Mein Schaalsee. Teil 4. Über den See.

Sie erinnern sich: Mein Freund und ich saßen im Auto und wollten gerne wissen, was es mit dem Gebietstausch am Schaalsee auf sich hatte. Am liebsten sofort, aber ich musste mich aber damit begnügen, zu Hause den Rechner hochzufahren und zu googlen (meine Güte, ich hatte damals noch nicht einmal WLAN zu Hause, sondern ein Modem, mit dem ich mich ins Internet einwählen musste).

Die Ergebnisse waren dürftig, das Internet war damals nicht nur nicht so bunt wie heute, sondern auch nicht so voll mit Informationen. Ich fand einen Wikipedia-Eintrag, der jedoch auch nicht viel zu bieten hatte und keine weiterführenden Links anbot:

Das Barber-Ljaschtschenko-Abkommen vom 13. November 1945 war ein sowjetisch-britisches Abkommen zur Grenzbereinigung zwischen Mecklenburg und Schleswig-Holstein.

Es wurde von dem britischen Generalmajor Barber (Bevollmächtigter des Hauptquartiers der britischen Rheinarmee (British Army of the Rhine) und dem gleichrangigen sowjetischen Offizier Ljaschtschenko (Bevollmächtigter des Oberbefehlshaber der Roten Armee) in Gadebusch unterzeichnet.

Getauscht wurden Gebiete im Bereich Ratzeburger See und Schaalsee. Auf diese Weise kamen mecklenburgische Gebiete zur britischen Besatzungszone, und bisher britisch besetzte Gebiete östlich des Schaalsees wurden in die sowjetische Besatzungszone überführt.

Okay, immerhin wusste ich jetzt, wer Barber und Ljaschtschenko (auch Lyaschenko oder Lyashchenko) gewesen waren. Von Umsiedelung und Über den See stand in dem Artikel damals aber noch nichts (heute natürlich schon, der Artikel wurde im Laufe der Jahre oftmals überarbeitet und erweitert).

Ich erspare Ihnen den Verlauf meiner Recherchen im Internet und erzähle einfach so, was sich damals ereignet hat.

Nach dem Ende des Krieges war das nordwestliche Ende von Mecklenburg zunächst von den Engländern besetzt worden. Am 1. Juli 1945 übernahmen jedoch die Sowjets die Kontrolle und die Demarkationslinie, die zunächst auf der Höhe und Schwerin und Ludwigslust verlief, wurde nach Westen verlegt. Man richtete sich am Verlauf der ehemaligen preußisch-mecklenburgischen Grenze aus.

Als sich die britischen und sowjetischen Oberbefehlshaber dann aber den genauen Verlauf der Grenze ansahen, stellten sie fest, dass er für beide Seiten ungünstig war. Nördlich vom Schaalsee ging es vor allem um lange Umwege, die zum Erreichen einiger Ortschaften in Kauf genommen werden mussten. Die Gebiete um Lassahn östlich vom Schaalsee aber waren, was Landwege anging, komplett von der sowjetischen Besatzungszone eingeschlossen und direkt von der schleswig-holsteinischen Seite bzw. britischen Zone aus nur übers Wasser zu erreichen.

Man, also die Herren Barber und Lyaschtschenko, beschloss, den Grenzverlauf zu „begradigen“ und die betroffenen Gebiete miteinander auszutauschen. Diese Entscheidungen wurden bereits im Sommer 1945 gefasst, zunächst aber geheim gehalten und erst im November desselben Jahres umgesetzt. Da allerdings musste alles sehr, sehr schnell gehen.

Stellen Sie sich vor, Sie leben in der Nachkriegszeit in Lassahn auf der Ostseite des Sees. Normalität ist noch lange nicht wieder eingekehrt. Zwar ist die Versorgungslage auf dem Land vielleicht etwas weniger angespannt, dafür fehlen in vielen Haushalten die Männer, die entweder den Krieg nicht überlebt haben oder noch in Kriegsgefangenschaft sonstwo sind. Dafür ziehen jeden Tag Menschen durch Ihren Ort, die aus den schon länger von den Sowjets besetzten Ostgebieten geflüchtet oder vertrieben worden sind. Was diese darüber zu erzählen haben, wie das Kriegsende für sie ausgesehen hat, ist nicht unbedingt vertrauenerweckend.

Und nun kommt plötzlich, der Kalender zeigt den 14. November 1945, Ihr Bürgermeister, zusammen mit dem Landrat, bestellt alle Dorfbewohner zu einer Versammlung ein und erklärt Ihnen, dass Ihr Dorf in wenigen Tagen, nämlich am 26. November 1945 in die sowjetische Besatzungszone überführt wird. Sie dürfen bzw. müssen sich entscheiden, ob Sie bleiben oder in die britische Besatzungszone umgesiedelt werden möchten.

Wenn Sie gehen: Nehmen Sie alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Und am besten auch noch alles andere.

Wenn Sie es vorziehen, „unter RUSSISCHER Kontrolle zu bleiben“: Sie, also Ihr landwirtschaftlicher Betrieb, dürfen ein Pferd, eine Kuh, ein Schaf, ein Schwein, ein Wagen, ein Pflug, eine Egge und anderes Gerät sowie Reserven für mehr als 30 Tage behalten. Alle andere wird an Ihnen vorbei in den Westen abtransportiert.

Sie müssen sich quasi sofort entscheiden, denn mit der Vorbereitung und dem Abtransport der beweglichen Güter wird unverzüglich begonnen. Tag und Nacht wird geschlachtet, gedroschen und demontiert. An der Insel Stintenburg wird eine Schneise in den Wald geschlagen und eine Anlegerampe für die Fähre (damals gab es noch eine offizielle Schaalseefähre!), britische Amphibienfahrzeuge und alles, was sonst noch schwimmen und beladen werde konnte, gebaut.

Sie sind hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, in Ihrem Heimatort zu bleiben, komme was wolle, und der Angst davor, unter sowjetische Kontrolle zu geraten. Berichte darüber, wie diese mit den Menschen und den Gütern in ihrer Besatzungszone umgehen, haben Sie zur Genüge gehört… von Menschen, die sich entschlossen hatten, lieber weiterhin auf der Flucht zu bleiben und es bis in den sicheren Westen zu schaffen.

Es ist November und kalt und dunkel.

Schnell zeichnet sich ab, dass fast alle Ihre Nachbarn gehen werden. Und sie nehmen alles mit. Alles. Man will den Sowjets nichts von Wert hinterlassen.

Wenn Sie auf der Westseite des Schaalsees Verwandte oder Bekannte haben, dann sollten Sie sich dort jetzt ein Bett organisieren. Falls nicht, dann werden Sie in hastig organisierten Unterkünften untergebracht. z. B. dem Ratzeburger Ratskeller.

Nach wenigen Tagen hektischem Aktionismus ist es so weit. All Ihre Besitztümer sind schon über den See geschafft worden, nun (ab 23. November) fahren die Menschen hinterher. Über ihren Schaalsee, der in dieser Situation nicht gerade sehr anheimelnd wirkt. Ehe Sie es sich versehen, gehen Sie in Groß Zecher an Land und ahnen bereits, was sich schnell zur Gewissheit verdichtet: In Ihre Heimat werden Sie so bald nicht zurückkehren können, jedenfalls nicht auf legale Weise.

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