Frohe Weihnachten allerseits.

Was ist das eigentlich mit den Weihnachtsritualen?  Haben Sie auch welche, die jedes Jahr in der Adventszeit oder direkt zum Weihnachtsfest stattfinden müssen, um dem Fest seine volle Bedeutung zu verleihen und Ihnen ein Gefühl von Sinn und Orientierung zu geben? Oder stehen Sie – wie ich – wie Ochs und Esel vorm Berg und überlegen krampfhaft, ob Sie „Die Innenstadt um jeden Preis umgehen und auf gar keinen Fall versehentlich auf einen Weihnachtsmarkt geraten“ zum Ritual erklären dürfen oder ob dann eventuell die Ritualpolizei kommt und Sie verhaftet?

Sammeln Sie Moos im tiefen dunklen Wald? Backen Sie Plätzchen, mindestens acht Sorten? Besuchen Sie immer am letzten Freitag vor Weihnachten mit Kollegen den Weihnachtsmarkt und mit den Kindern am 4. Advent? Feiern Sie überhaupt Advent? Mit Kranz und Kerzen? Verbringen Sie einen gemütlichen Abend bei Kerzenlicht mit dem liebevollen Verpacken von Geschenken? Besuchen Sie Lesungen, Konzerte? Gehen Sie in den Wald, um Ihren persönlichen Weihnachtsbaum zu holen, oder auf den Wochenmarkt? Gehen Sie um 15 Uhr zum Krippenspiel oder um 23 Uhr zur Christmette?

Tun Sie diese Dinge oder einige davon oder ganz andere, die Sie zum Ritual erklärt haben? Wäre Weihnachten ohne diese Rituale kein richtiges Weihnachten?

Ich will das ja nicht kleinmachen und schlechtreden, aber: Ist das nicht alles furchtbar anstrengend und mühsam und letztendlich unbefriedigend, weil immer was schief geht und immer jemand schlechte Laune, Verdauungsstörungen oder Liebeskummer hat oder ins Krankenhaus muss? Sind Weihnachtsbäume nicht furchtbar teuer und im Wohnzimmer nie so schön wie im Wald und sind echte Kerzen eigentlich inzwischen verboten? Steht Moos nicht vielleicht doch unter Naturschutz? Nervt das Krippenspiel nicht total, vor allem weil vorher noch 23 Minuten lang ein Blockflötenquartett rumpiepst? Schmeckt der Braten nur halb so gut wie in der Kindheit? Ist es wirklich ein Vergnügen, sich mit Schokolade zu überfressen? 

Sie sehen schon: Ich trage mich mit Bedenken. Ich scheue mich, Handlungen und Gewohnheiten zu Ritualen zu erklären. Ich will keine zu hohen Erwartungen wecken. Ich will nicht stundenlang in der Küche stehen und ich will nicht in überfüllten Innenstädten einkaufen müssen, wo dann auch noch die Busse wegen einer Weihnachtsparade eine Umleitung fahren. Ich will keine großen Pläne machen – schließlich habe ich Opern-Bereitschaftsdienst und könnte im Notfall, wenn Sänger für die Zauberflöte krank werden und neue gefunden werden müssen, auch ins Büro gerufen werden. Ich will aber auch nicht meinen Freund, meine Katzen und mich selbst unter irgendeinen feierlichen Ritualdruck setzen und dann ununterbrochen damit beschäftigt sein, Erwartungen zu erfüllen.

In meiner Jugend war Weihnachten schwierig. Für mich und alle, die mit mir zu tun hatten. Ich war grundsätzlich unzufrieden, manchmal gar unglücklich, weil unglücklich verliebt (ja, durchgehend!). Und da mir das in der leuchtenden, klingenden, duftenden Weihnachtszeit immer besonders bewusst wurde, hatte ich auch besonders schlechte Laune und das Gefühl, nicht zufrieden sein zu können mit dem, was ich hatte. Was extrem ungerecht gegenüber meinen leidgeprüften Eltern, meiner nassgeheulten  Katze und den hundert Kilo Schokolade war, die ich jedes Jahr aß.

Heute habe ich meistens bessere Laune, aber ich bin sehr vorsichtig geblieben, was meine Erwartungen an Weihnachten angeht. Ich bereite nicht viel vor, erkläre die Dinge, die ich tue, nicht zu Ritualen und schaue einfach mal, was kommt. Manchmal ist es dann alles gar nicht so schlimm bzw. gelegentlich macht es sogar ein bisschen Spaß. Das Weihnachtsoratorium hören kann man ja auch einfach so. Und vier Wochen lang Stollenkonfekt mampfen. Am Heiligabend gemütlich zusammensitzen und essen. Mit Kirchenbesuch oder ohne. Wir machen einfach, was uns gut und richtig erscheint. Die alte Swingerclubweisheit „Alles kann, nichts muss!“ kommt mir in den Sinn und passt doch eigentlich ganz gut.

Ihnen wünsche ich natürlich die Weihnachten, die Sie sich wünschen und die Sie brauchen. Mit allem Drum und Dran. Oder ohne. Mit lieben Menschen, Tieren und Ritualen. Ohne Liebeskummer, Verdauungsstörungen und Streitigkeiten, dafür mit Freude, Licht, gutem Essen und Musik!

Frohe Weihnachten allerseits!

1 Kommentar

  1. Ich wollte immer nur, dass es vorbeigeht. Schon während der Ausbildung im Buchhandel ging es los. Bereits ein paar Wochen vor Weihnachten.Überstunden, permanent klingeldes Telefon, hypergestresste Kundschaft und die Order aus der Chefetage: Der Kunde ist KÖNIG!
    Einen Tag vor dem Fest eskalierte immer alles.
    Der Laden bumsvoll, das gestresste Volk riss wahlos Bücher aus den Regalen, knallte sie auf den Kassentresen: Packen Se alle ein. Haben Se kein anderes Papier? Können wa die umtauschen?
    Im ganzen Chaos riefen mich Menschen an, die ich nur flüchtig kannte, die sich mit mir aber plötzlich innig verbunden fühlten: Können Se mir ein Buch mitbringen? Für Onkel, Tante, Bruder, Schwester? Irgendwas Nettes? Dann muss ich nicht mehr in die Stadt! Ach – und packen Se das gleich in Geschenkpapier.
    Ich zog mir dann meinen Mantel an, um gefahrlos das Gewünschte aus den Regalen zu fischen. Undercover quasi.

    Mein einziges Ritual: Strategien entwickeln, um diese Wochen einfach nur zu überleben.
    Es gibt ein Foto von mir, da liege ich nach Feierabend an Heiligabend tief und fest schlafend auf dem Bett. Mein Kind weckte mich zur Bescherung.

    Natürlich wurde dann alles noch schön weihnachtlich, weil das eben so muss.
    Und ja, verdammt! ICH BIN IMMER NOCH TRAUMATISIERT! Und ich meide auch Weihnachtsmärkte wie der Teufel das Weihwasser.

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