Kennen Sie diese geschenkten Tage? Tage, an denen Sie dachten, unheimlich viel zu erledigen zu haben, an denen sich dann aber herausstellt, dass niemand auf Sie wartet und nichts von den Aufgaben, die Ihnen im Morgengrauen noch so drängend und dringend erschienen, tatsächlich heute irgendwo eingereicht oder vorgezeigt werden muss? Diese Tage, die plötzlich niemand strukturiert außer Ihnen selbst und an denen Sie niemand vermisst, wenn Sie sich nicht melden?
So ein Tag ist heute. Also, fast. Mein Freund hätte mich selbstverständlich vermisst, wenn ich mich nicht gemeldet hätte, aber er liegt erkältet auf seinem Sofa in Bremen und findet, dass ich auf meinem Sofa in Hamburg sehr gut aufgehoben bin. Katze 1 und Katze 2 hätten mich natürlich auch vermisst, wenn ich nicht im Morgengrauen das erste Katzenfuttertütchen für sie geöffnet hätte, aber danach zogen sie sich gemütlich in ihre warmen, winddichten, katzenhaarverseuchten Eigenheime zurück und ließen mich tatsächlich bis zehn Uhr morgens schlafen. Meine Mutter hätte mich… ach keine Ahnung, ob sie mich vermisst hätte, aber sie hätte mich auf jeden Fall irgendwann im Laufe des Tages angerufen, um wichtige und dringende Dinge, meist zum wiederholten Male, zu besprechen. Ein paar kleine Hustattacken zu Beginn des – von mir initiierten – Telefonats bremsen erfahrungsgemäß ihre Begeisterung für ein ausführliches Gespräch aber deutlich aus und mit etwas Glück hält dieses Telefonat für den Rest des Tages vor.
Gegen elf Uhr verlasse ich kurz das Haus, um meine Vorräte (Brot, Milch, Hustenbonbons, Katzenfuttertütchen) aufzustocken. Draußen ist es windig und eiskalt – zwei gute Gründe, trotz scheinender Sonne schnell wieder in der Wohnung zu verschwinden und ohne schlechtes Gewissen für den Rest des Tages im Warmen und Windstillen zu bleiben.
Gegen zwölf Uhr sitze ich mit Käsebrot und frischgepresstem (natürlich nicht von mir persönlich) Orangensaft auf dem Sofa und überlege, was ich mit diesem geschenkten Tag anfangen will. Die innere Stimme, die „Alkohol und Netflix“ ruft, ignoriere ich nach kurzer Überlegung. Genauer gesagt, vertröste ich sie auf den frühen Abend. Bis dahin aber, so beschließe ich, will ich mindestens ein Buch lesen und ein Zimmer meiner Wohnung putzen.
Da die Katzen mit mir auf dem Sofa sitzen und es bekanntermaßen nicht schätzen, wenn man neben ihnen Möbel verrückt oder mit dem Staubsauger hantiert, fällt die Entscheidung leicht, dass das Schlafzimmer dasjenige welche ist, in dem ich nun das erste Drittel des Frühlingsputzes ausführen werde. Ein für sofort anberaumter Ortstermin findet statt und ergibt: Das Schlafzimmer hat ein gründliches Putzen bitter nötig. Unter dem Bett, hinter den Schränken und rund um die Katzen-Eigenheime auf der Fensterbank lagern Staub- und Katzenhaarschichten, die dicker und flauschiger wirken als so mancher hochflorige Teppich. Kein Wunder, ich fege zwar fast jeden Tag die Hauptverkehrswege in der Wohnung, aber weder ich noch mein Staubsauger passen unter das Bett und an die Fensterbank lassen die Katzen mich normalerweise nicht heran. Sie finden es nämlich so, wie es ist, staubig und mit ausgefallen Haaren bedeckt, völlig in Ordnung und wunderschön.
Um die haarenden Mitbewohnerinnen vom Betreten des Schlafzimmers und dem Unterbrechen meines Putzanfalls abzuhalten, hole ich zuerst den Staubsauger, klemme ihn in die halboffene Tür und schalte ihn ein. Dann fange ich an, mein Bett von der Wand abzuziehen, was dazu führt, dass sich wenige Schachzüge und höchstens zwei Minuten später alle vorhandenen Möbel, der Staubsauger und ich so ineinander verkeilt und umeinander verheddert haben, dass sich niemand mehr bewegen kann . Und das Bett steht noch immer zu nah an der Wand, als dass ich dahinterpassen würde.
Ja, mein Schlafzimmer ist relativ klein. Und voll mit einem Bett und zwei Schränken. Und die Tür geht nach innen auf, also, falls sie aufgeht.
Ich krabbele mit dem Staubsauger über das Bett und sauge in der vergrößerten Ritze zur Wand erstmal alles an, was ich mit dem Staubsauger erreichen kann: ungefähr eine Million Papiertaschentücher, elf Socken, vier oder fünf Clips zum Verschließen von Kekstüten, achtunddreißig Lesezeichen, zwei Radiergummis, viereinhalb Lippenpflegestifte, einen Bleistift und ein mumifiziertes Radieschen. Ja, Katze 1 hat eine kleptomanische Ader – wieso fragen Sie?
Dann muss ich den Staubsaugerbeutel wechseln, denn offenbar hat der arme Kerl auch eine Menge Dreck geschluckt. Immerhin hustet er nicht, im Gegensatz zu mir. Nun wirbele ich eine Weile mit Besen, Staubpuschel und verschiedenen Staubsaugerdüsen herum, bis der Bereich hinterm Bett einigermaßen staubbefreit vor mir liegt. Dann schnell das Bett wieder an Ort und Stelle rücken und auf dem Fußboden davor noch mal kurz den Staubsauger zum Einsatz bringen.
Leise röchelnd und völlig erschöpft liegen der Staubsauger und ich dann eine Weile auf dem Bett, bevor wir uns aufraffen und beschließen, für einen Tag genug geleistet zu haben. Eigentlich hätte ich ja noch die Eigenheime auf der Fensterbank reinigen wollen, aber erstens habe ich keine Lust mehr und zweitens hat es sich Katze 2 inzwischen dort gemütlich gemacht, weil nämlich die Sonne so langsam um die Ecke kommt.
Und drittens haben die Katzen doch in drei Wochen Geburtstag! Gut, dass mir das jetzt einfällt. Sie bekommen dann einfach neue Eigenheime, dann muss ich die alten nicht renovieren. Super-Plan!
Sehr zufrieden mit mir und meiner effektiven Art, den Tag zu nutzen, wandere ich zurück aufs Sofa und nehme meinen E-Book-Reader zur Hand. So ein Buch liest sich ja schließlich auch nicht von alleine. Und für den späteren Nachmittag habe ich ja schon eine Verabredung mit Netflix und einer Weinflasche. Vielleicht putze ich zwischendurch sogar noch das Badezimmer . Vielleicht. Aber nun erstmal hundert Seiten lesen. Herrlich, so ein gesssssssss….
… schenkter Tag. Oh, da bin ich doch tatsächlich kurz eingeschlafen. Na ja, heute darf ich das. Nun aber schne… Oh. Wieso ist es denn dunkel draußen und wer hat die Sonne gegen den Mond ausgetauscht? Wieso sind die Katzen nicht da, sondern nur ein Zettel, auf dem steht: „Du bist uns zu langweilig und wir kriegen dich nicht wach. Wir gehen Burger essen“? Und warum hat während meines Power Naps niemand das Badezimmer geputzt?
Fragen über Fragen. Über die ich gründlich nachdenken muss. Vielleicht gehe ich dazu mal nach nebenan, in mein sauberes Schlafzimmer. Da lässt es sich doch sicherlich famos denken. Hoffentlich machen die Katzen nicht so viel Lärm, wenn sie später angetrunken nach Hause kommen. Und hoffentlich bringen sie mir einen Veggie-Burger mit. Mit Süßkartoffelpommes.