden mich – nur im Moment, normalerweise nicht – davon abhalten, meinen Freund zu besuchen, denn wenn ich mich bei ihm anstecken sollte, könnte ich (unter anderem) morgen nicht mehr ins Hospiz, um meine Gästin zu besuchen. Und das wäre sehr schade.

Also fahre ich heute nicht nach Bremen. (Hier bitte anhaltendes Schluchzen einfügen.)
Im Hospiz gibt es (noch) kein allgemeines Besuchsverbot für Zugehörige so wie in dem Seniorenheim, in dem meine Mutter lebt. Das ließe sich wohl auch mit der größtmöglichen Selbstbestimmung, die den schwerkranken und sterbenden Gästen ermöglichst werden soll, schwer vereinbaren. Man setzt hier auf Vernunft und Selbsteinschätzung (‟Falls Sie Erkältungssymptome aufweisen, betreten Sie bitte das Haus erst nach Rücksprache mit den Mitarbeitern!”) und die große Flasche mit Handdesinfektionsmittel, die im Eingangsbereich auf einem Tisch steht und vor dem Betreten des Hauses zum Einsatz kommen soll. So war es zumindest in den letzten Tagen.
Als verantwortungsbewusste Ehrenamtliche mit Husten oder Schnupfen bleibt man, gerade in diesen Tagen, dem Hospiz natürlich fern. Weder die Gäste noch das Personal können eine eingeschleppte Erkältung brauchen, das liegt natürlich auf der bestens gewaschenen Hand. Da meine Gästin keine anderen Besucher hat als mich und einen weiteren Ehrenamtlichen, wäre es sehr schade – für sie und für mich – wenn ich vorsichtshalber zu Hause bleiben müsste. Infolgedessen versuche ich halt, mich nicht zu erkälten.
Ins Hospiz und von dort wieder nach Hause fahre ich nicht mehr Bus (der am frühen und mittleren Abend meist ziemlich voll ist), sondern mit einem der in Hamburg verfügbaren Ridesharing-Dienste, bei dem man in bequemen Kleinbussen auf ‟Privacy-Sitzen” durch die Gegend gefahren wird. Selbst wenn man die Fahrt mit anderen Fahrgästen teilt, hat man in diesen Bussen viel Abstand voneinander und seinen Tanzbereich für sich alleine. Was auch keine hundertprozentige Sicherheit bietet, mir aber ein besseres Gefühl gibt als Busfahren.
Die Wochenendbesuche bei meinem Freund und das Hospiz zweimal in der Woche sind mir wichtig – solange nicht auch in Hamburg ein Lockdown angeordnet wird oder meine Bedenken zu groß werden. Alle anderen Aktivitäten außer vielleicht gelegentlichen Lebensmittel-Einkäufen kann ich gut mal für eine Weile ausfallen lassen. Oper und Theater, Außer-Haus-Essen, Friseurbesuche, Schwimmen und Sauna sowie Shopping aller Art… Dafür möchte ich weder mich noch andere Menschen gefährden.
An die frische Luft dürfen wir ja noch, solange wir nicht in häuslicher Isolation sind. Ohne Körperkontakt und nicht in Menschenmengen, klar.
So weit, so… Moment, irgendwas war da doch noch…? Ach ja, ich arbeite ja auch noch. Fünf Tage in der Woche. Wenn es etwas gibt, was mich wirklich sehr intensiv und nachhaltig davon abhält, gemütlich und ohne Ansteckungsrisiko auf meinem Sofa zu sitzen, dann ist es das Arbeiten. Seufz.
Wie alle Hamburger Staatstheater hat auch mein Arbeitgeber, die Staatsoper, ihren Spielbetrieb eingestellt, zunächst bis zum 30. April. Das heißt, dass wir keine Vorstellungen mehr im Haus haben. Das heißt leider nicht, dass es in den Büros keine Arbeit mehr gäbe. Auch die Absagen und Umplanungen machen ja Arbeit. Immerhin kommen ohne Vorstellungen weniger Gäste und Besucher ins Haus, was ich schon mal gut finde. Aber Home-Office fände ich natürlich noch besser – das wird jedoch den (alleinerziehenden) Kolleg*innen mit Kindern vorbehalten bleiben, fürchte ich. Was ja auch wieder okay ist, schließlich wollen wir ja solidarisch sein.

Trotzdem lässt meine Berufstätigkeit meine Staythefuckathome-Bilanz deutlich schlechter aussehen als es bei kompletter Selbstbestimmung der Fall wäre. Ohne dass ich dagegen viel tun könnte. Ich bin zwar alt, aber ich brauche das Geld noch immer.
Wie ist es bei Ihnen? Machen Sie sich Sorgen um sich und andere? Glauben Sie an Social Distancing und Flattenthecurve? Gehen Sie raus? Besuchen Sie andere Menschen? Wie oft am Tag waschen Sie sich die Hände? Wie viele Pakete Nudeln/Klopapier/Kekse haben Sie? Und wie lange wird das Katzenfutter bei Ihnen reichen?

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