Sicher haben Sie schon mal mindestens einmal in Ihrem Leben an einem Erste-Hilfe-Kurs teilgenommen und dort, mehr oder weniger nachhaltig, etwas darüber gelernt, wie man Menschen bei akuter Verletzung oder Erkrankung hilft und möglicherweise das Leben rettet.
Vermutlich waren Sie aber noch nie bei einem Letzte-Hilfe-Kurs, in dem es darum ging, Menschen am Ende ihres Lebens zu helfen, indem man ihre Leiden lindert und ihre Lebensqualität fördert. Vielleicht haben Sie sogar noch nie etwas davon gehört, dass es solche Kurse gibt.
Mein Freund und ich haben heute an einem Letzte-Hilfe-Kurs teilgenommen. Eingeladen hatte uns der Förderverein der Palliativstation des Krankenhauses, in dem mein Vater vor knapp zwei Jahren vier seiner letzten Wochen in diesem Leben verbracht hat. Der Kurs war offen für jeden Interessierten, erforderte keine Vorkenntnisse, umfasste vier Stunden, war kostenlos und es gab sogar einen Imbiss zwischendurch.
Ein Palliativmediziner und eine Palliativfachpflegekraft führten die kleine und selbstverständlich feine Teilnehmerschar (die Höchstteilnehmeranzahl wäre 15 gewesen, wohl wegen des langen Wochenendes saßen wir aber mit nur acht Interessierten im Stuhlkreis) durch vier Module:
- Sterben ist ein Teil des Lebens
- Vorsorgen und Entscheiden
- Körperliche, psychische, soziale und existenzielle Nöte
- Abschied nehmen vom Leben
1. Sterben ist ein Teil des Lebens
Sterben ist ein Teil des Lebens. Von der Natur so vorgesehen und unvermeidlich. Es trifft jeden von uns, früher oder später. Was eigentlich Grund genug sein sollte, sich im Laufe seines Lebens damit auseinanderzusetzen. Sich die Frage zu stellen: Wie möchte ich sterben? Und wo? Und was kann oder muss ich tun, um die Chancen dafür zu erhöhen, dass ich in Würde und selbstbestimmt sterben kann?
Die meisten Menschen, zu diesem Thema befragt, wünschen sich einen friedlichen Tod. Zu Hause. Und tatsächlich ist es so, dass sich das in sehr vielen Fällen verwirklichen lässt. Ließe. Denn man muss möglicherweise wissen, dass es eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) und ambulante Hospizdienste gibt, die in Zusammenarbeit mit Haus- und Fachärzten und normalen Pflegediensten genau dies ermöglichen. Und eben diese Betreuung dann auch abfordern und beantragen. Ebenso wie man wissen muss, dass man sich mit den Symptomen einer lebensbedrohlichen und zum Tode führenden Krankheit vom Hausarzt gezielt auf eine Palliativstation einweisen lassen kann und nicht ins „normale Krankenhaus“ muss. Dass es stationäre Hospize gibt, in denen man rundum liebevoll versorgt seine letzte Zeit verbringen und behütet sterben kann, falls es zu Hause eben doch nicht mehr gehen sollte.
All das sollten wir wissen und wir sollten miteinander darüber sprechen. Den Tod zu ignorieren und sich nicht mit ihm befassen zu wollen, macht das Sterben nicht einfacher. Nicht für den, der stirbt, und auch nicht für den, der den Sterbenden begleitet. Oder gern begleiten würde, wenn er nur wüsste wie.
2. Vorsorgen und Entscheiden
Das zweite Modul befasst sich vor allem mit den beiden wichtigen Instrumenten Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Der Förderverein „unserer“ Palliativstation bietet, neben vielfältigem Infomaterial, auf seiner Website auch Vordrucke zum Download an. Diese heben, nicht ganz unerwartet, darauf ab, sicherzustellen, dass man im Fall der Fälle nach Möglichkeit in den Genuss von palliativer Versorgung kommt. Im Moment allerdings werden diese Vordrucke gerade überarbeitet: Nach einem Beschluss des BGH im letzten Jahr dürften viele der in Deutschland in Gebrauch befindlichen Dokumente nicht konkret genug formuliert sein, um im Ernstfall Bestand zu haben.
Im Grunde geht es darum, dass ein Patient bzw. sein Bevollmächtigter mit den vorliegenden Dokumenten nicht nur den Patientenwillen möglichst genau zum Ausdruck bringen sollte, sondern im Zweifelsfall auch noch den Arzt davon überzeugen muss, dass sein zum Ausdruck gebrachter Wille sich auch wirklich und unter Einbeziehung von genügend Fakten sowie im Wissen um die Konsequenzen auf den konkret vorliegenden Krankheitsfall bzw. -verlauf bezieht. Was die Sache für jüngere Menschen, die nicht an einer tödlichen Krankheit leiden und trotzdem für den Fall der Fälle vorsorgen möchten, nicht unbedingt einfach macht. Aber okay: Konsequenzen bedeuten im Hinblick auf die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen: Tod. Darüber sollte man natürlich schon mal nachgedacht haben, bevor man einen entsprechenden Satz schreibt oder ankreuzt.
3, Körperliche, psychische, soziale und existenzielle Nöte
Das dritte Modul befasst sich mit vielen Aspekten. Besonders ausführlich erläutert wird die Frage, die für Angehörige sicher eine der wichtigsten ist: die Frage nach Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr in der Sterbephase eines Menschen.
„Die Hilfe besteht in palliativmedizinischer Versorgung und damit auch in Beistand und Sorge für die Basisbetreuung. Dazu gehören nicht immer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen können. Jedoch müssen Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt werden.“
Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung
Eins der wesentlichen Anzeichen dafür, dass ein Mensch sich in der akuten Sterbephase (die Stunden oder Tage dauern kann) befindet, ist, dass er kein Hunger- und Durstgefühl mehr verspürt. Das scheint von der Natur so eingerichtet zu sein und muss nicht behandelt werden. Im Gegenteil: Nahrung und auch zu viel Flüssigkeit belasten den Körper und können das schmerzfreie und friedliche Sterben eines Menschen behindern. Das subjektive Durstgefühl eines Sterbenden, so lernen wir, kann durch eine gute Mundpflege meistens gestillt werden. Dafür benutzt man kleine Stäbchen mit Schaumstoffspitze, die man in Flüssigkeit taucht und dann im Mund und an den Lippen vorsichtig ausdrückt, und Zerstäuber mit Wasser oder Lieblingsgetränken, Lippenpflegestifte oder -cremes (auch selbstgemacht, z. B. aus Butter und Honig) und seine Fantasie: Uns wurden heute Brausepulver, gefrorene Gummibärchen und (saure) Obststücke, kleine Fruchtsafteiswürfelchen vorgeführt, mit denen man den Mund eines Sterbenden befeuchten und erfrischen kann, vorgeführt.
Ich erinnerte mich an meinen Vater: An den letzten Tagen, als er ohne Bewusstsein war, haben wir Unmengen dieser kleinen Schaumstoffträger verbraucht. Wir sprühten ihm Wasser und Ouzo in den Mund und strichen ihm ein Butter-Pflaumenmus-Gemisch auf die Lippen. An seinem letzten Morgen fand ich allerdings beim Betreten seines Hospizzimmers, dass es dort mittlerweile roch wie in einer schlecht gelüfteten Abstellkammer, und ließ den Ouzo sowie die fettige Pflaumenmus-Matsche, die aussah wie schon einmal gegessen, unauffällig verschwinden! Aber winzige Mengen Wasser in den Mund gesprüht habe ich ihm mit großer Ausdauer, alle fünfzehn Minuten.
4. Abschied nehmen von Leben
Im vierten und letzten Modul befassten wir uns mit Abschied und Trauer. Mit dem schönen und wichtigen „Da sein“ für einen Sterbenden, aber auch mit den Problemen, die das „Bleiben und Aushalten“ manchmal mit sich bringt. Und dass es dafür Hilfe und Begleitung gibt und dass man diese auch in Anspruch nehmen kann, darf und sollte. Dass man als Angehöriger und Begleitender auch und vor allem für sich selbst sorgen muss und darf. Dass Versprechen an einen geliebten Menschen, ihn bis zum Ende nicht zu verlassen und bei ihm zu bleiben, manchmal auch zu groß und zu schwer werden können – und dass man manchmal auch weggehen und den Sterbenden alleine lassen muss, damit dieser dann tatsächlich sterben kann. Dass es auch für die Zeit danach Angebote gibt, Trauerbegleitung in Einzelgesprächen, festen Trauergruppen und Trauercafés. Die Trauer gehört zum Leben wie der Tod und niemand muss sie in sich verschließen und wortlos in den Alltag zurückkehren.
Nach vier Stunden endete der Kurs. Wir durften noch einen Fragebogen „zur Kundenzufriedenheit“ ausfüllen und uns dann ins Wochenende stürzen. Mein Freund und ich waren uns einig, dass sich die Veranstaltung für uns gelohnt hatte, auch wenn wir uns mit vielen der Inhalte schon vorher beschäftigt hatten, und dass wir sie weiterempfehlen wollen. Es werden wirklich keinerlei Vorkenntnisse erwartet und benötigt – und auch nicht, dass man hinterher unbedingt ehrenamtlich in diesem Bereich arbeiten möchte oder so etwas. Es geht wirklich vor allem darum, mehr Allgemeinwissen um Letzte Hilfe in der Bevölkerung zu verbreiten, um bei Bedarf (der ja häufig sehr plötzlich und sehr dringend auftritt) der Situation nicht komplett ahnungslos gegenüber zu stehen. Ganz ähnlich wie bei der Ersten Hilfe, bei der wir in einem Crashkurs ja auch nicht lernen, perfekt zu reanimieren, sondern in erster Linie, nicht vor Schreck, Angst und Überforderung die Augen zu schließen und die Straßenseite zu wechseln, wenn jemand in unserer Nähe Hilfe benötigt.
Informationen über Letzte-Hilfe-Kurse und auch eine Auflistung von Kursterminen (in Norddeutschland) gibt es auf der Website www.letzte-hilfe.info.