Arbeitsleben, passwortgesichert.

„Und? Wie viele E-Mails hast du über den Sommer bekommen?“

E-Mails? Ich suche noch in abgelegenen Hirnwindungen nach dem Passwort, um überhaupt Windows starten zu können. Vom Öffnen des E-Mails-Programm bin ich noch weit entfernt!

„Schöne neue Spielzeit, Bettina!“

„Danke sehr. Dir auch.“

„Hattest du einen schönen Sommer?“

„Danke, war okay.“

„Meiner war toll. Ich habe ganz viele Fotos gemacht. Schau mal…“

„Äh… ich muss erstmal meinen Rechner starten, ja? Irgendwas stimmt hier nicht!“

„Sieht aus, als müsstest du nur dein Passwort eingeben.“

Ach… Sieht aus, als müsste deine Mutter hier nur ihr Passwort eingeben. Oder meine. Oder als wäre ich mittlerweile meine Mutter.

„Ist sicher was mit Katzen, so wie ich dich kenne.“

Echt jetzt? Und welche von den zwanzig Katzen, die in meinem Leben eine Rolle gespielt haben? Und in Verbindung mit welcher Zahl? Warum habe ich bloß kurz vor der Sommerpause mein Passwort geändert? Ach ja, weil das alte abgelaufen war. Toll. Zwei Versuche habe ich noch, bevor ich die IT anrufen muss.

„Warst du schon unten in der Poststelle?“

„Nein.“

„Die warten auch auf dich. Dein Postfach ist auch voll.“

Echt jetzt? Aber immerhin nicht passwortgesichert. Okay, also welches Passwort gehört zu diesem Rechner? Ich tippe was ein. Okay, das war dann wohl das Passwort für den Pizzaservice. Noch ein Versuch, bevor mich die IT wüst beschimpfen wird.

„Hast du dir das Passwort nicht irgendwo aufgeschrieben?“

Doch, klar. Auf der Liste, die auf der Festplatte gespeichert ist und an die ich gerade nicht rankomme. Die ist aber mehr für meine Erben. Normalerweise weiß ich die Passwörter, die ich täglich brauche, auswendig. Bloß nach sechs Wochen Ferien ist manchmal alles anders.

„Kommst du nicht mit zur Spielzeitbegrüßung des Intendanten, Bettina?“

Das fehlt mir gerade noch.

„Doch, natürlich. Wann?“

„Jetzt.“

Oh. Hastig greife ich mir meine Handtasche und renne hinter den Kollegen her. Vielleicht fällt mir ja zwischendurch das Passwort wieder ein. Ich schwitze schon jetzt wie ein Schwein, während um mich rum alle Kollegen frisch und erholt aussehen. Und natürlich keine Probleme mit dem Wiederanfang nach dem Urlaub haben, weil sie sich vermutlich ihr Passwort mit Tippex auf den Monitor geschrieben haben. Aber mein Tippex war alle.

Der Intendant erzählt was von Frisch ans Werk und Hoffentlich alle gut erholt. Von sich verändernden Umständen, Sicherheitsvorkehrungen und einer Zukunftsvision, in der wir alle unser Mobiltelefon ins Kornfeld werfen, weil wir nicht mehr überwacht werden wollen. In dem Moment klingelt mein Mobiltelefon, das ich in der Eile leider nicht stummschalten konnte. Meine Mutter. Mir bricht endgültig der kalte Schweiß aus, zusätzlich zu dem warmen, der schon vorher da war. Nicht rangehen, bloß nicht rangehen. In meiner Panik, den Anruf schnellstmöglich wegzudrücken, nehme ich ihn versehentlich an.

„Bettina? Bettina? Bist du da?“

„Nicht so laut, Mama. Es passt jetzt gerade nicht?“

„Okay. Ich wollte auch nur fragen, wann du eigentlich wieder arbeiten musst. Nächste Woche, oder?“

„Heute.“

„Wann?“

„Heute.“

„Oh.“ Sekundenlange Stille. „Solltest du dann nicht um diese Zeit im Büro sein?“

„Ich bin im Büro. Beziehungsweise in einem Meeting mit so ziemlich allen Kollegen.“

Die mich mittlerweile anstarren. Belustigt, genervt oder beides. Ich verstehe sie gut. Als es mir endlich gelingt, das Telefon in einem zufällig bereitstehenden Aquarium zu versenken, wird mir klar, dass ich die Pointe des Intendanten verpasst habe und mir nun die notwendige Energie fehlen wird, diese neue Spielzeit schwungvoll anzupacken. Unglücklich, schwitzend und hektisch eile ich meinen Kollegen nach, die auf dem Rückweg ins Büro sind.

„Schnabeltier99!“

Das war meine innere Stimme. Was hat sie gesagt?

„SCHNABELTIER99!“

Mein Passwort! Das war mein Passwort! Nun aber schnell zurück ins Büro, bevor es mir wieder entfällt! Schnell an den Schreibtisch und es eintip…

„Hast du schon gehört?

„Was denn?“

…pen. – Oh, Scheiße, die Feststelltaste…

„Das Passwort bzw. der Benutzername ist falsch. Ihr Account ist gesperrt. Rufen Sie ruhig die Kollegen in der IT an – wenn Sie sich trauen!“

Na super. Das war der dritte Versuch. Wo hatte ich noch gleich die Nummer der IT-Abteilung? Ach ja, im Rechner. Wo ist meine ausgedruckte Telefonliste? Noch im Ferienmodus, will sagen, ganz unten in einem Stapel hinten im Schrank. Ich bin überfordert. Vielleicht hätte ich mich doch in die Südsee einschiffen sollen.

Das Telefon klingelt. Widerstrebend nehme ich ab. „Ja?“

Eine muntere Kolleginnenstimme: „Ich wollte nur fragen, ob du meine E-Mail bekommen hast?“

„Was?“

„Ich habe dir um viertel nach neun geschrieben, nun ist es viertel nach zehn und du hast noch nicht geantwortet.“

Aha.

„Mein Rechner ist kaputt“, lüge ich geschmeidig. „Er fährt nicht richtig hoch. Die IT ist unterwegs. Was stand denn in der E-Mail?“

„Ich wollte nur fragen, ob du einen schönen Urlaub hattest!“

Urlaub? Welcher Urlaub? Hat jemand Schnaps?

„Haben wir eigentlich Termine?“ Meine Chefin steht in der Tür.

„Heute?“ Woher soll ich das wissen? „Das wäre ja furchtbar! Nein, ich glaube nicht.“

Ich könnte ja mal versuchen, das Büro wieder einzurichten. Wo hatte ich noch mal die Schreibutensilien geparkt? Vielleicht sollte ich auch die Kollegen in der Poststelle besuchen und eine Wagenladung Papierpost abholen? Das klingt allerdings auch sehr anstrengend. Und wo ist nochmal die Poststelle?

„Geht es dir nicht gut?“

„Wieso?“

„Du hast noch gar nicht gefragt, ob bald Mittagessen ist.“

„Ist bald Mittagessen?“

„Nein.“

„Oh.“

Es ist zwanzig nach zehn. Ich bin seit einer Stunde hier. Mir steht der Schweiß auf der Stirn, mein Hirn schaltet in den Leerlauf und mir läuft Sabber aus dem Mundwinkel. Wie viele Jahre sind es noch bis zur Rente?

„Weinst du etwa?“

„Nein, nein.“

„Du wirkst irgendwie nicht sehr motiviert…“

„Doch, doch. Geht schon. Ich freue mich, wieder hier zu sein und euch alle zu sehen.“

Wächst gerade meine Nase um ungefähr einen halben Meter?

„Weißt du, ich freue mich sehr auf diese neue Spielzeit und ich will mich nicht runterziehen lassen. Wir packen das an. Positives Denken ist das Zauberwort.“

„Klar.“

„Bist du dabei?“

„Aber so was von!“

„Super. Dann ist ja alles gut. Bis später!“

„Danke für die aufmunternden Worte.“

Es ist fünf vor halb elf. Ich schließe die Tür zu meinem Büro und krieche unter den Schreibtisch, um ein Schläfchen zu machen. Nach einem Schläfchen ist immer alles bes…RING RING RING.

RING RING RING.

Ich würde Ihnen ja gerne sagen, dass in dem Moment der Wecker geklingelt hat und alles nur ein Traum war. Stimmt aber leider nicht. Es war das Telefon mit der IT-Abteilung in der Leitung, wutschnaubend, um mal wieder mein Passwort zurückzusetzen. Wie jedes Jahr. Es war der erste Arbeitstag nach sechs Wochen Urlaub. Und dafür lief es eigentlich ganz gut.

 

 

 

 

 

 

 

2 Kommentare

  1. „Rufen Sie ruhig die Kollegen in der IT an, wenn Sie sich trauen…“

    Ich habe mal die Antwort erhalten: Ich setze ihr Passwort nicht zurück, da könnte ja jeder kommen. Nur auf Anweisung Ihres Chefs.
    Meine Antwort: Der ist im Urlaub.
    Antwort IT: Dann haben Sie eben Pech gehabt.

    Ein Kollege, der persönlich mit dem ITler bekannt war, hat dann innerhalb von Sekunden erreicht, dass mein Passwort zurückgesetzt wurde. Sein Kommentar: Tja, wenn Du niemanden kennst, kannst Du bei der IT lange warten!

    (In einem international ausgerichteten Konzern, der sich aber leider in Bayern befindet, kurz vor einer ausgiebig in der Presse verhandelten Korruptionsaffäre.Ich liebe meine Firma sehr, vor allem die IT. )

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