Schalldicht?

„Ist es nicht bald Zeit fürs Abendessen?“, fragte Fritzwilliam O’Frittey. „Es ist doch schon so lange dunkel!“

„Es ist Winter“, erwiderte der kleine freundliche Hund, „da kannst du froh sein, wenn es überhaupt mal kurz hell wird. Zeit fürs Abendessen ist deswegen noch lange nicht. Leider.“

„Aber ich habe schon so schrecklichen Hunger!“, stellte Fritte fest. „Ich habe seit Stunden – wenn nicht seit Tagen, Wochen oder Monaten – nichts gegessen. Ihr könnt mich doch nicht einfach verhungern lassen! Guck doch mal, wie eingefallen ich schon aussehe!“

Fritte zog die Backen nach innen und machte ein mitleiderregendes und überaus hungriges Gesicht. Der kleine freundliche Hund grinste nicht besonders mitfühlend: „Ohne Zähne ist es nun wirklich keine Kunst, eingefallen auszusehen. Ich habe auch Hunger, das kannst du mir glauben.“

Auf der Fensterbank bewegte sich etwas und Frl. Leonie Mau erschien zwischen den beiden Vorhängen wie auf einer Bühne. Obwohl sie gerade stundenlang und felsenfest in ihrem Strandkorb ein winziges Schläfchen gehalten hatte, sah sie frisch und kein bisschen zerknittert aus. „Hat jemand was von Essen gesagt?“

„Das war leider falscher Alarm“, bedauerte der kleine freundliche Hund. „Es wird wohl noch etwas dauern. Die Menschen gucken gerade noch ihren Weihnachtsfilm.“

„Der ist aber langweilig“, sagte Fritte. „Was sollen wir machen, bis der Film fertig ist?“

„Uns unterhalten wie gesittete und kultivierte Leute?“, schlug Leo vor.

„Gute Idee“, fand der kleine freundliche Hund. „Was reden denn gesittete und kultivierte Leute so?“

„Ach, alles Mögliche“, erklärte Leo. „In dieser Jahreszeit tauschen sie meistens Filmtipps oder Plätzchenrezepte aus. Oder sie erzählen sich gegenseitig, was sie an den Feiertagen alles machen.“

„Na gut“, sagte Fritte. „Wobei ich auf die Plätzchenrezepte verzichten kann. Ihr bringt mir einfach die fertigen Kekse vorbei, okay? Und die Feiertage verbringen wir doch zusammen, oder?“

„Die Weihnachtsfeiertage schon“, erwiderte Leo, „aber Silvester kommt ihr dieses Jahr nicht nach Hamburg. Hat der große freundliche Mann gesagt. Weil du zu viel Angst vor den Böllern hast.“

„Angst? Ich?“ Der kleine freundliche Hund schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht. Ich kenne keine Angst.“

„Außer wenn es draußen überall knallt!“, sagte Leo. „Das muss dir nicht peinlich sein. Ich habe dann auch Schiss. Weißt du nicht mehr, wie wir uns letztes Jahr um kurz vor Mitternacht unter dem Bett getroffen haben?“

„Ach ja, richtig“, erinnerte sich der freundliche kleine Hund. „Da war es kurzzeitig etwas eng! Die haben aber auch viel Lärm gemacht draußen. Obwohl Fritte gar nicht dabei war.“

„Wieso?“, fragte Fritte überrascht. „Wo war ich denn?“

„Du hast auf der Fensterbank gesessen und dir das Feuerwerk angeguckt!“

„Nur weil ich selbst keine Böller haben durfte!“, erinnerte sich Fritte aufgeregt. „Du hast mir ja nicht mal Wunderkerzen erlaubt!“

„Das fehlte gerade noch“, brummelte Leo. „Du würdest doch auch Böller unterm Bett zünden.“

„Klar“, sagte Fritte. „Da knallt es wenigstens ordentlich.“

„Du bist wirklich ein eigenartiges Haustier“, stellte der kleine freundliche Hund fest. „Jedenfalls hat der große freundliche Mann gesagt, dass wir Silvester nicht nach Hamburg kommen, sondern uns irgendwo verstecken, wo nicht geknallt wird.“

„Und wo soll das sein?“, fragte Leo. „Die Menschen sind doch so bescheuert. Die zünden ihr blödes Feuerwerk überall.“

„Notfalls in unserem Badezimmer“, sagte der kleine freundliche Hund. „Das hat kein Fenster und liegt mitten im Haus. Da hört und sieht man nicht viel.“

„Aber es ist nicht besonders gemütlich und das WLAN ist auch schwach“, entgegnete Leo. „Vielleicht solltet ihr in irgendein Dorf mit Reetdachhäusern fahren. Oder zum Flughafen.“

„Zum Flughafen?“, fragte Fritte überrascht. „Da wollte ich auch schon immer mal hin. Lass uns zusammen hinfahren und dort Silvester feiern.“

„Da wird nicht Silvester gefeiert“, sagte Leo. „Der Flughafen Hamburg schließt um Mitternacht und alle werden wieder hinaus in die Nacht geschickt.“

„Dann müssen wir mit dem letzten Flug, der dort vor Mitternacht startet, wegfliegen“, schlug Fritte vor. „Außer der Flug geht nach Rumänien. Dann besser nicht.“

„Nach Polen fliegen wir lieber auch nicht“, fügte der kleine freundliche Hund hinzu. „Das ist ja die Heimat der Böller. Ich schlage vor, wir fliegen in den Süden. So ein bisschen Sonne kann im Winter kann ja nicht schaden.“

„Das könnt ihr ja machen“, mischte sich Leo wieder ein. „Ich vermute allerdings, dass ihr im Frachtraum fliegen werden. Spätestens nachdem ihr den Erfrischungs-Trolley gekapert habt. Da ist es ungemütlich, kalt und mindestens so laut wie beim Feuerwerk.“

„Du kommst also nicht mit?“, fragte der kleine freundliche Hund. „Und was machst du stattdessen?“

„Ich checke im Flughafenhotel ein“, erklärte Leo. „In einem Zimmer ganz oben. Da kann ich das Feuerwerk sehen, aber nicht hören, weil die Fenster schalldicht sind. Und ich bestelle alles, was der Zimmerservice und der Wellnessbereich zu bieten haben.“

„Hmmmmmm“, überlegte der kleine freundliche Hund. „Das klingt gar nicht so schlecht. Vielleicht komme ich mit. Und am Neujahrsmorgen plündern wir dann das große Frühstücksbüffet.“

„Plündern?“, fragte Fritte. „Aber nicht ohne mich!“

„Ich glaube nicht, dass die im Flughafenhotel Dreierzimmer haben“, murmelte Leo leicht säuerlich.

„Dann nehmen wir eben eine Suite!“, schlug der kleine freundliche Hund vor. „Dann haben wir genug Platz und auch genug Betten, falls doch irgendwer gegen Mitternacht in Deckung gehen muss.“

„Juhu!“, rief Fritte. „Wir machen einen Ausflug. Das wird toll.“

„Fast noch besser finde ich, dass es inzwischen wirklich Zeit fürs Abendessen ist“, stellte Leo erfreut fest. „Los jetzt, lasst uns die Menschen aufscheuchen!“

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