Eine weitere Woche im Homeoffice und so langsam nervt es. Nicht, weil ich zu Ostern nun auf eine tolle Familienfeier verzichten müsste oder so. Seit meine Oma tot ist (und das ist sie seit fast dreißig Jahren), spielt Ostern in meiner Familie keine besondere Rolle mehr und groß gefeiert wird schon mal gar nicht. Weil die Feiern bei Oma zwar unvermeidbar, aber nicht besonders schön waren, wahrscheinlich.
Mit dem Vorgänger meines jetzigen Freundes bin ich zu Ostern, sofern ich nicht ohnehin arbeiten musste oder zumindest Bereitschaftsdienst hatte, gerne weggefahren – vier freie Tage kommen bei mir im Laufe der Spielzeit sonst ja eher nicht vor. Meistens waren wir in Mecklenburg-Vorpommern oder in Polen. Mit dem Auto, ganz gemütlich; der Weg ist das Ziel. Olga und Ida waren damals ja noch jung und hatten kein Problem damit, ein langes Wochenende lang von einer Katzensitterin ihres Vertrauens versorgt zu werden.
Mit dem jetzigen Freund, obwohl das schon unser siebtes gemeinsames Jahr ist, bin ich noch nicht so viel verreist. Etwas stand meistens im Weg: Mein kranker Vater, meine hysterische Mutter, meine kränkelnden Katzen, mein zwischen Hamburg und Bremen pendelnder Freund, der nicht in seiner Freizeit auch noch mit dem Auto rumgurken wollte, mein frisch nach Bremen gezogener Freund, der gerade einen neuen Job angefangen hatte, meine sehr kranken Katzen und natürlich mein Dienstplan… Irgendwas war immer.
Aber trotzdem haben wir es uns bisher immer zusammen schön gemacht an den Feiertagen! Zu Hause ist es ja auch schön, solange man sich freiwillig dort aufhält.
Auch dieses Jahr hätte ich unter normalen Umständen Ostern in Hamburg bleiben müssen wegen Rufbereitschaft. Mein Gott, wie weit weg das alles schon ist, nachdem der Proben- und Vorstellungsbetrieb nun seit vier Wochen ruht. Eigentlich säße ich hier und hoffte, dass keiner auf dem Bereitschaftshandy anruft. Und dass mein Freund heute kommt und bis Montagabend bleibt. Und dann hätten wir es uns gemütlich gemacht, ganz viel gegessen und bei Netflix sämtliche Neuerscheinungen überprüft. Zwischendurch vielleicht mal kurz spazieren gegangen, aber nur weil die Sonne so schön scheint.
Und nun sitze ich hier. Das Bereitschaftshandy liegt irgendwo in einer Büroschublade und wahrscheinlich wird sich, wenn es eines Tages wieder benutzt werden soll, keiner mehr an den PIN erinnern. Das ganze Opernhaus ist auf Notbetrieb umgestellt, das heißt in einigen Büros und Werkstätten wird in kleiner Besetzung gearbeitet, aber die gesamte Kunst ist zur Kurzarbeit angemeldet und findet nur noch auf Balkonen und im Internet statt, fernab der großen Bühne. Der eiserne Vorhang ist schon so lange heruntergelassen, dass er hoffentlich nicht in dieser Position festrostet.
Es würde mich also niemand aus dienstlichen Gründen davon abhalten, zu meinem Freund nach Bremen zu fahren. Wahlweise könnte er natürlich auch zu mir kommen. Verboten ist das nicht, die Zusammenkunft mit dem Lebenspartner ist, sogar in den Bundesländern mit strengeren Corona-Beschränkungen als Hamburg, zulässig, selbst wenn man dafür Landesgrenzen überschreiten muss. Frl. Leonie Mau und Frl. Lotte Miez könnten – auch ohne den Besuch einer Katzensitterin – sicherlich mindestens eine Nacht ohne mich überstehen, natürlich mit einem großen Berg Trockenfutter und der Aussicht auf Streicheleinheiten und ganz viele Tütchen umgehend nach meiner Rückkehr nach Hause.
Und trotzdem sitzen mein Freund und ich nicht zusammen auf dem Sofa, sondern jede*r für sich auf dem jeweils eigenen Sofa, mit den jeweils eigenen Katzen. Und wir vermissen uns gegenseitig wie blöd. Und fragen uns, ob wir nun eigentlich vernünftig sind oder feige oder was auch immer.
Wer will in Zeiten wie diesen schon mit Sicherheit sagen, was vernünftig und was feige ist?
Tatsache ist, dass wir beide, mein Freund und ich, einen gehörigen Respekt vor dem Corona-Virus empfinden und uns nach Möglichkeit nicht anstecken möchten. Beide haben wir, mittlerweile eher Ende als Mitte 50 und durchaus mit gewissen Risikomerkmalen, große Angst vor einem schweren Verlauf mit Krankenhaus und Intensivstation. Vorm Sterben an so einem Scheißvirus sowieso. Und überhaupt keine Lust, uns gegenseitig anzustecken und dann vielleicht die ‟Schuld” daran tragen zu müssen, dass es dem/der anderen schlecht damit geht.
Ich bin ja im Moment noch im Homeoffice und habe das Gefühl, mein Leben ziemlich sicher gestalten zu können. Ich gehe wenig raus, halte viel Abstand von allen Mitmenschen, vermeide Supermärkte und die Öffis (und wenn ich sie nutze, dann mit meinem hübschen pinkfarbenen Mundschutz aus Baumwolle) und singe beim Händewaschen immer ‟I don’t wanna be alone, where is my baby?”. Ungefähr siebzigmal am Tag. Sobald es eine Tracking- und Frühwarn-App gibt, werde ich sie installieren. So weit, so übersichtlich.
Mein Freund aber muss arbeiten. In einer Klinik, wenngleich in der psychiatrischen Abteilung, aber mit diversen Kontakten zu Kollegen und Patienten. Er trägt den ganzen Tag einen offiziellen, von der Klinik bereitgestellten Mundschutz aus Papier, der dann über Nacht getrocknet und am nächsten Tag weiterverwendet wird. Sicher geschützt fühlt er sich damit nicht, zumal ja beim Essen, Trinken, Kratzen an der Nase etc. der Mundschutz auch entfernt werden muss, egal ob man sich im Kreise der Kollegen aufhält oder nicht. Wenn er nach der Arbeit noch zum Einkaufen in den Supermarkt kommt, stößt er auf das Bremer Phänomen, dass Mitmenschen keinen Abstand halten, weil sie das ganze Corona-Getue für übertrieben halten, und trotzdem das ganze Klopapier weghamstern, weil man eben doch für alle Fälle gerüstet sein muss. Mein Freund fürchtet, dass es unter diesen Umständen nur eine Frage der Zeit ist, bis er sich ansteckt. Bei jedem Husten oder Kratzen im Hals beobachtet er sich selbst sehr argwöhnisch. Und treffen möchte er mich vorsichtshalber nicht.
Ich verbringe einen großen Teil des Tages damit, mir Szenarien zu überlegen, bei denen wir uns begegnen können, ohne dass eine Möglichkeit zur Ansteckung entsteht. Viel weiter als bis zu ‟Im Morgengrauen auf der Lichtung” bin ich dabei aber noch nicht gekommen. Und die Frage, wie ich vom Bahnhof zur Lichtung komme, wer das Bier mitbringt und ob es da passende Sitzgelegenheiten im Abstand von zwei Metern gibt, ist auch noch nicht geklärt.
Was ich mich auch frage: Wie wird es weitergehen? Ich vermute, dass die Corona-Beschränkungen – hoffentlich – nur langsam gelockert werden können, aber: Irgendwann werde ich sicherlich wieder im Büro arbeiten müssen, auch wenn es voraussichtlich noch länger dauern wird, bis die großen Theater wieder vor Publikum spielen dürfen. Werden wir dann auch mit Mundschutz in Besprechungen sitzen müssen – und werden sich alle Kollegen an solche Anordnungen halten? Werde ich dann auch täglich Angst haben, mich zu infizieren?
Im Juli haben wir dann endlich Urlaub, falls die Theater-Sommerpause nicht noch verlegt wird. Dann muss mein Freund sich endlich nicht mehr täglich der Infektionsgefahr in der Klinik aussetzen und das Risiko, dass er mich anstecken kann, nimmt jeden Tag ab. Aber bis zum Juli wollen wir mit unserem Wiedersehen doch nicht warten, verdammte Axt.
Kann bitte mal jemand ein Heilmittel für Corona erfinden oder, noch besser, eine Impfung? Und zwar bald? Das wäre hilfreich für mein Liebesleben, vielen Dank. Ansonsten: Frohe Ostern!
Hallo liebe Bettina,
deinen Block zu lesen macht mir immer wieder großen Spaß, auch wenn der Anlass nicht so toll ist gerade. Ich lebe mit meiner Familie 4 Erw., 3 Katzen und Hund in der Nähe von Tübingen.
Die Schwaben hier sind mit dem Abstand halten ganz vernünftig (Blödis gibts überall), meine Familie und ich haben den Virus hinter uns. Alle ausser mein Mann, welcher auch eine Vorerkrankung hat sind mit harmlosen Symptomen davon gekommen. Ihn hat es aber ziemlich stark erwischt und gottseidank noch ohne Klinikaufenthalt.
Daher haltet durch, es ist schon ein blödes Gefühl wenn man den Virus hat und die ganze Zeit hofft das nix schlimmeres passiert.
Liebe Grüße und Danke für deine unterhaltsamen Beiträge,
haltet die Öhrchen steif, es kommen auch wieder bessere Zeiten.
LG Sabine