Leo fasst einen Plan.

„Oh Mann, was mache ich nur? Was mache ich nur?“

Schlaflos wälzte sich Frl. Leonie Mau in ihrem Strandkorb hin und her, von ihren verstörenden Gedanken getrieben und weit davon entfernt, nach Katzenart ein Schläfchen zu halten, wann und wo es ihr beliebte. Schon seit Tagen kam sie nicht zur Ruhe und so langsam hatte sie das Gefühl, dass man ihr die Ringe unter den Augen trotz des Tigermusters ansehen konnte.

„Was soll ich nur mit der blöden Weltherrschaft machen, verdammte Axt?“

Der Brief von Lotti, den sie noch immer in ihrer Bauchtasche mit sich herumtrug, war ihr lieb und teuer, aber keine große Hilfe, wenn es darum ging, was sie nun in Sachen Weltherrschaft entscheiden sollte. Konnte. Musste. Nach wie vor lag die Weltherrschaft im Schrank bei den Hosen, die der dicken freundlichen Frau mindestens zwei Nummern zu klein waren. Gut genug versteckt, um nicht von Fritte, der jede Gelegenheit zum neugierigen Herumstöbern nutzte, entdeckt zu werden. Noch. Aber wie lange konnte das  gutgehen? Leo war wirklich besorgt.

Die dicke freundliche Frau, der sie sich wiederholt anvertraut hatte, verstand ihre Sorgen und auch die Notwendigkeit, eine gute Lösung zu finden. Eine zündende Idee hatte sie allerdings auch noch nicht gehabt. Zwar hatte sie in dieser Woche Urlaub, aber zum Nachdenken war sie bisher kaum gekommen, weil sie so schrecklich müde war, dass sie immer sofort einschlief, sobald sie sich gemütlich hinsetzte. Das fand Leo zwar einerseits ganz schön, weil sie sich dann ankuscheln und auch so halbwegs entspannen konnte, andererseits wäre es ihr noch sehr viel lieber gewesen, wenn die dicke freundliche Frau endlich einen Geistesblitz zu vermelden hätte.

„Mach dir keine Sorgen, Leo! Ich habe einen Plan!“, das war der Satz, den Leo sehr dringend zu hören wünschte, der aber auf sich warten ließ.

Wieder und wieder ging sie ihr Adressbuch und ihre Bekanntschaften im Internet durch. Irgendwo musste es doch eine verantwortungsvolle, vertrauenswürdige und halbwegs berechenbare Katze geben, bei der die Weltherrschaft ein gutes neues Zuhause finden konnte. Eine Katze, die psychisch gesund und einigermaßen unbelastet durchs Leben ging und sich einer großen Aufgabe gewachsen fühlte. Die bereit war, sich einer Verantwortung zu stellen und eine Führungsposition einzunehmen, gleichzeitig aber auch Wert auf Austausch mit anderen Katzen legte und deren Bedürfnisse mindestens so wichtig nahm wie ihre eigenen. Moment, war das realistisch? Welche Katze nahm denn fremde Bedürfnisse wichtiger als ihre eigenen? Keine, die die Bezeichnung Katze verdiente, dachte Leo. Also: Gesucht wurde eine Katze, die bereit war, sich nach der Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse im Rahmen des anstrengungslos Machbaren auch um die Bedürfnisse anderer Katzen zu kümmern. Möglicherweise sogar um die Bedürfnisse von Hunden und Menschen. Wahrlich: Ein großer Job. Kein Wunder, dass Lotti ihn nicht hatte haben wollen.

Wie hatte Jette es eigentlich hingekriegt, die Weltherrschaft jahrelang so auszuüben, dass alles so reibungslos funktionierte? Sie hatte nie viel darüber gesprochen und eigentlich auch immer komplett entspannt gewirkt, nicht so, als wäre sie durch ihre große Verantwortung sehr belastet. Ihre Geschäfte liefen gut, ihre Autorität wurde allenthalben anerkannt und ihr Sofa war warm, weich und gemütlich. Mehr musste über ihre Aktivitäten niemand wissen. Jehan war natürlich in alles eingeweiht, vermutete Leo, aber weil er die meisten Geheimnisse, die man ihm anvertraute, sofort wieder vergaß – „Mepp?“ – hatte auch er meist völlig unbeschwert gewirkt.

Oh Mann. Irgendwo da draußen musste es doch eine Katze geben, die dieser Aufgabe gewachsen war. Nur: Wie sollte Leo diese Katze finden? Sie konnte doch nicht einfach aus dem Fenster klettern, an der Regenrinne runterrutschen und dann die gesamte Nachbarschaft abklappern, von Tür zu Tür und herausfinden, ob irgendwo eine geeignete Katze wo… Oh, Moment. Leo rief auf ihrem Smartphone die Kalender-App auf. Diese zeigte den 27. Oktober an.

„Ha!“, rief Leo begeistert und schloss die Kalender-App wieder. „Ha wie Halloween!“ Da ziehen doch alle von Tür zu Tür und verbreiten Unsinn. Das ist der ideale Tag für einen Erkundungszug durch die Nachbarschaft!“

„Halloween?“, fragte Fritte, der in der Tür stand und offensichtlich ihre letzten Sätze gehört hatte. „Kann man das essen?“

Leo starrte ihren ungeliebten Mitbewohner finster an, um ihn auf Abstand zu halten, und überlegte blitzschnell. Konnte ihr Fritte vielleicht ausnahmsweise einmal nützlich sein? Wenn sie ihn mitnahm, um an jeder Tür zu klingeln, „Trick or Treat!“ zu schreien und dann ungehemmt alles zu essen oder einzupacken, was entfernt essbar wirkte, dann müsste das doch das perfekte Ablenkungsmanöver sein, um ungestört mit den Haustieren vor Ort in Ruhe zu sprechen und wichtige Informationen zu sammeln. An Fritte kam schließlich niemand vorbei.

„An Halloween kann man so viel Essen klauen, wie man tragen kann“, erklärte sie Fritte dann. „Und das völlig legal. Du musst dich nur verkleiden und so tun, als wärest du ein Amerikaner!“

„Das kann ich!“, rief Fritte begeistert. „Ich verkleide mich als Lebensmittelkontrolleur aus Las Vegas. Auf der Durchreise. Und dann klaue ich alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Ist das ein guter Plan oder ein guter Plan.“

„Das ist ein guter Plan“, gab Leo etwas widerwillig zu. „Und du wirst damit alle Aufmerksamkeit auf dich ziehen. Vielleicht kannst du sogar singen und den Leuten anbieten, ein Selfie mit dir zu machen. Und ich schleiche mich währenddessen in die Wohnung und spreche mit den dort residierenden Haustieren.“

„Worüber?“, verlangte Fritte zu wissen.

„Die schönsten Kürbisrezepte“, erwiderte Leo, ohne viel nachzudenken. „Das macht man an Halloween so. Ist ja eigenartig, dass ihr das in Rumänien nicht kennt.“

„Wir kennen schon Kürbisse“, sagte Fritte, „aber ich habe noch nie gehört, dass man die Dinger essen kann. Bist du sicher?“

„Natürlich“, sagte Leo, „ganz sicher. Aber darum musst du dich nicht kümmern. Du sammelst einfach alle Leckerlis ein, die man dir anbietet, und nach Möglichkeit auch die, die man dir nicht anbietet. Und vielleicht noch ein bisschen Schokolade für die dicke freundliche Frau, damit sie nicht schimpft, wenn wir zu spät zum Abendessen kommen.“

„Kein Problem“, befand Fritte. „Wirst du dich auch verkleiden?“

Leo grinste vergnügt und nickte: „Aber klar doch. Ich sage dir aber nicht, als was. Das wird sicher ein sehr lustiger Abend.“

Fritte hörte ihr nur noch mit einem Ohr zu, während er in dem Requisitenkoffer der dicken freundlichen Frau, den er unter dem Bett hervorgezogen hatte, herumwühlte, um sein perfektes Kostüm als Lebensmittelkontrolleur zusammenzustellen. Das war Leo sehr recht, so hatte sie Gelegenheit, ihre Gedanken kreisen zu lassen und selbst kreativ zu werden. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte sie sich erleichtert: Sie hatte einen Plan, einen guten Plan. Die Weltherrschaft würde in die richtigen Hände gelangen, da war sie sich sicher. Und sie würde dann endlich wieder ruhig schlafen können.

 

 

 

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