Im Urlaub bin ich einige Male, von den unterschiedlichsten Gesprächspartnern gefragt worden, ob ich meine Katzen eigentlich mit nach Bremen nehme, wenn ich meinen Freund dort besuche.
Ich muss mich dann immer heftig zusammenreißen, um nicht „Bist du komplett verrückt?“ zu schreien und stattdessen ganz gesittet zu antworten: „Das ist natürlich eine schöne Idee, wäre aber für die Katzen – sowohl meine wie auch für die meines Freundes – ziemlich stressig und anstrengend. Man müsste die beiden Paare, die ja nun schon recht lange mit sich alleine sind, wohl auch richtig miteinander vergesellschaften. Das macht man nicht mal eben für ein Wochenende.“
Bei Katze 1 und Katze 2 ist es genauso wie bei Katze 3 und Katze 4 (Kater 1): Sie stammen alle aus Mehrkatzenhaushalten und sind dort, was die Verträglichkeit angeht, nicht auffällig geworden. Auch leben sie ja jeweils zu zweit, sind also keine komplizierten, extrem menschenbezogenen, schrulligen Einzelkatzen. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass sie – nachdem ihnen jahrelang in ihren Räumlichkeiten keine fremden Katzen begegnet sind – es zumindest vorübergehend eigenartig und vielleicht auch blöd finden würden, wenn man ihnen plötzlich zwei fremde Katzen vor die Nase setzt und sie mit einem „Nun spielt schön miteinander!“ sich selbst überlässt.
Erzähler: Allein der Gedanke… Hm. Könnte ein weiterer Blogpost werden.
Es gibt viele gute Tipps zum Zusammenführen von Katzen, das Internet ist voll davon. Heute. Früher, vor also noch nicht einmal zwanzig Jahren, war das anders. Man war auf sich selbst gestellt. Tipps bekam man vielleicht von Freunden, Verwandten und Nachbarn. Gute Tipps eher nicht. Eigentlich ging man ja auch davon aus, dass Katzen Einzelgänger sind. Selbst im Tierheim wurden die zu vermittelnden Tiere noch überwiegend in Einzelboxen gehalten statt, wie heute allgemein üblich, in größeren oder kleineren Gruppen.
Das Zusammenführen von zwei erwachsenen Katzen galt als Risiko, auch wenn man Fachleute befragte. „Entweder die vertragen sich oder eben nicht.“ – „Und was mache ich, falls nicht?“ – „Tja.“
In den allermeisten Fällen, die ich erlebt habe, vertrugen sie sich. Nicht immer völlig reibungslos, vor allem zwischen Katern, auch kastrierten, muss eben manchmal die Rangfolge regelmäßig neu ausgewürfelt werden – aber die Kater wirkten dabei nie besonders gestresst, nur etwas machohafter als vorher. Meine normale Konstellation, kastrierte Katze und kastrierter Kater, funktionierte eigentlich immer perfekt und vom ersten Tag an.
Erzähler: Eigentlich. Bis Kinky einzog und auf die dicke Maggie traf.
Maggie war zu dem Zeitpunkt etwa sieben Jahre alt und die faulste und langweiligste Katze der Welt. Ich liebte sie trotzdem, aber sie war weder besonders anhänglich noch verspielt oder verschmust oder interessant. Sie hasste Besucher und kam, sobald sich ein fremder Mensch in der Wohnung befand, stundenlang nicht aus ihrer Betthöhle, egal was Magen oder Blase sagten (manchmal raste sie aber pfeilschnell, während ich noch die Tür hinter einem gehenden Besucher schloss, vom Bett in ihr Katzenklo, weil sie wohl recht dringend pieseln musste – seit Stunden…). Sie war die perfekte Zweitkatze für meinen heißgeliebten Kater Otello gewesen. Nach seinem Tod war sie recht einsam und wurde unglaublich gefräßig. Es war klar, dass ich ihr sehr bald einen neuen kätzischen Mitbewohner würde besorgen müssen.
Kinky war elf Jahre alt, hatte als verwöhnter Einzelkater gelebt und suchte ein neues Zuhause, weil er sich mit dem Baby seiner Vorbesitzerin nicht vertrug. Er saß übergangsweise in einer fast leergeräumten Wohnung und musste schnellstmöglich vermittelt werden. Er sei von freundlichem Wesen, ausgeglichen und auf jeden Fall verträglich mit Hunden, so sagte man mir.
Na gut, dachte ich, dann probieren wir das mal. Bisher hat es ja auch immer geklappt.
Erzähler: Es musste also schiefgehen.
Kinky stieg aus seinem Transportkörbchen und schaute sich in der Wohnung um. Maggie stieg vom Sofa, betrachte einen Moment verblüfft den Eindringling, stieß dann einen zwerchfellerschütternden Kampfschrei aus und stürzte sich auf ihren neuen Mitbewohner. Kinky, langbeinig und elegant, entwand sich ihrem hysterischen aber ineffektiven Klammergriff und raste davon. Die dicke Maggie hinterher. Bevor ich irgendwas tun konnte, hatten sie quasi meine gesamte Einrichtung zerlegt und Kinky kauerte, völlig entsetzt, in meinem Tellerregal über der Küchenspüle (hinter den Tellern), während die dicke Maggie vor den Unterschränken herumsprang (auf die Arbeitsplatte springen konnte sie nicht, dafür war sie zu dick und unsportlich) und heulte wie eine Sirene.
Erzähler: Dieser Zustand hielt – mit wenigen Unterbrechungen – vier Monate lang an. Vier. Monate.
Es war furchtbar. Zurückgeben konnte ich Kinky nicht, die leergeräumte Wohnung war offenbar in dem Moment aufgelöst worden, in dem wir draußen waren. Maggie war wie ein explodiertes Sofakissen und fest entschlossen, den Eindringling umzubringen. Kinky, obwohl größer und stärker, war furchtsam. Und schockiert.
Schockiert war ich auch. Aber was sollte ich machen? Ich räumte das Tellerregal aus, legte ein Kissen hinein, räumte die Arbeitsfläche darunter (inklusive Spüle) frei und richtete Kinky einen Essplatz und ein Katzenklo links und rechts vom Wasserhahn ein. Dort wohnte er dann.
Maggie patrouillierte unten und giftete los, sobald Kinky sich rührte. Wenn ich ihn abends mit aufs Sofa nahm, wo er meist gemütlich und in Sicherheit halb auf, halb hinter mir saß, hockte Maggie irgendwo in der Nähe und starrte uns finster an. Wenn ich zwischendurch aufs Klo musste, brachte ich ihn kurz in die Küche auf sein Regal und holte ihn hinterher wieder ab. Wenn ich ins Bett ging, ließ er sich in die Küche bringen und schlief auf seinem kleinen Kissen, während Maggie auf meinem Bettvorleger eifersüchtig wachte.
Ich fragte jeden Menschen in meinem Bekanntenkreis, der mit Katzen zu tun hatte, ob sie/er zu dieser Problematik irgendeine Idee hatte. Ich telefonierte regelmäßig mit Kinkys Vorbesitzerin und der vermittelnden Frau von der Katzenhilfe. Niemand hatte eine zündende Idee. Ich war verzweifelt. Und hungrig, aber meine Küche war aus Rücksicht auf Kinky leider nur sehr eingeschränkt nutzbar.
Kinky war in der ersten Januarwoche bei uns eingezogen. Es war Mai, als er endlich – eines Tages und ohne Vorankündigung – von seinem Regal hüpfte, sich Maggie schnappte und sie nach Strich und Faden verprügelte. Wie wir alle schon vorher gewusst hatten, war er viel größer und stärker als sie. Sie war nur gemeiner und konnte lauter schreien, aber das nützte ihr nun nichts mehr.
Die Prügelei dauerte nicht lange und es floss kein Blut. Maggie verlor ein paar Fellbüschel und ihre Aggressivität. Kinky und sie wurden keine Freunde, aber sie kamen von diesem Tag an miteinander klar. Sie leisteten sich gegenseitig Gesellschaft, fraßen zusammen und lagen auch abends zusammen mit mir im Bett, einer links und eine rechts von mir. Sie knurrten oder fauchten kurz, wenn sie sich zu nahe kamen, aber sie kämpften nie wieder.
Sieben Jahre lang lebten Kinky und Maggie zusammen, nach den vier schrecklichen Monaten zu Beginn in erstaunlicher Ruhe und Harmonie. Meine Erleichterung darüber ließ sich kaum in Worte fassen. Maggie zeigte nie wieder aggressives Verhalten, sondern war wieder das lebende Plüschkissen, das ich kannte und liebte. Kinky war sowieso ein reizendes Kerlchen. Frieden herrschte in unserem Haushalt.
Bis ich eines Tages mit einem leeren Katzenkorb vom Tierarzt nach Hause kam; Maggie war nach einer kurzen schweren Erkrankung eingeschläfert worden. Kinky sah das leere Körbchen und meine Tränen und schrie: „Yeah! Hurra! Endlich! Die Hexe ist tot. Yippieh!“ Ich musste ihm High Five geben und dann ein mehrere Tage dauerndes Freudenfest mit ihm feiern. Und: Ganz ehrlich, bei aller Trauer um Maggie, mit der ich viele Jahre verbracht hatte und mit der ich auch viel Schönes erlebt hatte, ich konnte ihn verstehen! So gut. Und ich gönnte ihm jeden einzelnen Tag, den er, damals schon 18 Jahre alt, in Ruhe und Frieden und mit mir alleine glücklich verbringen konnte. Das hatte er sich wirklich verdient und wir hatten dann noch eine schöne Zeit miteinander.
Erzähler: Und Bettina nahm sich vor, aus diesen Ereignissen zu lernen, und nie wieder leichtfertig zwei fremde Katzen aufeinander loszulassen. Und um mit diesen Problematiken nicht so bald wieder konfrontiert zu werden, adoptierte sie beim nächsten Mal bekanntlich ein Schwesternpaar, so dass keine Vergesellschaftung notwendig wurde.