Hello Kopfschmerz, my old friend…

… you’ve come to talk to me again…. Was ja gar nicht nötig wäre, denn wir kennen uns gut und verstehen uns mittlerweile ohne Worte. Und trotzdem kommst du und laberst mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit voll!

Kennen Sie diesen Kopfschmerz, der Sie immer durch den Tag begleitet, auch wenn Sie ihn gerade mal nicht spüren? Der immer in Ihrer Nähe ist und jede andere Tätigkeit gerne unterbricht, wenn er spürt, dass Sie jetzt vielleicht gleich mal eine ruhige Minute haben und sich entspannen könnten? Und sich dann über Sie legt wie ein schützender Mantel wie eine düstere, wabbelige Masse, die Ihnen die Luft nimmt und alle Gedanken blockiert?

Ich nenne ihn nicht mehr Migräne, sondern Herbert. Herbert ist ein Arsch und vielleicht ist er ein Stück meiner männlichen Seite, dem meine sonstigen derzeitigen Befindlichkeiten, die im Allgemeinen der Hormonumstellung durch die Wechseljahre geschuldet sind, nicht männlich genug erscheinen.

Migräne hatte ich früher, so zwischen 25 und 35. Sie gab sich größte Mühe, mich umzubringen, und brachte mir stechende Kopfschmerzen, Seh- und Gleichgewichtsstörungen sowie ständige Übelkeit. Nichts half gegen sie außer sich in einen ruhigen dunklen Raum zurückzuziehen, im schlimmsten Fall drei Tage lang.

Herbert ist längst nicht so schlimm wie Migräne. Er will mich nicht umbringen, er zwingt mich nur zu Entspannung, Langeweile und Tatenlosigkeit, denn Anstrengung, Aufregung und schnelle Bewegungen machen ihn schlimmer. Wenn ich ruhig auf dem Sofa sitze, lese oder fernsehe, in regelmäßigen Abständen Tabletten einwerfe und ununterbrochen esse und vor allem trinke, geht es eigentlich ganz gut. Vermeiden muss ich nur Temperaturschwankungen, Stress, Telefonklingeln, grelles Licht, schnelle Bewegungen, langsame Bewegungen, schlechte Laune, Zahnschmerzen, gute Laune, Sex, Zigarettenrauch im Umkreis von 50 Metern, Autofahren, laute Musik, starke Gerüche, Alkohol, zu viel Süßigkeiten, zu wenig Süßigkeiten, Weinen, Husten, Niesen, Schluckauf, gebückte Haltungen und Gespräche mit mehr als hundert Wörtern pro Stunde.

Herbert kommt grundsätzlich zum Wochenende. Seine Vorboten sendet er normalerweise freitags um die Mittagszeit. Bis zum Feierabend hält er sich im Hintergrund wie ein minimiertes Fenster unter Windows. Nur ab und zu schickt er eine kurze Push-Benachrichtigung, die mich an ihn erinnert. Das ist ganz praktisch, denn ich weiß dann, dass ich auf dem Weg nach Hause Brot kaufen muss. Brot ist sozusagen mein wichtigster Verbündeter im Kampf gegen Herbert, denn Brot ermöglicht es mir, am nächsten Morgen Kopfschmerztabletten zu nehmen, die ich auf leeren Magen nicht vertrage. Manchmal ersetzt Brot sogar die Kopfschmerztablette, denn Brot beruhigt den Magen und besänftigt damit manchmal auch Herbert. Mit leerem Magen hingegen wird Herbert noch schlimmer und wenn dann noch Übelkeit hinzukommt, sieht es schlecht aus für Brot und Tablette.

Wenn ich kein Brot habe oder den Moment verpasse, zu essen und eine Tablette zu nehmen – zum Beispiel weil es drei Uhr morgens ist und ich gerade schlafe – das ist schlecht. Dann wütet Herbert beim Aufwachen schon so, dass der Tag eigentlich von Anfang an keine Chance mehr hat. Aber zum Glück ist ja Wochenende und ich kann im Bett bleiben. Das haben die Natur und Herbert sicher ganz bewusst so eingerichtet.

Herbert ist arbeitgeberfreundlich, der Arsch. Bis Montagmorgen hat er sich meistens wieder verzogen, so dass ich ungehindert zur Arbeit gehen kann. Nicht besonders ausgeruht, versteht sich, aber wer ist das schon? Und Herbert legt sich dann hin und macht für die nächsten viereinhalb Tage ein Nickerchen, damit er schön ausgeruht ist, wenn er das nächste Mal zu mir kommt. Und dann labert er mich wieder voll mit dieser aufdringlichen Vertraulichkeit, weil wir uns ja schon so lange kennen. Und wenn ich dann mal ausraste und ihn anschreie, dass er weggehen soll, dann fragt er womöglich, ob wir nicht mal eine Paartherapie zusammen machen wollen. Schließlich ist er sensibel, der Herbert, er will sich ja nicht nachsagen lassen, dass er meine gereizte Stimmung ignoriert. Und ich überlege währenddessen, ob ich ihn lieber an einer Autobahnraststätte aussetzen oder einen Vertragskiller auf ihn ansetzen soll. Aber der erschießt dann wahrscheinlich versehentlich mich.

Vielleicht ist eine Paartherapie gar keine so schlechte Idee. Ich muss noch mal in Ruhe überlegen. Sobald Herbert seinen Wochenendbesuch beendet hat, also vermutlich heute nach dem Tatort.

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