Zum letzten Mal: Ich bin nicht niedlich.

Ein Gastbeitrag von Frl. Leonie Mau.

Ich bin ein gefährliches Raubtier.

Wissen Sie, was im Lexikon über niedlich steht?

nied·lich /niédlich/
Adjektiv
durch seine hübsche Kleinheit, Zierlichkeit, durch zierliche, anmutige Bewegungen o. Ä. Gefallen erregend, Entzücken hervorrufend; lieb, goldig, reizend
„ein niedliches Kind“

Von mir steht da nichts. Und wissen Sie, woran das liegt? Ich bin nicht niedlich. Deshalb. Das kann da also gar nicht stehen. Und warum sollte es auch: Ich bin weder klein noch zierlich noch anmutig. Ich bin ein gefährliches Raubtier und wo ich auftauche, da wird gezittert und gebebt. Jawohl. Ich rufe Angstschreie hervor und flehende Bitten um Verschonung, aber doch nicht Entzücken! Und wenn ich was errege, dann Furcht.

Ich bin ein gefährliches Raubtier mit Serienmörder-Potenzial. Wenn ich einmal Blut geleckt habe (was in meiner augenblicklichen Lebenssituation leider eher selten vorkommt), dann bin ich nicht mehr zu bremsen. Also, wäre ich, wenn ich vom Balkon springen dürfte. Dann wären diese ganzen kleinen Viecher da draußen, Piepmätze, Eichhörnchen und der kleine freche Hund aus dem zweiten Stock nämlich meine bevorzugten Opfer. Jawohl. Grausam lächelnd würde ich mit ihnen spielen und sie dann irgendwann, wenn ich keine Lust mehr habe, einfach abmurksen. Dann könnte Lotti sie fressen, denn ich mag eigentlich lieber Trockenfutter und Tütchen.

Aber jagen und killen, oh ja, das würde ich. Das liegt mir im Blut und das kann man mir, im Gegensatz zu Hunden, auch nicht aberziehen. Wenn ich meine Beute im Visier habe (also in meiner augenblicklichen Lebenssituation hauptsächlich Wollmäuse oder die zuckenden Pfoten meiner schlafenden Schwester), dann bin ich nicht aufzuhalten.

Und ich bin nicht niedlich, wenn mir das Blut von den Lefzen tropft. Nicht im Mindesten niedlich.

Auch mit fremden Katzen würde ich mich prügeln, wenn sie in meine Wohnung eindringen würden. Jedenfalls, wenn sie sich in meinem Körbchen oder meiner Höhle breitmachen wollten. Boah, die würde ich aber aus dem Haus scheuchen! Und wenn sie dafür durch den Briefschlitz fliehen müssten!

Am Bauch kraulen lasse ich mich ja auch nur, um Bettina in Sicherheit zu wiegen. Nicht, dass sie Verdacht schöpft. Also, Verdacht irgendeiner Art. Sie soll mich ruhig weiter für ein verweichlichtes Plüschpüppi halten, für einen Stubentiger (was für ein furchtbares Wort) und für eine harmlose kleine Flauschträgerin.

Aber das ist alles nur Tarnung. Eines Tages werden die Nachbarn sagen: „Aber sie hat doch immer so niedlich aus dem Fenster geguckt! Nicht zu fassen, dass sie so viele unschuldige Kleintiere auf dem Gewissen hat!“

Ich bin nicht niedlich. Sie werden es schon sehen, eines Tages im Brennpunkt nach der Tagesschau. Und wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, dann nennen Sie mich auch nicht niedlich. Und die Katzen, mit denen Sie zusammenleben (denen Sie also eine Tarnidentität verschaffen) vorsichtshalber besser auch nicht. Denn sehr wahrscheinlich steckt auch in Ihren Katzen ein Serienkiller, ein hinterhältiges gemeines Monster ohne Mitleid und ohne Reue. Wir sind nicht niedlich. Wir tun nur so. Und das sollte Ihnen zu denken geben.

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