Keine Weihnachtsstimmung?

„Was? Elektrische Kerzen auf dem Adventskranz?“, fragte Frithjof Frittrikson entsetzt. „Also, dafür habe ich nun wirklich nicht den weiten Weg von Transsilvanien über Wilhelmshaven nach Hamburg gemacht. Ich bin immer und natürlich vollkommen zu Recht davon ausgegangen, dass es in diesem Haushalt einen Adventskranz mit echten Kerzen gibt! Das steht bestimmt auch irgendwo in meinem Adoptionsvertrag.“

Unbeeindruckt beobachtete Leo, wie Fritte, wohl um sein Statement zu unterstreichen, mit der geballten Pfote auf den Tisch schlug. „Was denn für einen Adventskranz?“, fragte sie dann, ohne mit der Wimper zu zucken. „In diesem Haushalt gibt es keinen Adventskranz.“

„Was?“, rief Fritte, der jetzt schon richtig aufgeregt wirkte. „Wir haben keinen Adventskranz? Wo gibt es denn so was? Du willst mich doch veräppeln, Leo! Nächstens erzählst du mir noch, dass wir auch keinen Adventskalender bekommen …?“

„Was willst du denn mit einem Adventskalender?“, fragte Leo unschuldig. „Du kannst doch gar keine Türen aufmachen!“

„Ich arbeite daran!“, rief Fritte wütend. „Ich kann doch nichts dafür, dass in dieser Bruchbude die Türen alle so schwergängig sind. Normalerweise sind Türen aller Art überhaupt kein Problem für mich. Selbst Tresore kann ich öffnen. Da musst du dir um die Papptürchen eines Adventskalenders nun wirklich keine Sorgen machen.“

„Ich mache mir keine Sorgen“, erwiderte Leo gelassen und leckte sich weiterhin die linke Vorderkralle, „schließlich haben wir keinen Adventskalender.“

„Ja, aber, aber …“, stieß Fritte entsetzt hervor, „wie sollen wir denn dann in Weihnachtsstimmung kommen?“

„Weihnachtsstimmung?“, fragte Leo überrascht, „wir? Und wozu soll die gut sein?“

„Für unser Wohlbefinden“, sagte Fritte, überraschend ernst. „Wenn es draußen ständig dunkel ist, brauchen wir hier drinnen doch Licht!“

„Du kleiner Romantiker!“, kicherte Leo. „Wir haben doch eine Lampe, die macht Licht. Und das Smartphone-Display und der Fernseher auch.“

„Aber warum guckt denn die dicke freundliche Frau ständig Weihnachtsfilme an, wenn sie gar nicht in Weihnachtsstimmung kommen will“, fragte Fritte verständnislos. „Das ergibt doch keinen Sinn.“

„Ja, die Weihnachtsfilme …“, sagte Leo nachdenklich. „Ich glaube, das ist vor allem ein Zeichen dafür, wie erschöpft sie ist. Da klickt sie einfach einen Weihnachtsfilm nach dem nächsten an.“

„Und mümmelt dazu Stollenkonfekt“, sagte Fritte.

„Stollenkonfekt ist doch lecker“, fand Leo. „Bloß die ollen Rosinen, die mag niemand.“

„Ich durfte noch keine probieren“, sagte Fritte versonnen, „aber ich bin fast sicher, dass ich Rosinen mag.“

„Fritte!“, sagte Leo. „Du magst doch alles, was man essen kann.“

„Und auch vieles, was man eigentlich nicht essen kann“, bestätigte Fritte stolz. „Die Spielzeugmaus neulich, da habe ich mit Haut und Haaren und Plastikkörper gegessen. Köstlich.“

„Du spinnst“, sagte Leo, „aber dass du so ein kleines Kitschherzchen hast und den ganzen Weihnachtsunfug magst, wusste ich gar nicht.“

„Das ist kein Unfug!“, widersprach Fritte vehement. „Das ist ein deutsches Kulturgut. Wann hängt die dicke freundliche Frau denn endlich die Weihnachtsbeleuchtung auf?“

Leo grinste ihren Mitbewohner nur mitleidig an. „Weihnachtsbeleuchtung? Hast du mal die vertrockneten Sommerblumen auf dem Balkon gesehen? Meinst du, die würden mit Lichterketten besser aussehen?“

„Nun reicht es aber auch, Leo“, sagte Fritte mit bemüht fester Stimme. „Gleich wirst du mir noch erzählen, dass wir keine Weihnachtsgeschenke bekommen.“

„Was denn für Weihnachtsgeschenke denn?“, fragte Leo, „du bekommst hier drei Mahlzeiten am Tag, hast mehrere warme Bettchen, eine charmante Mitbewohnerin, so viel Spielzeug wie du willst, am Wochenende Besuch von deinem Kumpel Sean und mehr Leckerlis als gut für dich ist. Was willst denn noch? Einen schönen Rollkragenpullover vielleicht?“

„Ich hatte eher an ein Auto gedacht“, gab Fritte zu. „So einen zweisitzigen Sportwagen mit Schiebedach und einer schön lauten Hupe.“

Leo fiel vor Lachen fast von ihrem Kopfkissen. „Ein Auto! Wo willst du das denn hier parken? Und wer soll deine ganzen Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit und Parken auf dem Zebrastreifen bezahlen?“

„Kleinigkeiten“, sagte Fritte mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Und ich könnte dich montags zum Yoga und mittwochs zu deinem Makramee-Kurs fahren.“

„Du willst doch nur fremde Miezen beeindrucken“, stellte Leo fest. „Nein, wir bekommen keine Weihnachtsgeschenke. Den Weihnachtsmann gibt es nämlich nicht.“

„Das wusste ich schon“, antwortete Fritte traurig. „Habe ich im Internet gelesen. Aber du könntest mir doch ein kleines Weihnachtsgeschenk schenken, Leo. Muss nicht groß sein, nur teuer! Bitte.“

„Vergiss es!“, sagte Leo. „Wir haben zwischen Weihnachten und Silvester Urlaub. Das muss reichen. Die dicke freundliche Frau kann den Urlaub dringend brauchen und ich auch. Und für die Stimmung kannst du uns ja Weihnachtslieder vorsingen.“

„Oh ja!“, rief Fritte. „Ich kann wunderschön singen. Glohohohohooooria! In Excelsis Deo! Sogar zweistimmig mit mir selbst.“

„Sehr schön“, sagte Leo. „Das ist doch weihnachtlich genug, jedenfalls für mich. Und vielleicht solltest du noch ein bisschen üben. Vielleicht im Zimmer nebenan? Und dann kommt auch bald die dicke freundliche Frau nach Hause und es gibt Abendessen.“

„Abendessen?“, fragte Fritte entzückt. „Bist du sicher? Ich bin schrecklich hungrig.“

„Natürlich bin ich sicher“, gab Leo leicht indigniert zurück. „Meine Kristallkugel zeigt ganz deutlich, dass sie schon im Landeanflug ist. Du solltest dich also beeilen mit deinen Gesangsübungen.“

„Na gut“, sagte Fritte, „dann gehe ich nach nebenan und singe. Und bald gibt es Abendessen und hinterher einen Weihnachtsfilm. Glohohohohohoriiiiia!“

Und schon hüpfte er vom Bett, reckte und streckte sich und verließ das Schlafzimmer. Leo drehte sich seufzend auf ihrem Kopfkissen im Kreis und legte sich dann wieder gemütlich hin. Abendessen klang doch in der Tat gut, darauf musste sie sich jetzt konzentrieren. Was gar nicht so leicht war, während Fritte im Wohnzimmer „Stille Nacht“ übte, mit einem langangehaltenen, nicht ganz sauberen hohen Ton. Aber immerhin war er so bis zum Abendessen beschäftigt und ging ihr nicht auf die Nerven. Es hatte eben alles mehrere Seiten.

 

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