Frl. Lotti Hinkefuß

Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass Frl. Lotte Miez nicht gerade die sportlichste Katze der Welt ist? Dass sie im Allgemeinen nur die notwendigsten Wege macht und sich, bevor sie einen dieser Wege antritt, auch gründlich darüber nachdenkt, ob es keine andere Möglichkeit gibt, ihre Bedürfnisse zu befriedigen?

Zum Beispiel sitzt Frl. Lotti gerne ganz oben in der Weltraumkugel des Kratzbaums. Diese befindet sich auf schwindelerregender Höhe etwa 1,50 Meter über dem Wohnzimmerfußboden. Am Kratzbaum selber gibt es eine Zwischenplattform auf halber Höhe und vor diese Zwischenplattform habe ich einen Hocker gestellt, von dem aus sie verhältnismäßig locker starten kann, um dann schließlich ihr Ziel zu erreichen. Das tut sie auch. Vorher jedoch sitzt sie meist eine kleine Weile vor dem Hocker (und diese kleine Weile kann bis zu 20 Minuten dauern) und schaut, ob nicht vielleicht doch eine Seilbahn fährt oder ein Treppenlift eingebaut wird.

Ansonsten bewegt sich Lotti mehrmals täglich zwischen Bett, Küche und Sofa hin und her. Mit mehrmals meine ich maximal dreimal, also zu den Hauptmahlzeiten.

Einen weitergehenden Bewegungsdrang verspürt Frl. Lotti nur ganz, ganz selten. Zum Beispiel wenn sie von ihrer Schwester Frl. Leo durch die Bude gescheucht wird, weil sie vorher versucht hat, sie in die Füße zu beißen oder so.

Es war also gar nicht so einfach, festzustellen, dass Frl. Lotti ein bisschen humpelt. Beim Sitzen und Liegen merkt man das nämlich nicht. Aber irgendwann sah ich sie vom Sofa hopsen und dachte: Oh, die läuft aber nicht rund. Hinten links, das konnte ich als altes Pferdemädchen sogar erkennen. Auftreten konnte sie, aber die Schritte waren ein bisschen verkürzt auf der Seite. An der Pfote selbst konnte ich nichts feststellen und Lotti bewegte sich auch nicht weniger als sonst (siehe oben).

Okay, dachte ich, vielleicht hat sie sich nur vertreten und das geht von alleine wieder weg, so wie es gekommen ist.

Das war am Freitag. Am Sonntagabend dann die Erkenntnis: Es wird offenbar nicht von selbst besser; wir müssen zur Tierärztin unseres Vertrauens. Da waren wir dann am Montag dieser Woche, eine ziemlich ungehaltene Lotti und ich.

Zum Glück ist es nicht sonderlich schwer, Lotti einzufangen und in den Transportkorb zu stecken. Sie bleibt sitzen wo sie ist, und versucht, sich unsichtbar zu machen. Das wäre natürlich sehr effektiv, wenn ich nicht so eine gute Beobachterin wäre, die sich vor dem Bereitstellen des Korbes genau gemerkt hat, auf welchem Polstermöbel das Frl. Lotti gerade ruht. So leistet sie beim Verladen keinen Widerstand, aber dafür motzt, knurrt und faucht sie mit einer gewissen Vehemenz. Ohne sich dabei zu bewegen, versteht sich.

Bei der Tierärztin war es dann auch lustig. Lotti motzte, knurrte und fauchte sich durch die gesamte Untersuchung, beim Drücken von unten gegen die Hinterpfote vielleicht einen Tick wütender als sonst. Mehr konnte die Tierärztin zunächst nicht feststellen. Also baute sie eine Versuchsanordnung auf: Lottis Transportkorb kam auf den Fußboden in der hintersten Behandlungszimmerecke, Lotti mit Blick auf den Korb auf die Kante des so weit wie nur möglich heruntergefahrenen Behandlungstisches. „Ich möchte, dass sie so weit wie möglich läuft“, sagte die Tierärztin.

Lotti saß bewegungslos auf der Tischkante (die sich auf einer Höhe von ca. 60 cm befand) und motzte leise vor sich hin. Und motzte. Und motzte. Und rührte sich nicht.

Ich nahm auf einem der bereitstehenden Hocker Platz, schließlich stehe ich nicht so gerne lange herum. Und ich wusste ja, dass Lotti im Geiste jetzt alle Fahrpläne dieser Welt durchging, um herauszufinden, ob vielleicht irgendwann im Laufe des Nachmittags ein Bus oder Sessellift vorbeikämen, um sie zu ihrem Körbchen zu bringen.

Die Tierärztin schaute unauffällig auf ihre Uhr und sagte: „Komm, Lotti, du kannst das!“

Lotti schaute und motzte. Motzte und schaute.

Ich dachte darüber nach, uns allen eine Pizza zu bestellen und einen Catsitter für Frl. Leonie Mau zu engagieren, die ja zu Hause auf uns wartete.

Schließlich, oh Wunder, verlor Lotti die Geduld, nahm Anlauf und ließ sich ganz vorsichtig vom Tisch auf den Boden fallen. Das Haus schwankte kurz, während die Katze auf dem Bauch zu ihrem Korb robbte und versuchte, sich unter dem Deckel zu verstecken. Dann kroch sie auf das bereitstehende Unterteil des Korbes, rollte sich quasi unsichtbar zusammen und motzte nur noch ganz leise.

„Tja“, sagte die Tierärztin. „Vielleicht machst du mir einfach zu Hause ein Video von ihrem Humpeln?“

„Klar“, sagte ich und dachte: Davon, wie sie humpelnd auf dem Sofa sitzt? Oder wenn sie humpelnd im Bett liegt?

Lotti bekam eine schmerzstillende Spritze, ich ein Fläschchen mit oral zu verabreichendem Schmerzmittel und wir beide den Auftrag, ein Humpelvideo anzufertigen. Und uns Anfang der kommenden Woche wiederzumelden. Bis dahin sollte Lotti täglich das Schmerzmittel einnehmen.

Das Verabreichen des Schmerzmittels – in flüssiger Form – ist bei Lotti zum Glück kein Problem. Wir erledigen das gleich morgens nach dem ersten Katzenfrühstück, wenn Lotti es sich wieder im Bett gemütlich gemacht hat. Mit einer kleinen Spritze lässt sie sich den größten Teil der vorgeschriebenen Menge brav ins Mäulchen spritzen, während sie ihre Motztirade eventuell kurz unterbricht. Anschließend futtert sie ein paar Leckerchen, ebenfalls im Bett liegend, versteht sich. Leo kommt dann auch kurz vorbei und nimmt ein paar Leckerlis. Es ist alles sehr entspannt im Vergleich zu den meisten anderen Katzen, denen ich im Laufe meines Lebens schon Medikamente geben musste.

Morgen sollen wir das Schmerzmittel absetzen und mal schauen, ob das Lotti wieder normal auftreten kann. Ich hoffe das sehr, sowohl für die Katze wie auch für mich. Dann können wir demnächst vielleicht mal einen Termin zur Zahnsteinentfernung – für beide Katzen natürlich – machen, das wäre wohl auch mal fällig, meinte die Tierärztin. Aber eins nach dem anderen, erstmal muss das Lotti wieder gut laufen können, damit wir nicht doch einen Treppenlift zum Kratzbaum einbauen müssen. Halten Sie uns die Daumen, ja? Vielen Dank.

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