Bitte kein Fernsehverbot mehr!

In meiner ansonsten nicht direkt unglücklichen Kindheit hatte ich ziemlich oft Fernsehverbot. Mindestens so oft wie Stubenarrest. Beides waren wirkungsvolle Mittel zur Erziehung des schwererziehbaren Kindes, das ich damals zu sein vorgab. Wirkungsvoll in dem Sinne, dass jeder im Umkreis von etwa 2 Kilometern einen deutlichen Unterschied wahrnehmen konnte zu den eher seltenen Momenten, in denen ich weder Stubenarrest noch Fernsehverbot hatte: Über unserem Haus stand wie angenagelt eine schwarze Gewitterwolke, die direkt aus meiner Aura gespeist wurde, ich schrie in regelmäßigen Abständen „Verdammtes Scheißestablishment!“ und „Mich kriegt ihr nicht klein!“ und meine Eltern, mein Bruder, die Nachbarn, zufällige Passanten und die Katze überlegten sich sehr genau, ob sie in Hörweite lachen, sprechen oder atmen sollten. Der Durchgangsverkehr in unserer Straße kam zum Erliegen; ganz ohne offizielle Umleitung fuhr man einen vier Kilometer langen Umweg über eine Schotterpiste, durch einen Krötenautobahntunnel und durch den Hintereingang des örtlichen Blumenladens.

Das mit dem Stubenarrest erledigte sich dadurch sehr schnell; meine Eltern erkannten schnell, dass es große Vorteile hatte, nicht in der Nähe zu sein, wenn ich (wegen des Fernsehverbots) schlechte Laune hatte. So wurde ich quasi vor die Tür geschickt und noch einmal auf das vierwöchige Fernsehverbot hingewiesen, das selbstverständlich auch beinhaltete, nicht bei den Nachbarn fernzusehen (ich glaube, die Nachbarn mussten meinen Eltern schriftlich versichern, mich rauszuwerfen, wenn sie ihren Fernseher benutzen wollten).

Nicht dass ich, wenn ich gerade kein Fernsehverbot hatte, oft fernsehen durfte. Meine sonst eigentlich weltoffenen und modernen Eltern waren der Meinung, dass Fernsehen am hellichten Tag eine Sünde und der positiven Entwicklung von Kindern und Jugendlichen abträglich sei. Dass es gerade am hellichten Tag spezielle Sendungen nur für Kinder gab, erfuhr ich erst nach meiner Einschulung – was waren „Plumpaquatsch“, „Pan Tau“ und „Ferien auf Saltkrokan“ bloß für eine Entdeckung! Leider liefen sie nachmittags zur schönsten „Draußenspielzeit“ und so standen mein kleiner Bruder und ich oft wie die Deppen als einzige Kinder der Straße im Regen auf dem Spielplatz, während unsere Freunde und Peergroups gemütlich zu Hause vor der Glotze sitzen durften.

Sie Älteren unter Ihnen erinnern sich vielleicht noch: Damals gab es drei Fernsehprogramme (in Worten: DREI). Keine Videorecorder oder gar andere Aufzeichnungsmöglichkeiten (da wir noch keine Computer besaßen, konnten wir natürlich auch keine Streams aus dem Internet runterladen). Das bedeutete, dass jede halbwegs interessante Sendung (und auch die meisten nicht so interessanten) zeitgleich von diversen Menschen gesehen wurden. Die sich hinterher natürlich über das Gesehene austauschten. Überall, in der Schule, auf dem Spielplatz und im Pferdestall. Szenen wurden nachgespielt und besonders eindringliche Bonmots zitiert und dem allgemeinen Jugendsprachgebrauch einverleibt. Und ich stand doof daneben und wusste von nichts.

So blieb es mehr oder weniger, bis ich nach dem Abitur von zu Hause auszog. Von meinem letzten Taschengeld hatte ich mir einen kleinen tragbaren Fernseher gekauft, den billigsten natürlich, ohne Stationstasten mit so einer fiesen Revolverschaltung. Damit konnte ich mit relativ gut ARD und ZDF empfangen, die Privatsender RTL und SAT1, die dann auch bald zu senden begannen, aber nur, wenn der Wind günstig stand und jemand die Antenne ganz weit nach links drückte. Nun durfte ich zwar fernsehen, aber erstens gab es nicht wirklich viel, was ich sehen wollte, und zweitens war der Genuss auf der 32-Zentimeter-Schwarz-Weiß-Diagonale doch eher begrenzt.

Ende der 80er-Jahre lieh mir dann jemand einen Videorecorder und ich kaufte meinen ersten eigenen Farbfernseher. Blaupunkt, gebraucht. Und nun fing ein neues Leben an. Was hatte ich nicht alles nachzuholen? Fernstehen, wann immer ich es wollte und so lange, bis mir der Kopf runterfiel. Schluss war mit kleinen, pädagogisch wertvollen Häppchen in homöopathischen Dosen. Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch in einer Videothek. Was für ein Schlaraffenland. Dass man Filme einfach sehen konnte, wann immer man wollte, stellte mein Leben komplett auf den Kopf. Der erste Film, den ich auslieh, war „Roxanne“ von und mit Steve Martin; ich sah ihn, in den drei Tagen, die ich das Video behalten durfte, ungefähr fünfzehnmal.

Herrliche Zeiten brachen an, in denen schon fast zu viele Filme, die ich lange vermisst oder von denen ich nur gehört hatte, plötzlich alle gleichzeitig verfügbar wurden. Bis ich von dem „Filme sind großartig, aber bitte in Originalfassung“-Virus erfasst wurde. Fortan ließ ich normale Videotheken links liegen und frequentierte die zwei Etablissements in Hamburg, die sich auf Videos in der englischen bzw. amerikanischen Originalfassung konzentriert hatten oder zumindest mehr davon führten als deutsche Synchronfassungen. Die gab es zum Glück und sie waren auch recht gut bestückt.

Noch großartiger war natürlich, mit einem leeren Koffer übers Wochenende nach London zu fliegen (was damals allerdings noch richtig Geld kostete) und dann mit einem prall gefüllten Koffer zurückzukehren. Natürlich konnte man auch von Deutschland aus Videos in Originalsprache bestellen, aber das war mühsam, kostete viel Geld, dauerte ewig und vor allem: Es gab keine Kataloge, in denen man hätte stöbern können, und schon gar keine Sonderangebote. In London hingegen gab es Plattenläden, groß wie Turnhallen, mit riesigen Videoabteilungen. London war also ein unvergleichliches Paradies und ich kaufte bergeweise Videos, zu der Zeit aber noch ausschließlich Spielfilme, obwohl auch Serien und Mehrteiler im Angebot waren.

Mit den Begriffen Serienstaffel bzw. Season konnte ich damals noch nichts anfangen. Eine Serie war etwas, wovon es einmal pro Woche eine Folge gab, immer zu selben Zeit. Ich war auch keine große Serienguckerin, dafür gab es zu viele Filme, die ich infolge der durch Fernsehverbote verlorenen Kinder- und Jugendzeit aufzuholen hatte. Zwischen „Ferien auf Saltkrokan“ und „Ally McBeal“ gab es bei mir eigentlich nur „Monty Python’s Flying Circus“ und „Twin Peaks“, alle anderen Serien gingen spurlos an mir vorüber. Von Monty Pythyon und Twin Peaks habe ich von der ersten bis zur letzten Folge alles live im Fernsehen gesehen – das waren noch TV-Ereignisse, nach denen man seinen Tag ausrichtete. Ally McBeal lernte ich erst kennen, als schon die dritte Staffel im deutschen Fernsehen lief. Ich guckte also im Fernsehen jede Woche eine Folge der dritten Staffel und zwischendurch die DVDs der ersten beiden Staffeln, um auf Stand zu kommen. Aber das war viel später.

Die erste und einzige Serie, die ich jemals auf VHS-Cassetten, gekauft habe, war „Our Friends in the North“ von der BBC. Das muss 1997 gewesen sein und ich schwärmte für Mark Strong, den ich in London im Theater und im Kino in „Fever Pitch“ mit Colin Firth gesehen hatte. „Our Friends in the North“ war eigentlich keine Serie, sondern ein Mehrteiler, ein „Serial“ mit neun Folgen. Außer Mark Strong spielte auch Daniel Craig mit, den zu der Zeit noch fast niemand kannte. Auch Mark Strong kannte noch niemand außerhalb Englands. „Our Friends“ folgt über einen Zeitraum von dreißig Jahren vier jungen Menschen aus Newcastle, an deren Schicksal entlang sich quasi dreißig Jahre jüngerer britischer Geschichte erzählen. Preisgekrönt, großartig und sehenswert – leider nie im deutschen Fernsehen gelaufen und meines Wissens nicht einmal synchronisiert. Von der Existenz dieses Fernsehjuwels erfuhr ich im Internet, Onlineshops waren aber leider noch nicht erfunden. Ich kaufte sie – vier VHS-Cassetten – direkt bei der BBC, die so nett war, auf Rechnung nach Deutschland zu liefern, wenn man nett danach fragte.

Einen DVD-Player besaß ich zu der Zeit noch nicht und auch das Angebot im Fachhandel war noch sehr überschaubar. Von Sonderangeboten und Gebrauchtware konnte noch keine Rede sein. Aber es dauerte natürlich nicht lange, bis es auch damit losging, und natürlich erwarb ich auch schon Anfang der 2000-er Jahre meinen ersten DVD-Player. Allerdings kaufte ich längst nicht mehr so viele DVDs wie vorher VHS-Cassetten – und schon gar nicht dieselben Filme, die ich schon auf VHS besaß. Dafür aber die ersten Serien, nämlich die bereits erwähnte „Ally McBeal“ und anschließend „Grey’s Anatomy“, wo ich auch zur dritten Staffel einstieg und sofort sehr, sehr abhängig wurde. Zu schön war es, diese in der Originalfassung und mit Untertiteln (gerne in Englisch, notfalls aber auch in Deutsch) zu sehen – gerne auch an verregneten und ereignisarmen Sonntagen mehr als eine Folge pro Woche. Trotzdem: Damals waren die Ressourcen noch begrenzt, DVDs hatten ihren Preis und ich hatte den Vorsatz, sie mir gut einzuteilen und nicht ganze Staffeln hemmungslos hintereinander wegzugucken. Noch.

Da in der Hamburger Innenstadt das Internet nicht so besonders schnell ist (warum auch, man kann ja überall zu Fuß hinlaufen), habe ich mich mit dem Streamen von Filmen erst befasst, als Amazon gar nicht mehr aufhörte, mir eine Prime-Probemitgliedschaft mit unglaublichen Möglichkeiten anzubieten. Vorher hatte ich gelegentlich bei Youtube oder in den Mediatheken von Fernsehsendern versucht, eine Sendung anzuschauen, meistens bufferte es aber mehr als dass es lief.

Irgendwann, mit verbesserter Technologie bei allen Beteiligten, ging es dann so leidlich. Trotzdem – ich sah – nach wie vor überwiegend Filme und verstand nicht wirklich, wovon andere Menschen redeten, wenn sie vom Serien-Bingewatching berichteten. Bis… ja bis was eigentlich? Ich weiß es eigentlich nicht mehr, aber irgendwie muss sich plötzlich in meiner Wahrnehmung der Dinge etwas ins Gegenteil verkehrt haben: Plötzlich hatte ich das Gefühl, niemals alle sehenswerten Fernsehserien schaffen zu können, auch nicht, wenn ich gar nichts anderes mehr nebenbei mache. Plötzlich gab es unglaublich viele tolle Fernsehserien, die ich zwar bisher getrost ignoriert oder verschlafen hatte, von denen es aber genau deswegen nun schon drei oder sechs oder noch mehr ständig abrufbare Staffeln im Internet gab.

Eine Herausforderung, der ich mich gerne stellte, und so sah ich in den letzten zwei Jahren (Amazon Prime und seit etwa einem Jahr auch Netflix machen es möglich) mehr Fernsehserien als jemals zuvor: Sherlock (kannten alle schon vor mir, klar), Elementary (ist auch nicht neu), 2 Broke Girls (natürlich), The New Girl (klar), Being Erica (kennen Sie das?), Masters of Sex (auch toll), Scandal (muss ich allein weitergucken, weil mein Freund die hysterischen Frauen nicht mehr erträgt), How to get away with Murder? (dito, aber ich warte dringend auf die nächste Staffel), Unbreakable Kimmy Schmidt (echt abgefahren), Mr Selfridge (sehr gut), Mozart in the Jungle (allerliebst), Stranger Things (hat mir sehr gefallen), Broadchurch (die zweite Staffel ist nicht so gut wie die erste, aber immerhin), Luther (fantastisch).

Unzählige andere Serien fing ich an, um mich dann doch gegen das Weitergucken zu entscheiden. Schon allein der Luxus des unverbindlichen Testguckens macht mich glücklich. Angefangen und wieder aufgegeben habe ich: House of Cards, The good Wife, Better call Saul, Homeland und Dexter.

Im Moment schaue ich bei Netflix Gilmore Girls, bin gerade in der fünften Staffel und frage mich, warum ich diese Serie erst so spät für mich entdeckt habe. Bei Amazon gucke ich parallel „Unreal“, eine Serie über eine fiktive Bachelor-Reality-Show. Sehr krass und eigentlich warte ich ja auch nur darauf, dass die sechste und letzte Staffel von Downton Abbey kostenlos zugänglich wird.

Meine Lieblingsserien (bisher)

  • Fawlty Towers
  • Our Friends in the North
  • Grey’s Anatomy
  • The IT Crowd
  • Downton Abbey
  • Die Brücke
  • Call the Midwife
  • Gilmore Girls

Meinen Fernseher schalte ich eigentlich nur noch für den Tatort an und morgens, für eine halbe Stunde Frühstücksfernsehen und die Tagesschau. Ansonsten habe ich mich gut und gerne an das Glotzen auf dem Laptop oder im Bett auf dem Tablet gewöhnt. Meine größte Angst ist, dass mir irgendwann die Serien ausgehen könnten. Aber sehr real ist diese Gefahr wohl nicht, denn das Angebot wird schließlich von Tag zu Tag größer. Und sobald man anfängt, sich über das Thema „Welche Serien guckst du so?“ auszulassen, bekommt man ja auch neue wertvolle Empfehlungen. Also: Welche Serien gucken Sie so und was würden Sie mir vielleicht ans Herz legen wollen? Sagen Sie’s ruhig spontan und ohne viel nachzudenken – schließlich will ich alles gesehen haben, wenn ich das nächste Mal Fernsehverbot bekomme.

6 Kommentare

  1. Wirklich sehr, sehr gerne habe ich Grace and Frankie geschaut, die dänische Serie Rita und (im Anschluss!) dann den Ableger davon, der Hjørdis hieß. Nach orange is the new black war ich ebenfalls geradezu süchtig.
    Im Moment habe ich irgendwie Serienpause, was sich in der kommenden, dunklen Jahreszeit bestimmt wieder ändern wird.
    Vielleicht ist ja bei den Vorschlägen etwas passendes für Dich dabei.

    Sofasonntagsgrüße
    Madame Himmelblau alias Nicole

    1. Vielen Dank für die Anregungen, liebe Nicole. Von Orange itnb habe ich eine Folge gesehen, mich gewundert und es dann wieder zur Seite getan. Und nun, wo so viel davon gesprochen wird, muss ich vielleicht doch noch mal reinschauen… Über Grace and Frankie habe ich auch schon nachgedacht. Also, vielen Dank und ab an die frische Luft, solange man es da noch aushalten kann! Grüße von Sofa zu Sofa! Bettina

  2. die abteilung klassiker wie the wire und ähnliche meilensteine oder standards wie tbbt wollen wir hier mal außen vor lassen aber von den sachen die jetzt noch laufen würde ich sagen wäre meine empfehlung: how to get away with murder, blindspot, the blacklist, power, better things, lethal weapon, suits, quantico, billions, into the badlands, , queen of the south. defiance und revolution wurden leider mitten im handlungsbogen aber nicht mitten in der staffel abgesetzt waren aber trotzdem gut. justified wäre läuft nicht mehr ging in deutschland aber so ein bißchen unter wert unter ebenso wie soutland. als olle kamelle würde ich unbedingt cybill mit cybill shepherd
    christine baranski und der spektakulär gut aussehenden alica witt empfehlen eine frühe chuck lorre arbeit. aus uk the last kingdom, ein achteiler der aber vielleicht fortgesetzt wird so bißchen im selben universum wie vikings angesiedelt.

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