Gastbeitrag von @esistok: Selbsthilfe

Wenn ich nur soviel Knete hätte wie Probleme. Das wär schick.

Seit gut zweieinhalb Jahren kann ich nicht mehr arbeiten – psychische Probleme. Ich bin ganz gut aufgestellt; zB habe ich einen Psychiater (Psychiater: redet nicht sehr viel mit einem, darf aber krankschreiben und Tabletten verschreiben).

Der ist Dr med., dann wohl Fachweiterbildung Richtung Psychiater. Er ist nett, jung, dynamisch. Warum ich krank bin, versteht er allerdings nicht so richtig. Da sind wir schon zu zweit.

Neulich meinte er, ich sei ja „austherapiert“. Das ist ein total schickes Wort, finde ich, so wie „Teilerwerbsminderungsrentenantragsformular“ oder die Diagnose „Anpassungsstörung“. Keine Ahnung, was „austherapiert“ bedeutet – ist jetzt alles zu spät? Keine Therapie mehr möglich? Super. („Anpassungsstörung“ bedeutet was anderes, weiß ich, aber für mich heißt es auch: ich, der Besitzer dieser Diagnose, bin zum einen gestört. Und zum anderen kann ich mich nicht fucking anpassen. Scheißwort, sag ich doch.)

Gut, gut. Ich bin nicht nur psychiatrisch gut aufgestellt, sondern ich hab auch einen Therapeuten (Therapeut ist idR Psychologe: darf weder krankschreiben noch Tabletten verschreiben, spricht aber mit einem). Jaja. Man ist normalerweise ja am Arsch, wenn man einen Therapeuten sucht. Und falls man ländlich wohnt, ist man sogar noch übler dran.

Aber: wenn man Therapie braucht, ist man ja manchmal so krank, dass man nicht arbeitsfähig ist. In mancher Hinsicht ist das nicht gut, im Hinblick auf die TherapeutInnensuche kann es helfen. Zum einen hat man Zeit, die Leute zu ihren Sprechzeiten anzurufen. Ja, stimmt, nicht alle nehmen ihr Telefon ab in dieser Sprechzeit (die übrigens verpflichtend ist). Es hilft übrigens, vorher für sich zu klären, welche Art der Therapie man als hilfreich erachtet: Verhaltens-, analytische-, systemische- oder tiefenpsychologische Psychotherapie.

Dann kann man die, die man nicht will, von der Liste streichen. Die Liste kommt übrigens von der kassenärztlichen Vereinigung und ist in Großstädten echt lang. Filter können da helfen. Auch der, ob der Therapiemensch überhaupt Kassenpatienten nimmt. Kickt man die, die nur Privatpatienten nehmen, raus, wird’s übersichtlicher.

Und: spaßeshalber kann man auch von hinten anfangen. Also Buchstabe Z. Da kommen nämlich nicht mehr viele Suchende an. Denn, seien wir ehrlich: Therapeutensuche ist Mist. Grade für kranke Menschen, die Therapie brauchen, ist es tierisch anstrengend, dermaßen viel zu telefonieren – und dann oft, sogar meistens, Absagen zu hören.

Deshalb nutzt alle Tricks!

Zum anderen: wenn man krank ist, hat man wenigstens etwas, nämlich Zeit. Das ist für die Therapiesuche gut, weil viele, die in Therapie sind, arbeiten, und die haben dann erst nach Feierabend Zeit. Die Therapeuten haben öfter Slots in den Vormittagsstunden.

Mein Therapeut ist klasse, finde ich. ZB hat er mir erklärt, das Therapie nicht der einzige Weg zur Genesung sein muss. Ein anderer ist natürlich die Medikation. Da muss jeder selbst kucken. Die meisten Ärzte (=Psychiater, Neurologen) gehen nach der Devise: soviel wie nötig, so wenig wie möglich. Hoffentlich handelt euer Doc auch danach.

Da auch Psychiater in der Regel überlaufen sind, nutzen manche ihren Hausarzt, den Allgemeinmediziner. Hm, hm. Das ist bei psychischen Erkrankungen so mittel hilfreich, denn die (Erkrankungen) sind oft recht speziell. Lieber zum Facharzt.

Die dritte Säule neben Medis und Therapie kann eine Selbsthilfegruppe sein.

Probiert das ruhig mal aus. Und wenn es bei einer nicht so toll ist, nehmt die nächste!

Wenn ihr (genau wie beim Therapeuten) kein gutes Gefühl habt, lasst es.

Selbsthilfegruppen sind Vertrauenssache, man öffnet sich ja schließlich und gewährt Leuten, die man nicht so gut kennt, Einblick in die eigene Psyche. Das kann auch ungute Gefühle hervorrufen, wenn es nicht die passende Gruppe ist.

Ich habe einige Gruppen probiert. In Alkigruppen waren meine Depressionen kein Thema, in Deprigruppen durfte man nicht über Sucht reden. Für mich ist aber klar, dass viele Menschen ihre psychischen Probleme mit Drogen und/oder Alkohol abmildern wollen. Führt dann oft direktemang in eine gepflegte Sucht.

Darüber wollte ich mich mit Leidensgenossen austauschen. Mittlerweile habe ich seit einem Jahr eine solche Gruppe, in der Depressionen und auch Sucht Themen sind, gefunden. Dort sind viele nicht süchtig, aber es ist klasse, sich manchmal mit Leuten über Sucht austauschen zu können.

Und es ist gut, sich mit Leuten zu unterhalten, die sich mit Depressionen auskennen. Die wissen, dass man manchmal wie gelähmt ist und kaum aus dem Bett kommt. Dass man nicht einfach traurig ist. Die schon mal 20 Kilo rauf und später wieder runter (wegen der Medikamente zB) geklettert sind.

Und die wissen, dass Sprüche wie „geh doch mal raus“, „mach doch Sport“, „das wird schon wieder“ richtig Kacke sind.

Ich wünsche euch bei den ganzen Herausforderungen, die solche fucking Krankheiten mit sich bringen, gutes Gelingen!

 

 

3 Kommentare

  1. Manchmal stützt ein Mensch der einfach neben einem sitzt. Oftmals ist es mehr als eins an anderen Tagen ertragen kann. Habe dankend eine Offenheit in mein Herz genommen.
    Lieben Gruß

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