Niemand wusste, ob es noch oder schon wieder dunkel war, aber alle waren sich einig darüber, dass die Dunkelheit nun schon so lange anhielt, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnten, ob es irgendwann einmal heller gewesen war. Eine dichte Wolkendecke trennte Himmel und Erde und war nur für Niederschläge unterschiedlichster Art durchlässig. Entsprechend war es also feucht und dunkel und man musste noch froh sein, dass die Temperaturen nicht in den Minusbereich rutschten. Ob diese ganze Wettermisere tatsächlich „nur“ eine echt hässliche Wettererscheinung darstellte oder eine Klimaangelegenheit mit Aussicht auf Fortsetzung und Verschlechterung in den nächsten Jahren, das konnte Frl. Leonie Mau nicht beurteilen. Schließlich hatte sie nicht Meteorologie studiert (warum auch?) oder auch nur besonders oft in ihre Wetter-App geschaut.
Was Frl. Leonie Mau aber wusste, war, dass das Wetter einfach unterirdisch war und sie müde und quengelig machte. Und das schon seit Tagen, obwohl der November vorbei war und der Dezember alle Möglichkeiten gehabt hätte, sich gut einzuführen. Aber nichts da. Es war ein ewiges schlechtbeleuchtetes Hamsterrad: Morgens stand man im Dunkeln auf, fror, aß, kackte, verbrachte den Tag, fror weiter, aß mehr, kackte erneut und ging im Dunkeln wieder schlafen, bis schließlich der nächste trübe Morgen nahte (hier nach Belieben Wortwitz mit „Morgengrauen“ einfügen).
Auch die dicke freundliche Frau und sogar der unverwüstliche Frittelio Frittez machten einen niedergedrückten Eindruck und hätten den Tag gerne und ohne Bedenken komplett mit Leo im Bett verbracht, vorausgesetzt, Leo hätte dort vorher genügend Essen gebunkert. Den Tag und auch alle weiteren … bis draußen mal wieder die Sonne durchkam.
Aber nichts da. Die dicke freundliche Frau machte nach wie vor und unabhängig davon, ob es hell oder dunkel war, dieses komische Ding, das sie „Arbeiten“ nannte, und das auch noch fast täglich. Leo konnte einfach nicht fassen, wieviel Zeit und Raum dieses „Arbeiten“ in ihrem Leben einnahm, obwohl das doch verschwendete und verlorene Zeit war, so ohne Schlafen, Essen und Leo-Kraulen. Stattdessen saß sie, wenn sie überhaupt zu Hause war, vor dem Laptop und hämmerte auf der Tastatur rum oder, was noch nerviger war, sie telefonierte und sprach mit fremden Menschen, die ihr traurige Geschichten erzählten. Zu Leos Erstaunen erhielt sie dafür tatsächlich Geld, mit dem sie Essen und Katzenfutter kaufen konnte. Was ja nicht ganz unwichtig war und immer noch besser, die dicke freundliche Frau kümmerte sich darum, als sie, Frl. Leonie Mau.
Frittelio Frittez war in dieser Hinsicht auch eher pragmatisch: Dieses „Arbeiten“ kam für ihn nicht in Frage, das hatte er bereits mehrfach sehr deutlich gemacht. „Ich bin Lebenskünstler“, pflegte er zu sagen, „und daran gewöhnt, dass andere für mich sorgen. Dafür unterhalte ich euch und stehe euch immer mit Rat und Tat zur Verfügung.“ Da Frittes Rat im Allgemeinen darin bestand, dass er alle verwertbaren Lebensmittel vernichtete, „Auf sie mit Gebrüll!“ rief und sich dann den wärmsten Platz zum Schlafen suchte, hatte Leo sich gar nicht erst daran gewöhnt, seine Meinung zu irgendwelchen Ereignissen einzuholen.
Aber heute war alles anders. Leo bahnte sich ihren Weg durch das schummrige Wohnzimmer zu Frittes Körbchen, rüttelte ihren Mitbewohner kräftig an der Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: „Es will heute schon wieder nicht richtig hell werden. Wir greifen also zum Äußersten: Wir zünden zwei Kerzen an, ob wir nun einen Adventskranz haben oder nicht.“
„Das ist eine gute Idee“, murmelte Fritte verschlafen. „Aber wieso weckst du mich deswegen auf?“
„Weil du mir versprechen musst, nicht deinen Schwanz in die Flamme zu halten“, erwiderte Leo, „verbrannte Katzenhaare stinken ekelhaft und dann wacht die dicke freundliche Frau auf und löscht die Kerzen wieder. Und ich brauche ganz dringend ein bisschen Licht.“
„Alles klar und kein Problem!“, sagte Fritte selbstbewusst. „Keinen Schwanz in die Kerze, kein Feuer, kein Brandgeruch. Nur Gemütlichkeit und ein kleines Licht im Dunkeln. Das kriegen wir hin.“
Zusammen entzündeten die Katzen feierlich zwei Kerzen auf dem Esstisch, nahmen mit einem gewissen Abstand von den Flammen auf der Tischkante Platz und starrten versonnen in das warme freundliche Licht.
„Advent, Advent“, sagte Leo versonnen und Fritte vollendete vergnügt den Satz: „Zwei Lichtlein brennt. Juhu. Prost. Miau.“
Was für eine schöne Idee der beiden Katzen und Frittes Reim (Grammatik wird manchmal überbewertet) bringt zusätzlich Licht in den grauen Sonntag. Tolles Foto!
Wie schön geschrieben…echt zum Schmunzeln