Normalerweise, wenn mich jemand fragt, was ich denn Silvester vorhabe, leite ich immer ein großes Ablenkungsmanöver mit Augenrollen, aufgeregten Gesten und „Guck mal dahinten, ein fliegendes Sofa!“-Rufen ein. Aber nicht dieses Jahr. Dieses Jahr sage ich einfach: „Silvester gehe ich ins Hospiz.“
Erschrockenen Menschen, die mich und meine Gewohnheiten nicht so gut kennen, leiten dann ihrerseits Ablenkungsmanöver ein, um wortlos unterzutauchen, oder sagen sehr betroffen Sachen wie: „Dass es so schlimm um dich steht, haben wir ja nicht gewusst!“
Dann fällt mir wieder ein, dass ja nicht jeder von meinem Hospiz-Ehrenamt weiß, und ich ergänze: „Ehrenamtlich. Ich helfe bei der großen Silvestersause, die dort alljährlich stattfindet. Zum ersten Mal. Und ich bin schon ganz aufgeregt.“
Bin ich wirklich. Ich gehe ja nun schon bald ein Jahr ehrenamtlich ins Hospiz, normalerweise zweimal wöchentlich zu „meinem Gast“, aber das ist mein erstes Silvester dort. Ich besuche an diesem Abend nicht nur den einen Gast, sondern gehöre zum Partyteam, das aus haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern besteht und sich dafür zuständig fühlt, den Hospizgästen und ihren Angehörigen einen guten Abend zu bereiten. Sofern das gewünscht wird, denn wie immer im Hospiz gilt: Niemand muss irgendwas.
Wer keine Lust auf Silvester hat, muss nicht an irgendwas teilnehmen oder gar ein Partyhütchen aufsetzen. Wer allein sein möchte, darf allein sein und Tür und Fenster verschließen. Wer keine liebevoll dekorierten Schnittchen und Kartoffelsalat mag, muss sich keinen Teller vom Buffet geben lassen. Wer um Mitternacht nicht geweckt werden möchte, der wird auch nicht geweckt.
Den Berichten silvestererfahrener Kollegen zufolge finden sich aber jedes Jahr mehrere gesellige Gäste nebst Anhang in der Wohnküche des Hospizes ein, um dort zu essen, Dinner for one zu gucken, Musik zu hören, zu plaudern, Spiele zu spielen und – wer bis dahin durchhält – um Mitternacht das Feuerwerk anzuschauen. Andere, die für die Wohnküche nicht mehr mobil genug sind, freuen sich über den Buffetwagen, der zu ihnen ins Zimmer kommt, und das Versprechen, sie um Mitternacht zu wecken und auf das neue Jahr mit ihnen anzustoßen.
Ich bin sehr gespannt. Wie ich die Gäste, die hier ihren voraussichtlich letzten Jahreswechsel erleben, wahrnehmen werde. Ob ich zu ihren Angehörigen, die hier in dem für sie aktuellen Ausnahmezustand an einem Abend mit bewusst gelebten Ritualen, Ablenkungsmöglichkeiten und vielleicht auch großen Emotionen teilnehmen, einen Kontakt aufbauen kann. Ob ich das Gefühl haben werde, an einem Silvesterabend zur Abwechslung mal dort zu sein, wo ich tatsächlich auch sein möchte. Und ich werde berichten.
Ihnen wünsche ich einen guten Jahreswechsel und dann das Beste für 2019. Möge es ein gutes Jahr werden.
PS: Katze 1 und Katze 2 kommen nicht mit. Sie bleiben zu Hause auf dem Sofa und in der Stunde zwischen Mitternacht und eins, wenn ihnen das dämliche Geballer zu nervig wird, vermutlich unter dem Bett (da muss ich noch fegen!). Um halb zwei oder wann immer ich nach Hause komme, stehen sie dann schon wieder hinter der Wohnungstür und freuen sich auf eine kleine Mahlzeit.
PPS: Katze 3 und Katze 4 (Kater 1) sowie Freund 1 kommen auch nicht mit. Sie bleiben gemütlich in ihrer Bremer Vorstadtidylle, wo es hoffentlich überhaupt keine Knallerei gibt. Es ist ja ihr erstes Silvester dort. Ich wäre gern bei ihnen, mag aber Katze 1 und Katze 2 nicht die ganze Nacht in Hamburg alleine lassen. Also bleibe ich in Hamburg und habe Zeit für etwas Neues.