Kurz vorm Fest

Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, diesen Blogpost zu schreiben, gemütlich am Samstagnachmittag auf dem Sofa sitzend, von harmonisch schnurrenden Katzen umzingelt, im Hintergrund läuft das Weihnachtsoratorium in meiner Lieblingsfassung vom Ensemble Resonanz (bei dem irgendwann eine E-Gitarre in die barockig musizierende WG-Küche platzt), natürlich in einer aufgeräumten Wohnung (na gut, so weit sich meine Wohnung aufräumen lässt, man darf sich auch nicht zu viel abverlangen), mit einem weihnachtlich duftenden Tee und lauter schönen und friedlichen Gedanken zum Fest, die fast von selbst in die Tastatur fließen.

Hätte ja auch mal klappen können. Hätte hätte Fahrradklingel.

Vielleicht hätte ich keine Nachrichten lesen sollen. Aber dafür müsste ich halt die entsprechenden Apps vom Telefon werfen oder zumindest die restlichen Push-Benachrichtigungen, die jederzeit kommen und einem den Tag versauen wollen, auch noch deaktivieren. Aber eigentlich mag ich Nachrichten. Bloß halt nicht die aktuellen.

Nach dem entsetzlichen Anschlag gestern Abend in Magdeburg sind „bisher fünf“ Personen gestorben; die Formulierung legt nahe, dass weitere Todesfälle zu befürchten sein könnten. Kein Wunder, sind doch rund 40 der insgesamt um die 200 verletzten Menschen „schwerstverletzt“ und ganz offenbar noch lange nicht über irgendeinen Berg bzw. außer Lebensgefahr. Weil sie einen Weihnachtsmarkt besucht haben und schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort waren, verdammte Scheiße.

Ich war nie ein Fan von Glühwein und Bratwurst. Menschenmengen machen mich schon seit vielen Jahren nervös. Ich meide Weihnachtsmärkte also nicht erst, seit in Folge des Anschlags am Berliner Breitscheidplatz vor acht Jahren die Weihnachtsmärkte in Hamburg deutlich besser gesichert sind als früher, meistens durch diese eigenartigen Beton-Legosteine, die an Eingängen und anderen offenen Stellen die Zufahrt per Auto unmöglich machen. Oder machen sollen. Das ändert aber nichts daran, dass es grundsätzlich nicht falsch, schlimm oder verwerflich ist, gerne auf Weihnachtsmärkte zu gehen, Glühwein und Bratwurst hin oder her. Es ist total okay, das okay zu finden. Was nicht okay ist: Dort Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden.

Was mir ebenfalls die Petersilie verhagelt hat, ist die Einmischung des neuen Trump-Beraters für besondere Blödsinnigkeiten, Elon M., in die Weltpolitik. Seine These, Deutschland sei nur noch durch die AfD zu retten, löst hauptsächlich Ekel und ein bisschen Ärger bei mir aus. Und die Gewissheit, dass es richtig war, Twitter den Rücken zu kehren (sowie mehr als nur ein bisschen Ärger und Unverständnis über all die ehemaligen Twitter-Weggefährt*innen, die den Absprung von „X“ nicht hinkriegen, wohl weil sie sich Sorgen um ihre Reichweite machen – worauf warten die denn noch???).

Und so sitze ich mit Katzen und Weihnachtsoratorium auf dem Sofa, Gemütlichkeit will sich aber nur sehr zögerlich einstellen. Was vielleicht auch mit meinen neuen Kompressionsstrümpfen zu tun hat, die ich heute zum ersten Mal trage und die sich anfühlen wie Boxhandschuhe. An den Füßen. Seufz. Aber das nur am Rande angemerkt.

Ich war schon seit einigen Jahren zu Weihnachten nicht mehr in der Kirche, das letzte Mal vor der Pandemie, als der große freundliche Mann und ich am Heiligabend um 21 Uhr im Hamburger Michel waren. Das war schön, weil der Michel eine so tolle, helle Kirche ist mit ausgezeichneter Kirchenmusik und einem sehr sympathischen Hauptpastor.

Noch eindrücklicher in Erinnerung geblieben ist mir aber der Besuch am Heiligabend 2015 in der weit weniger schönen (aber auch nicht unsympathischen) Dorfkirche in Halstenbek, wo meine Mutter damals noch wohnte, ebenfalls in Begleitung des großen freundlichen Mannes. Den Gottesdienst hielt der kluge und liebenswürdige Pastor D., der wenige Wochen zuvor mit uns meinen Vater beerdigt hatte. Nun war das Jahr 2015 ja auch nicht das heiterste der Weltgeschichte – der Anschlag auf „Charlie Hebdo“, das Erstarken der Pegida-Bewegung, der Absturz der Germanwings-Maschine in den Alpen (ein Flugzeugunglück, das ich nicht vergessen werde, weil da auch Opernsänger*innen im Flugzeug saßen), die riesigen Ströme von aus Syrien Geflüchteten und der furchtbare Anschlag in Paris im November („Le Bataclan“) – es kam ganz schön dicke und in kurzen Abständen.

In seiner Predigt verschwieg der Pastor diese schlimmen Ereignisse, die vielen Menschen noch in den Knochen saßen, keineswegs. Er fand auch keine beschönigende Überleitung zu weihnachtlicheren Themen. Sein Übergang war ein bisschen schroff: Weihnachten als Sammelpunkt für Liebe, Licht, Hoffnung und Frieden in finsteren Zeiten, das kann schon noch funktionieren. Es erfordert aber eine gewisse Eigenleistung von uns: Wir müssen es wirklich wollen und auch darauf vertrauen, quasi einen Vertrauensvorschuss geben. Allein oder in der Gemeinschaft. Dann kann das Weihnachtswunder – vielleicht! – kommen. Ich glaube, er hat auch gesagt, dass es gut ist, sich stark zu machen für die guten Dinge auf dieser Welt. Kälte und Hass etwas entgegenzusetzen. Wahrscheinlich hat er nicht gesagt, dass Weihnachten unsere Unterstützung braucht, um seine Wunder zu entfalten, aber es scheint mir eine logische Schlussfolgerung zu sein. Auch und gerade im Angesicht von Terror und Krieg – je hartnäckiger und vielfältiger wir uns für Liebe, Licht, Hoffnung und Frieden starkmachen, jede*r auf seine/ihre Weise, desto wirkungsvoller.

In die Kirche müssen wir deswegen nicht unbedingt, auch wenn es zu Weihnachten dort schön ist und die Musik, das gemeinsame Singen ein starkes Argument. Aber die Weihnachtsbotschaft ist auch an anderen Orten zu spüren. Hoffentlich auch in Magdeburg, wo Trauer sich vermutlich als starke verbindende Kraft erweisen wird.

Hier auf dem Sofa spüre ich sie, also die Botschaft, gerade nicht so wie erhofft, so laut können die Katzen gar nicht schnurren. Bis Weihnachten sind es aber ja auch noch drei Tage, vielleicht wird es ja noch wieder besser. Zumindest die Strümpfe darf ich nachher ausziehen (und dann die Füße hochlegen). Das ist doch schon mal was.

4 Kommentare

  1. Liebe Bettina,
    was bin ich froh deinen Blog lesen zu dürfen. Deinen Blog zu lesen bedeutet auf alles vorbereitet zu sein. Und das ist auch gut so. Du hast in mir soviele Gefühle geweckt, zwischen Tränen verdrücken und anregende Gedankenanstöße war auch viel herzhaftes Lachen dabei. Danke!
    Ich wünsche dir, den Katzen und dem freundlichen Mann schöne Weihnachtstage.
    Liebe Grüße
    Minna Sophie

  2. Danke für diesen Blog!
    Beim Lesen habe ich das absolute Gefühlschaos erlebt. Zwischen Lachen u weinen, heiter u ernst, beschwingt u mahnen.
    erschreckend fand ich, daß ich einige der katastrophen von 2015 tatsächlich vergessen hatte.
    Danke für das Gefühlschaos u das Erinnern.
    Ein schönes u besinnliches Weihnachten und einen guten Start in 2025 für Dich, deinen Katzen, dem großen freundlichem Mann und dessen Hund, wünscht
    Tanja schmale

  3. Liebe Bettina,
    Danke für viele schöne, phantasievolle, berührende, wahre Lesemomente wieder in diesem Jahr.
    Ich wünsche Euch allen Fünfen, Zwei- und Vierbeinern, ein schönes Weihnachtsfest, trotz allem, und für 2025 alles Gute, Glück, bestmögliche Gesundheit und viele positive Erlebnisse.
    Liebe Grüße, Martina

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