Noch immer steht in meinem CD-Regal die kleine Spanschachtel mit dem Pfotenabdruck drauf. Darin befindet sich die Asche von Lotti, mittlerweile steht sie dort seit mehreren Monaten, aber natürlich nur vorübergehend. Ich habe die Schachtel nicht ständig im Blick, seltener jedenfalls als das Lotti-Foto, das im selben CD-Regal neben dem Sofa seinen Platz gefunden hat. Manchmal aber schaue ich hin und denke: Irgendwann muss ich doch mal fühlen, wo diese Asche ihren Platz finden soll. Dann horche und fühle ich in mich hinein und nichts passiert. Ich fühle es nicht.
Lotti war eine Drinnenkatze, ganz klar. Es gibt keine Orte in diesem Draußen, die sich für mich auf irgendeine Weise mit ihrem Leben oder ihrem Wesen verbinden. Keine Orte, von denen ich denke: Ach, hier hätte es ihr gefallen. Kein Plätzchen, an dem ich sie vor mir sehen würde, glücklich und am richtigen Ort, auch wenn sie dort im Leben niemals gewesen ist.
Im Grab meines Vaters beisetzen, so wie Olga und Ida damals, möchte ich Lotti auch nicht. Sie und mein Vater haben sich nie kennengelernt; er war schon einige Jahre tot, als Lotti und Leo bei mir einzogen. Sicherlich hätte er nichts gegen die Asche einer weiteren Katze an seiner Grabstelle – so wie er nichts gegen ein weiteres Katzengrab im Garten gehabt hätte – aber wie gesagt: Ich fühle es nicht.
Längerfristig soll Lottis Asche nicht in meinem CD-Regal stehen, ich habe die Spanschachtel dort nur vorübergehend untergebracht, bis mir einfällt, wohin sie gehören könnte. Überhaupt fühlt es sich für mich nicht richtig an, die Asche eines verstorbenen Tieres (oder eines verstorbenen Menschen) dauerhaft zu Hause zu haben. Damit würde ich für mich beanspruchen, was mir gar nicht gehört: Ein anderes Wesen, selbst wenn es sich nur um dessen sterblichen Überreste handelt. Aber auch diese gehören nicht mir. Ich fühle mich verantwortlich dafür, dass liebevoll und pfleglich mit ihnen umgegangen wird, klar, aber ich fühle nicht, dass ich irgendwelche Rechte an ihnen hätte. Die Toten, meine Toten, gehören nicht mir. Auch dann nicht, wenn ich ihre Einäscherung und die Spanschachtel bezahlt habe. Sie gehören sich selbst und dem Universum, dem ewigen Kreislauf, der Schöpfung – je nachdem, wie spirituell ich mich gerade fühle. Ich verwahre die Spanschachtel nur, bis mir endlich eine Idee kommt, wo Lottis Asche ihren Platz finden soll.
Eigentlich war Lottis Platz ja im Bett, in meinem Bett, aber das ist natürlich auch kein angemessener Ort für eine Spanschachtel voller Asche. In meinem Herzen ist sie sowieso, das geht ohne eine stoffliche Anbindung, einfach über gespeicherte Bilder und Erinnerungen.
Der große freundliche Mann hat die Asche von Jette und Jehan ja in den Wümme-Wiesen bei Bremen beigesetzt, an einer schönen Stelle am Flussufer, an der wir auch schon zusammen gewesen sind und die an seiner Laufstrecke liegt. So kommt er oft genug dort vorbei und hält kurz Zwiesprache mit den beiden.
Da Jette einige Monate vor Jehan gestorben ist, stand auch ihre Spanschachtel eine Weile herum. Sie alleine und ohne Jehan zu bestatten, war einfach keine Option für den großen freundlichen Mann. Jette und Jehan gehörten und gehören zusammen, im Leben wie im Tod. Zusammen haben die beiden einfach alles gemeistert, selbst – da bin ich ganz sicher – die Tatsache, dass die Wümme-Wiesen in diesem Frühjahr wochenlang überschwemmt waren und sie sozusagen nachträglich in den Genuss einer Seebestattung gekommen sind. Irgendwie sehe ich vor meinem inneren Auge Jehan fröhlich winkend am Steuer eines Piratenschiffes und Jette in einem pinkfarbenen Rüschenkleid mit vier pinkfarbenen Pumps auf dem Sonnendeck. Sich räkelnd und begeistert von diesem Abenteuer.
Bei Lotti habe ich keine so starken Bilder. Ich bin nicht einmal sicher, ob es ihr wichtig ist, auf Leo zu warten und dann irgendwann mit ihrer Schwester zusammen bestattet zu werden. Natürlich waren die beiden auf besondere Weise miteinander verbunden, aber längst nicht so eng wie Jette und Jehan oder Olga und Ida.
Irgendwie sagt mir mein Gefühl, dass es Lotti wichtiger sein könnte, in der Nähe ihrer geliebten Katzenfuttertütchen ihre ewige Ruhe zu finden. Schade, dass der Parkplatz des hiesigen Fressnapf-Marktes so ein unromantischer Ort ist. Aber vielleicht muss ich mal in diese Richtung weiterdenken: Gemütlich und geschützt muss es sein, nicht unbedingt naturnah, aber in der Nähe von gutem Essen. Ohne Hunde, ohne Staubsauger und ohne viel Durchgangsverkehr.
Das kann doch nicht so schwierig sein!?
Also: Ich überlege. Angestrengt. Irgendwann sagt es PLOPP und dann habe ich die zündende Idee. Bis dahin steht Lotti eben noch ein Weilchen im CD-Regal (neben „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss mit Leonie Rysanek in der Titelrolle). Das fühlt sich so einigermaßen gut und richtig an – und wie gesagt, es ist ja nur vorübergehend.
Liebe unbekannte Bekannte, der Beitrag hat mich sehr bewegt: Asche verstreuen ist keine Option?(hab ich bei meinen gemacht) oder vielleicht einen kleinen Edelstein ( den man an den Kühlschrank hängen kann) ernstgemeint…! Aber du wirst schon spüren was und wo der richtige Platz Platz ist.. sie sagen uns das immer. Viel Glück
Danke für Deinen Text, und die Tränen, die ich grad weinen konnte. Nicht in Gedanken an eine Katze, sondern einen Menschen, der natürlich „ordentlich“ begraben wurde, aber irgendwie … nicht richtig. Weil damals gar kein Raum war für eben diese Frage – was stimmig wäre. Und ich glaub, mir ist gerade aufgegangen, wie ich das „richten“ könnte. Also für mich, nachträglich, und ohne Störung des Friedhofsbetriebs. Danke dafür – und alles Gute für Deine Suche nach einem passenden Platz für Lotti!
R.i.p. Lotte,.Jette und Jehan.
Traurige Grüße an Leo
Andrea