Das zweite Jahr im Homofiss

Das gestern, das war schon mein zweiter Pandemie-Geburtstag. Letztes Jahr am 27. März war ich gerade zehn Tage im Homoffis, man bemitleidete mich, weil ich meinen Geburtstag nicht angemessen feiern konnte, und niemand konnte sich vorstellen, dass das im Laufe des Jahres uns allen so gehen würde.

Wir dachten, diese ganze Angelegenheit würde sich in wenigen Wochen von selbst erledigen. Wenn nicht nach den ersten zwei Lockdown-Wochen, dann doch auf jeden Fall mit den steigenden Temperaturen im Frühjahr.

Das war ja dann auch so. Fast. Nur, dass es leider nicht so blieb. Na ja, es konnte ja niemand ahnen, dass nach dem Sommer wieder ein Herbst und ein Winter kommen. Und dass die Fallzahlen dann wieder rasant ansteigen.

Nun sogar schon zum zweiten Mal ein Pandemie-Geburtstag. Wie gesagt, es war kein runder Geburtstag und ich hätte ohnehin keine größere Feier geplant, aber… aber… aber… ich habe keine Ahnung, was ich geplant hätte. Geburtstagsfeiern liegen außerhalb meiner Vorstellungswelt inzwischen.

Wie war das noch, damals, als man Menschen zu sich nach Hause einlud, auch in der kühleren Jahreszeit mit überwiegend geschlossenen Fenstern, sich ein Ständchen bringen ließ (Singen in geschlossenen Räumen!), sich herzte und küsste (Örks!) und gemeinsam Essen verspeiste, das unter völlig unzureichenden Hygienebedingungen in einer ganz normalen Küche zubereitet worden war? Ohne Maske, ohne Abstand, ohne Lüften? Ohne zu fragen: Bist du schon geimpft? Ohne Selbsttests aus dem Discounter, für die man morgens vor dem Öffnen Schlange gestanden hat?

Ich kann mir das alles nicht mehr so richtig vorstellen. Und wenn doch, dann sind das keine angenehmen Gedanken. Die plötzliche Nähe anderer Menschen ist etwas, woran ich nicht mehr gewöhnt bin und das bei mir ein ungemütliches Gefühl oder gar Alarmglocken auslöst.

Kennen Sie das, wenn Sie nachts eine völlig normale Situation aus Ihrem – früheren – Leben träumen und schweißgebadet aufwachen, weil im Traum niemand eine Maske trug? Das kommt bei mir im Moment häufiger vor und mein träumendes Ich hat da ganz schön viel Stress mit.

Das alles hätte ich mir an meinem Geburtstag im letzten Jahr wirklich nicht träumen lassen. Allerdings auch nicht, dass ich im Sommer meinen langjährigen Job kündigen, ein Buch schreiben/veröffentlichen (und an meinem Geburtstag daraus im Internet vorlesen) und ab Herbst eine neue berufliche Zukunft anstreben würde. Die dann sogar in halbwegs greifbare Nähe rückt. Ganz im Gegenteil: Eigentlich hatte ich zu Beginn der Pandemie meine vorsichtigen Überlegungen in diese Richtung erst einmal verworfen, weil ich dachte, das sei jetzt auf keinen Fall die Zeit für eine solche Veränderung.

Und dann stellte sich heraus: Sie war es doch. Genau die richtige Zeit. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass ich im Homofiss plötzlich zu viel Zeit hatte, als dass ich mich noch länger selbst hätte belügen können. Meine Zeit in der Oper war um, so was von um. Und wenn der Job noch so viele Jahre lang mein Traumjob war… Die Opernwelt hat sich verändert und ich auch. Nicht wirklich in dieselbe Richtung, sage ich mal. Und das ist okay so, das ist nichts Schlimmes.

Ob ich ohne die Angst, mich im Job mit Corona zu infizieren, den Mut aufgebracht hätte, meine Stellung zu kündigen, ohne eine neue unter Dach und Fach zu haben? Vermutlich nicht. Ich hätte ja nicht einmal genügend Muße gehabt, darüber so richtig nachzudenken.

Und nun befinde ich mich in einer Phase der beruflichen Neuorientierung. Mit (seit gestern) 57 Jahren. Und es läuft gut, sehr gut. Vielleicht werde ich mit Trauer- und Hospizarbeit nicht mehr so viel Geld verdienen wie vorher (nicht dass mein Opernjob jetzt wirklich gut bezahlt worden wäre, angepasst an die Tarife im öffentlichen Dienst), aber dafür habe ich seit langer, langer Zeit endlich wieder einmal das Gefühl von Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit. Ja, vor allem von Selbstwirksamkeit. Und das fühlt sich unfassbar gut an.

Corona ängstigt mich noch immer sehr, aber: Meine Mutter hat Covid-19 schon gehabt und außerdem ist sie geimpft (zumindest einmal). Und ich bin auch geimpft (zweimal). Das ist schon sehr viel und – zumindest in meinem Fall – sehr privilegiert, ich weiß. Dass ich nun – trotz dritter Welle – nicht mehr ganz so viel Angst vor einer Ansteckung haben muss, muss ich mir aber noch bei jedem Ausflug in dieses Draußen (das heißt ins Hospiz oder ins Seniorenheim) nachdrücklich sagen. Meist mehrfach.

Immerhin habe ich in dieser Woche etwas gemacht, was ich mir für „wenn ich mal geimpft und immun bin“ vorgenommen hatte: Ich bin mit der Elbfähre gefahren. An einem Wochentag am frühen Vormittag bei eher kühlen Temperaturen. Vom Fischmarkt bis Finkenwerder und zurück. Und was soll ich Ihnen sagen: Außer mir waren kaum Menschen unterwegs, zum Teil hatte ich das Oberdeck für mich alleine. Herrlich, wenn auch kühl am Hintern. Gut für die Stimmung, vor allem. Nach so einem Ausflug zurück nach Hause zu den zahlreichen Katzen zu kommen: Wunderbar. Schließlich sind die alle so flauschig und die beste Gesellschaft der Welt.

Es ist also nicht alles schlecht an meinem zweiten Pandemie-Geburtstag und am Beginn des zweiten Jahres im Homofiss. Zumindest für mich nicht. Mein Freund, der noch eine Weile in seiner Reha bleibt, fehlt mir sehr. Aber dafür habe ich seine Katzen. Ich lerne viel Neues, was mir Freude macht, und werde das Gelernte auch irgendwann zur Anwendung bringen. Zu einer sinnvollen Anwendung wohlgemerkt.

Einen dritten Pandemie-Geburtstag brauche ich aber definitiv nicht, vielen Dank. Es wäre auch okay, wenn nicht alle meine Mitmenschen einen zweiten Pandemie-Geburtstag erleben müssten. Ich würde mich dann nicht benachteiligt fühlen, wirklich nicht, im Gegenteil.

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