Ich würde ja nicht sagen, dass diese Bronchitis heftig war, aber: Leute, diese Bronchitis war heftig. Kaum hatte sie ihr erstes Rasseln irgendwo in dem Bereich, wo andere Menschen einen Hals haben, ertönen lassen, da fühlte ich mich auch schon krank. So richtig krank mit Schwäche, Antriebslosigkeit, Hitzewallungen, Schüttelfrost und einem dicken Druck auf der Brust. Was ich nicht oder nur am Rande hatte, waren klassische Erkältungssymptome wie Husten, Schnupfen, Heiserkeit.
Ich kenne das schon. Meine Bronchien sind nicht sehr produktiv, sie machen einfach nur dicht. Wenn ich Schleim abhuste, dann meist in so zäher und krümeliger Form, dass ich davon auch gleich einen Brechreiz bekomme. Dem ich dieses Mal sogar einige Male nachgeben musste. So schön, wenn der Magen dann plötzlich auch noch eine Meinung zum Thema hat, obwohl ihm eigentlich gar nichts fehlt.
Wie gesagt: Ich kenne das alles schon. Ich bin ja zum Glück selten krank, aber ich habe ein gutes Gedächtnis. Und in den letzten Jahren habe ich neue Muster erkannt und mich darauf eingestellt. Vielleicht hat es mit dem Älterwerden zu tun, vielleicht aber auch mit einer verbesserten Eigenwahrnehmung und der prinzipiellen Bereitschaft, auf meinen Körper zu hören, wenn er mir signalisiert, dass er – ich! – eine Auszeit braucht. Das Zeitfenster für Verhandlungen mit mir selbst und für kleinere Opfergaben wie Tee, Hustenbonbons oder einen Abend früh ins Bett ist erheblich kleiner geworden und meine Bronchien nicht verhandlungsbereiter. Eigentlich kann ich mich, wenn ich die Symptome feststelle, direkt ins Bett legen und krank melden.
So auch dieses Mal, jedoch passte das leider gar nicht in meinen Kalender. Am Mittwoch nahm ich erste Symptome wahr, ging also nach Feierabend nicht zum Sport, sondern direkt nach Hause. Mir war aber klar, dass ich am Donnerstag, egal wie, noch wenigstens bis mittags ins Büro musste. Denn abends hatte ich meinen Hospizkurs und den wollte ich auf keinen Fall versäumen. Die Kraft des Willens machte es möglich: Ich arbeitete bis mittags, legte mich zwei Stunden aufs Ohr und ging zu meinem Kurs.
Der Abend war sehr schön. Es war unser erstes Treffen nach der Feiertagspause und wir waren wirklich froh, wieder zusammen zu sein. Außerdem wurden Termine für unsere ersten Hospitationen, die darin bestehen, die nachmittägliche Kaffeerunde durch das Hospiz mitzumachen, verteilt. Aufregend, das kann ich Ihnen versichern, denn auf diesen Runden haben wir das erste Mal in unserer Funktion als Ehrenamtliche Kontakt mit den Gästen des Hospizes. Und die Vorstellung, zum ersten Mal leise an eine Tür zu klopfen und nicht zu wissen, wer in dem Zimmer dahinter ist, ob er/sie sitzt, liegt, aus dem Fenster schaut, sich freut, eher ablehnend wirkt, Kaffee möchte oder gerade gegen seine Übelkeit kämpft, die ist durchaus aufwühlend, da waren die Kursteilnehmer sich einig.
Im zweiten Teil des Abends gab es dann Kleingruppenarbeit mit Rollenspiel, spaßig, aber ich merkte, dass meine Energie nur knapp bis zum Ende des Abends reichen würde. Die letzten 20 Minuten wurden dann recht mühsam, mir wurde eiskalt und ich merkte, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Wenigstens hatte ich auf dem Weg ins Hospiz noch genügend Katzenfuttertütchen eingekauft, um über das Wochenende zu kommen.
Ich legte mich an diesem Abend ins Bett und deaktivierte direkt den Wecker für den nächsten Morgen – mir war klar, dass ich nicht ins Büro gehen würde. Dann löschte ich – gegen halb zehn – das Licht und hoffte, nun in einen tiefen und erholsamen Schlaf zu fallen.
Was natürlich nicht klappte. In meinem Kopf rappelte es wie verrückt und auch mein erschöpfter Körper wollte nicht zur Ruhe kommen. Gesprächsfetzen vom Abend flogen durch mein Hirn, kombinierten sich neu und in absurder Zusammenstellung. Versuche, meine Gedanken sinnvoll zu führen, verpufften, meine bronchitische Matschbirne machte sich selbstständig. Ein Teil von mir versuchte ständig, Termine zu sortieren und in den Kalender zu schreiben. Ein anderer Teil ging noch mal das Rollenspiel aus unserer Kleingruppe durch und beleuchtete die zu bearbeitenden Situation aus verschiedenen Perspektiven. Ein dritter Teil meines Hirns war mit dem Kaffeewagen unterwegs und stand zögerlich vor einer verschlossenen Zimmertür. Ich war im Stress.
„Schluss jetzt!“, versuchte ich mich selbst zur Ordnung zu rufen. „Du hast alles erledigt, der Termin für die Kaffee-Hospitation steht im Kalender, das Rollenspiel ist vorbei und heute gibt es keinen Kaffee mehr. Du bist krank und liegst im Bett! Du musst jetzt schlafen!“
„Ich kann aber nicht schlafen“, rief mein Hirn zurück. „Und das sind natürlich sehr interessante neue Aspekte, aus denen ich dir Gedankenkreisel bauen kann. Also: Wir sind krank und liegen im Bett.“
Schwupp, schon sah ich mich auf meiner inneren Leinwand in einem Hospizbett liegen und hörte ein zaghaftes Klopfen an der Tür.
„He, Moment!“ rief ich, „so war das nicht vorgesehen!“. Aber mein Hirn kicherte nur hämisch und verkündete: „Rollenspiel! Du bist krank und liegst im Bett! Los jetzt.“
„Ich bin krank“, gestand ich meinem Hirn zu. „Aber nicht lebensbedrohlich. Ich liege ein paar Tage im Bett und dann bin ich wieder fit und gesund!“
„Tja“, sagte mein Hirn nachdenklich. „Das glaubst du. Aber was, wenn es nicht so wäre?“
„Wie jetzt: Wenn das nicht so wäre?“
„Stell dir vor“, wies mich mein Hirn an, „du liegst im Bett, fühlst dich beschissen, dir ist übel UND du weißt, das wird nie wieder besser.“
„Hm“, machte ich unverbindlich und wollte meine Gedanken gerade zurück auf sicheren Untergrund zerren. Da schaltete sich die innere Leinwand wieder ein und Schwupp: Ich lag wieder in einem Hospizbett bei gedimmtem Licht. Und fühlte mich elend. Hatte es da gerade zaghaft an die Tür geklopft?
Verdammt noch mal! Ich rüttelte mich wach und siehe da, ich lag nicht in einem Hospizbett, sondern in meinem eigenen Bett in meinem eigenen Schlafzimmer. Und die Katzen klopfen weder an die Tür noch treten sie besonders zaghaft ins Zimmer! Alles gut.
Bis ich das nächste Mal kurz vorm Einschlafen war, mir wieder ganz andere Bilder vor den Augen standen und ich mich zügig selbst wieder wachrüttelte. Ganz schön anstrengend. Und das die nächsten zwei Tage durchgehend, tagsüber ebenso wie nachts. Es dauerte, bis ich wieder tief und entspannt schlafen konnte und zum Wachsein fehlte mir ganz klar auch die Kraft.
Wie ist das, wenn man krank ist und weiß, es wird nicht wieder besser, sondern nur noch schlechter? Schmerzen, Übelkeit, Luftnot, Schwäche… keiner kann dir sagen, ob es nur noch einen einzigen Tag in deinem Leben geben wird, an dem du nicht von diesen Symptomen beeinflusst wirst. Wie fühlt sich das an und wie zum Geier geht man damit um? Wie ist das, wenn in jedem Moment, in dem du gerade nichts Besseres zu denken hast und in dem du deine Gedanken mal kurz nicht kontrollierst und zensierst, die Angst in dir aufsteigt? Wie ist es, wenn dann eine Ehrenamtliche an deine Tür klopft und fragt, ob du Kaffee möchtest?
Ich war in diesen zwei Tagen und Nächten zu matschig, um wirklich große Gedanken zu denken. Ich kreiselte einfach so vor mich hin und die Dinge durchmischten sich. Ich wusste die ganze Zeit, dass ich bloß eine doofe Bronchitis habe und dass diese bald wieder besser wird. Und trotzdem verrutschte immer wieder meine Perspektive und mein Hirn tüdelte sich durch die verschiedenen Elemente, die mich gerade noch beschäftigt hatten.
Keine Ahnung, ob ich auf diese Weise irgendwas wirklich bearbeitet habe, in mir oder für mich. Vielleicht merke ich das ja demnächst, wenn ich dann wirklich an die verschiedenen Türen im Hospiz klopfe und den Menschen, die hinter diesen Türen warten, Kaffee und Kuchen anbiete.
Puh. Das klingt nach harten Tagen und Nächten. Passiert mir leider auch immer wieder, wenn ich richtig krank bin. Mein Gehirn bastelt aus den Eindrücken meiner Arbeit als Sozialpädagogin, die ich normalerweise gut verarbeiten kann, plötzlich Horroszenarien und Schlafen wird ebenso zur Qual wie das wach sein. Bei mir hilft es meinem Hirn eine Ablenkung in Form von vertrauten Hörbüchern zu bieten.
Ich hoffe es geht dir schon besser und du wirst die Reste der Bronchitis schnell los.