Busfahren, aber als Extremsport

Zeit meines Lebens war und bin ich eine überzeugte Benutzerin von öffentlichen Verkehrsmitteln. Das hat sicher damit zu tun, dass ich (schon immer) eine sehr schlechte Autofahrerin war und (seit einigen Jahren) zu kurzsichtig zum Radfahren bin. Aber auch damit, dass ich erstens in Zeiten großgeworden bin, in denen Kinder  und Jugendliche fast alle Wege ohne elterliche Begleitung machen durften, und zweitens vor allem damit, dass in meiner Familie Autos nur eine sehr untergeordnete Rolle spielten. Mein Vater fuhr morgens mit der S-Bahn von unserem Vorort aus in die Innenstadt und vertrat auch sonst ganz klar den Standpunkt, dass man ein Auto nicht für die Wege braucht, die man auch anders zurücklegen kann.

Ein Auto, falls man dann mal eins hat, braucht man für Großeinkäufe und wenn man mit vier Personen plus Katze für drei Wochen in ein Ferienhaus nach Dänemark fährt (obwohl wir dafür eher einen Minibus gebraucht hätten statt eines Käfers). Ansonsten sind andere Verkehrsmittel zu bevorzugen.

In dem Vorort von Hamburg damals waren sinnvolle Busverbindungen noch die Ausnahme, aber es gab eine direkte S-Bahn-Anbindung an die Hamburger Innenstadt, die ich so oft wie möglich nutzte. Als ich dann später direkt nach Hamburg umzog, stellte ich fest, dass auf kurzer Strecke das riesige Busnetz noch viel nützlicher war als S- und U-Bahnen: Busse fahren meistens viel näher an den zu erreichenden Orten vorbei und – das war vor der Erfindung des Smartphones – beim Ausdemfenstergucken gibt es im Allgemeinen mehr zu sehen als auf einer S-Bahn-Trasse. In der S-Bahn versuchte ich normalerweise zu lesen, war aber immer unkonzentriert dabei. Beim Busfahren guckte ich raus oder die Mitreisenden an und fühlte mich dabei meist recht gut unterhalten.

Inzwischen wohne ich ja so zentral, dass ich die wesentlichen Wege zu Fuß zurücklegen kann, so zum Beispiel den Weg ins Büro. Das soll ja gesund sein. Morgens finde ich es auch noch ganz okay, es geht ein bisschen bergab, die Luft ist noch frisch und die anderen Menschen auf der Straße haben es auch eilig. Abends zurück ist schon weniger attraktiv: Es geht leicht bergauf, die Ampeln sind alle immer rot, ich muss an einer Kneipe vorbei, aus der (um 18 Uhr!) giftige Dämpfe wabern und vor der hochgestellte Polokragen Cocktails schlürfen und wichtige Gespräche führen, und überhaupt gehen mir diese ganzen Gestalten, die offenbar alle Zeit der Welt haben, um von A nach B zu gelangen, furchtbar auf die Nerven. Also gehe ich abends zu Fuß zum Supermarkt, kaufe ein paar Dinge und „muss“ dann ja den Bus nehmen, weil ich nicht mit einer vollen Tüte „bergauf“ laufen kann.

Zu weit zum Laufen ist mein neues Fitness-Studio entfernt, aber dafür liegt es an einer der vier Buslinien, die bei mir zu Hause vorbeikommen. Doof nur, dass ich meistens vom Büro aus zum Sport möchte… und mich auch beeilen muss, weil die Aquafitkurse ja zu bestimmten Zeiten und immer kurz nach Feierabend stattfinden. Lustigerweise bin ich schneller, wenn ich zu Fuß nach Hause gehe, kurz die Katzen füttere, meine Sportsachen schnappe und zur nahegelegenen Bushaltestelle laufe, als wenn ich hier in der Innenstadt zur nicht so nahegelegenen Bushaltestelle der richtigen Linie laufe, eine kleine Stadtrundfahrt auf der Linienstrecke mache und nach etwa 20 Minuten bei mir zu Hause vorbeifahre.

Mit der erstgenannten Variante spare ich ungefähr fünf Minuten ein – und die Katzen haben gegessen, wenn ich zum Sport gehe und müssen nicht warten, bis ich irgendwann zwischen acht und neun wieder nach Hause komme. Und dafür nehme ich natürlich gerne ein wenig Eile in Kauf.

Sobald ich in den Bus eingestiegen bin, ist ja ohnehin Schluss mit der Eile und ich kann nichts mehr dafür tun, pünktlich zum Aquafit im Becken zu sein. Normalerweise fährt der Bus direkt von meiner Haltestelle aus in den ersten Stau und braucht so um die zehn Minuten, um zwei miteinander verwobene Kreuzungen zu überqueren. Dann hat er für zwei Haltestellen eine Busspur, die er sich nur mit Radfahrern, schräg geparkten Kurier- und anderen Lieferfahrzeugen und einigen aus der Spur geratenen Müllcontainern teilen muss. Dann kommt die Tempo-30-Zone, auf der die Busspur wieder aufgelöst wurde und auf der es eigentlich immer voll ist und der Verkehr sich nur mühsam von Ampel zu Ampel voranschiebt. Wenn wir aus dieser Zone rauskommen, sind wir auch schon so gut wie da… aber bis wir da rauskommen dauert es manchmal doppelt und dreimal so lange wie vorgesehen.

Der Bus ist ein sogenannter Metrobus, der Metrobus 3; er fährt auf einer Ost-West-Achse durch Hamburg, durchquert die Innenstadt, die Neustadt, das Schanzenviertel und einen Teil von Altona und Bahrenfeld. Davor und danach weiß ich nicht so genau, das habe ich noch nie probiert. Es ist ein langer Bus mit Gelenk in der Mitte und er fährt mindestens alle zehn Minuten, meist häufiger. Trotzdem ist er immer voll, zu den Hauptverkehrszeiten knallvoll. Mit Einzelpersonen, Paaren, Familien, Sippschaften, Kinderwagen, Rollstühlen, Flohmarktständen und – schnäppchen, Hunden aller Größen und Formen sowie Gepäckmengen, die eine mittlere Boeing nicht vom Boden abheben ließen. Manchmal steigt man ein und denkt: Oh, Mist, das ist ja ein Umzugswagen und ich Idiot bin eingestiegen, weil er ein bisschen unglücklich an der Bushaltestelle geparkt hat!

Man kann von Glück sagen, wenn man sich in diesen Bus noch reinquetschen kann. Sitzplätze sind, wie in vielen modernen Niederflurbussen, eher rar und auch Stehplätze sind eher theoretisch vorhanden. Praktisch klemmt man zwischen zwei döneressenden Jugendlichen oder sitzt auf dem Hackenporsche einer Frau, die außerdem noch vier weitere Gepäckstücke und einen Wellensittich im Käfig mit sich führt. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich nicht über Körper- und sonstige Gerüche meiner Mitmenschen beschweren; ich selbst rieche kurz nach Feierabend an einem anstrengenden Tag mit den in Hamburg üblichen schnell wechselnden Temperaturen möglicherweise auch nicht immer ganz frisch.

Der Metrobus 3 hat WLAN an Bord, was ich prinzipiell sehr sympathisch finde. Allerdings hatte ich bisher höchstens ein- oder zweimal so viel Luftraum um mich herum, dass ich es geschafft habe, mein Smartphone aus der Tasche zu holen. Immerhin schaffen es dadurch auch nicht sehr viele Menschen, im Bus zu telefonieren, das ist ein Vorteil. Ein Nachteil ist, dass es oft in Hand- und Hosentaschen klingelt, die Angerufenen nicht an ihr Telefon kommen und man dem Klingelton dann eben kollektiv so lange zuhören muss, bis der Anruf auf die Mailbox umgeleitet wird.

Natürlich will ich nicht behaupten, dass das Busfahren anstrengend ist (und schon gar nicht, dass im Stau stehen im Auto wesentlich mehr Spaß macht). Aber – und das ist jetzt nicht erfunden oder übertrieben – mein Körper hat da womöglich eine eigene Meinung: Ich benutze ja seit einigen Monaten ein Fitnessarmband, das meine Aktivitäten aufzeichnet und mich regelmäßig daran erinnert, mich mal wieder zu bewegen, falls ich im Büro eingeschlafen bin oder zu lange unbeweglich im dunklen Zuschauerraum sitze. Dieses Fitnessarmband misst auch meine Herzfrequenz und benutzt diese Messung um, in Kombination mit anderen Daten wie zum Beispiel getätigten Schritten oder auch unabhängig davon, meine körperliche Aktivität zu klassifizieren und mir zu sagen, ob ich den Empfehlungen der WHO, pro Woche 150 Minuten mit intensiver körperlicher Aktivität zu verbringen, entspreche oder nicht.

Zur Klassifizierung meiner körperlichen Aktivität kennt das Armband drei Stufen:

  1. normale Herzfrequenz, keine Intensitätsminuten
  2. erhöhte Herzfrequenz, normale Intensitätsminuten
  3. sehr hohe Herzfrequenz, doppelte Intensitätsminuten (für zehn Minuten mit sehr hoher Herzfrequenz notiert die Uhr also zwanzig Intensitätsminuten)

So. Nun raten Sie mal, was an guten Abenden mehr Intensitätsminuten bringt: Die Anreise zum Sport mit dem Metrobus 3 mit anschließendem Sprintfinale zum Fitness-Studio und Hechtsprung unter der Dusche durch in den Pool oder die 45 Minuten Aquafitness, für die ich mich so beeilt habe und die es anstrengungsweise durchaus in sich haben! Na? Genau. Normalerweise gibt es für die Busfahrt mindestens einfache, an klimatisch schwierigen Tagen mit Flohmarkt an der Feldstraße auch doppelte Intensitätsminuten. Und zwar durchgehend und auch noch zehn Minuten später. Für 45 Minuten Aquafit (egal ob mit Hanteln oder mit Poolnudel) gibt es mit Glück etwa 30 einfache Intensitätsminuten.

Was ich damit für ein Problem habe? Gar keins. Sport ist Sport und von mir aus kann Busfahren gerne zu meinen sportlichen Aktivitäten gezählt werden. Von mir aus auch als Extremsport. Ich wüsste aber wirklich gerne auch, wie viele Kalorien so eine Busfahrt quer durch Hamburg verbraucht und wie viele Kekse ich anschließend essen kann. Das könnte doch mal jemand erforschen, oder?

 

2 Kommentare

  1. Der Knaller! Und sehr amüsant geschrieben 🙂 Gut, dass ich auf dem Land lebe. Allerdings bin ich aus diesem Grunde auch mit dem Auto unterwegs zur Arbeit, da es leider keine direkte Verbindung zu meiner Arbeitsstelle gibt. Wäre ich mit dem Bus unterwegs, bräuchte ich Minimum 1 Stunde bis zu meiner Arbeitsstelle (einfacher Weg), mit dem Auto sind es 20 bis 25 Minuten, je nach Verkehrslage. Über Land.
    Die Erforschung des Kalorienverbrauchs bei einer Busfahrt, wie von dir beschrieben wäre wirklich mal interessant 😉

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