Gastbeitrag von @esistok: Ein Hamburger in Bremen

Nun. Wegen meiner Arbeit bin ich vor einiger Zeit von Hamburg St. Pauli nach Bremen gezogen.

Einige meiner neuen Nachbarn wunderten sich: „Zieht man normalerweise nicht weg von Bremen? Zum Beispiel nach Hamburg?“

Ich wunderte mich auch.

Dinge, die ich vorher nicht so bedacht hatte (weil ich immer schon in Hamburg wohnte), wurden plötzlich wichtig.

Auto ummelden. Man darf sein altes Kennzeichen behalten, das war ja mein HH-Kennzeichen. Da ein Bremer Kennzeichen 35 € kosten sollte, behielt ich das Hamburger Nummernschild. Und rechnete damit, überall angehupt und geschnitten zu werden, wie man es in Hamburg ja mit Autos, die ein ortsfremdes Kennzeichen (PI, SE, OD, WL etc) haben, eben so macht.

Was soll ich sagen? Hier nicht.

Ich fühle mich trotz des Hamburger Nummernschildes wie ein vollwertiger Verkehrsteilnehmer und nicht wie ein, sagen wir mal ProvinzIdiot, der Fahrversuche in Hamburg unternimmt.

Die einzige Reaktion kam von einem Nachbarn in meiner Wohnanlage („Mein Sohn ist von Bremen weggezogen“, s.o.): „Hier dürfen aber nur Mieter parken!“
„Wieso, ich wohne hier.“
„Hm, du hast aber ’n Hamburger Kennzeichen!“
„Ja, ummelden, neues Nummernschild, 35 €…“, (murmelnd ab).

Ok. Auch als vollwertiger Verkehrsteilnehmer kann ich mich an Bremen nur so mittel gewöhnen.

Bissspuren in meinem Lenkrad zeugen von der unmäßigen Geduld, die mir als an einen Großstadtverkehr gewohnten Fahrer in diesem „Dorf mit Straßenbahn“ (<-Bremen) abverlangt wird.

Der Hamburger Autofahrer an sich fährt schon etwas anders.

Er sieht eine rote Ampel und gibt Vollgas, weil er genau weiß, dass er an der Ampel stehend sich schnell noch rasieren, eine kleine Mahlzeit zubereiten und verspeisen, seinen angefangenen Roman zu Ende lesen (bzw. schreiben) oder einfach nur den verpassten Nachtschlaf nachholen kann.

In Bremen hingegen scheinen solche Unterfangen gänzlich unbekannt zu sein. Man rollt dermaßen gemächlich an die rote Ampel, dass ich mich frage, ob der Verkehrsteilnehmer vielleicht einen Herzanfall hatte oder – noch schlimmer – , ob er mit seiner kurz bemessenen Lebenszeit einfach nichts Besseres anfangen kann. Woran mag diese Ideenlosigkeit liegen?

Die Straßen hier sind schon gewöhnungsbedürftig. Am Hauptbahnhof gibt es eine Brücke für Autos, die den Stadtteil dominiert, weil das eben eine Hauptverkehrsader ist. Alles andere, Parkplätze, Fuß- und Radwege, muss sich diesem ausnehmend hässlichen Konstrukt unterordnen. (Ganz anders als in Hamburg; man denke nur an die wunderschöne Avenue „Kieler Straße“ von unten bis nach oben in die 700ter Hausnummern, die liebliche City Süd mit dem aparten Heidenkampsweg, die charmante Wandsbeker Chaussee oder meine Lieblingsstraße Langenhorner Chaussee am Flughafen, die gleichermaßen hübsch anzusehen wie – sowohl für Fahrräder als auch für Autos – ideal zu befahren ist).

Bremen hat noch mehr „nützliche“ Dinge für die Autofahrer zu bieten: nämlich die Stadtautobahn. Irgendwie ist die Stadt geformt wie eine Banane und wenn man von unten nach oben fahren will, nimmt man eben diese Autobahn. Dauert je nach vorgelegtem Tempo ca. 25 Minuten. Bei so einer Stadtautobahn denkt man ja, was soll schon schiefgehen? Gerade Strecke, ganz ok ausgebaut, alles easy. Nicht so ganz. Irgendwie verunfallen da ganz schön viele. Dann ist Sperrung und wie überall auf der Welt: Stau. Ich habe es morgens selbst erlebt, dass ein Fahrer, vermutlich noch nicht wach und/oder unter Restalkohol, flockig mit 60 km/h auf die Überholspur ausscherte. Da auf an dieser Stelle der Stadtautobahn 120 km/h erlaubt sind, hatten die dort fahrenden Wagen ab diesem Moment hellwache Fahrer.

Ok, Auto ist schwierig, dann halt Fahrrad. Gute Idee. Leider sind die Fahrradstrecken ähnlich mies ausgebaut wie in Hamburg. Eng und voller Hubbel durch Wurzeln oder Löcher.

Und: in Bremen fährt man auf beiden Seiten in beide Richtungen. Das ist super, weil es so eng ist. Zu Anfang hab ich einen Radfahrer angesprochen, weil der mir an einer echt engen und unübersichtlichen Stelle entgegenkam: „Was, falsche Seite? Tja, was soll ich da machen? Sonst hätte ich ja die 100 m bis zur Ampel zurückfahren müssen.“ Verdammt. Ja, das hättste mal machen sollen. Aber vergebliche Liebesmüh. Vom Schulkind über Eltern mit Kindern bis hin zu Rentnern fahren alle da, wo es ihnen gefällt. Vorteil Hamburg. Dort gibts so derbe Kommentare, dass man es lieber lässt.

Jetzt, wo ich diese Dinge aufschreibe, wird mir auch klar, warum in Hamburg mehr auf Regeln im Verkehr (meistens) geachtet wird. Dort wälzt sich einfach viel mehr Verkehr durch die Straßen. Wenn du dich da nicht an die Regeln hältst, z. B. nach 0,0001 Sekunden nach Umschalten der Ampel nicht mit 60 Sachen weiterfährst, wirst du – logisch – angehupt. Und dein Hintermann schiebt dich mit seinem Auto an, bis du 60 draufhast. Wenn du auf der falschen Seite mit dem Fahrrad unterwegs bist, bist du halt eine echte Gefahr für die anderen, da die Fahrradwege in Hamburg eben auch arscheng sind. Und dort gibt’s eben sehr viele andere. In Bremen nicht.

Da ist man einfach gemütlicher. Man arrangiert sich. Autos mit OHZ, VER, DH, BRV Nummernschildern erträgt man halt. Sogar SY-Kennzeichen. Nein, das stimmt nicht. Selbst in Bremen gibt es eine Grenze. SY ist eine solche. Die fahren selbst für Bremer Verhältnisse ungewöhnlich beschissen.

Hier ist es irgendwie ruhiger. Die Häuser sind niedriger. Man bekommt unter Umständen sogar eine Wohnung.

Ich habe eine bekommen, die in der Nähe meines damaligen Arbeitsplatzes liegt. Und ich habe nur höflich gefragt. Die Wohnungsgesellschaft, die ich fragte, bot mir 2 Wohnungen an. Und ich konnte mich entscheiden! Ich wohne jetzt in einem Stadtteil direkt an der Landesgrenze in einer sehr ruhigen Wohnanlage am Ende einer Sackgasse. 8 Einheiten pro Haus. Park in 5 Minuten erreichbar. Landesgrenze Niedersachsen mit den dortigen Wümmewiesen in 10. Dort morgens laufen, wenn der Frühnebel aufsteigt, ist schon sehr geil. Rehe, Hasen, Pferde blicken verschlafen, wenn ich dort vorbei keuche. Der Rest des Stadtteils ist wesentlich reicher als ich. Mein kleiner Lupo (mit Hamburger Kennzeichen – erwähnte ich das schon?) ist bei den ganzen Porsche Cayenne und anderen Panzern, die hier als Zweit- bzw. Drittwagen (für das Kindermädchen), rumheizen, meist gar nicht zu sehen. Mein Auto ist einfach zu klein. Die Damen nutzen ihre Panzer, um ihre Fußhupen in den Park zu bringen und dort mit ihnen Gassi zu gehen. Das finde ich super. Es gibt einen gewissen Bestand an alten Einfamilienhäusern hier, die sehr ok sind. Und es gibt Paläste, die ungefähr 2000 qm Wohnfläche bieten, von hohen, ekelhaft hässlichen Zäunen umgeben sind und somit das Prädikat „NEUREICH“ fett an der Klingel stehen haben. Die Paläste sind auch Ausgeburten des Schreckens, die nur Leute erbauen lassen können, die viel Geld und null Geschmack haben. Ich sage nur: links und rechts Säulen neben der Haustür.

Das gibt es natürlich in Poppenbüttel, Blankenese, Aumühle auch.

Und solange mich keiner von diesen „Ich wohn‘ in Oberneuland, ich fahr Porsche“-Panzern vom Fahrrad holt, weil Bremer Autofahrer, enge Straßen und Egos, die ausgewachsener sind als das vom Wendler, ist es mir egal.

Irgendwie mag ich Bremen mittlerweile. Die Stadt, bzw. „das Dorf mit Straßenbahn“, bringt mich runter, entspannt mich. Ich muss nicht – wie in Hamburg – die ganze Zeit auf meine Umgebung achten, weil dauernd einfach zu viele Menschen auf zu engem Raum unterwegs sind.

Wenn die Bremer jetzt noch Autofahren lernen würden…

2 Kommentare

  1. Hallo Herr Esistok,

    Zustimmung, aus vollstem Herzen Zustimmung zu diesem Thema: Bremer Verkehrsteilnehmer. Jaaaaa, auch mit VER Kennzeichen, ist man gern zügig und merkwürdige oder gar gefährlich lang(weilige)same Fahrmanöver unterwegs. Gut, wir sind ja auch nur zugezogene VERdener. Auf jeden Fall, es ist ganz genauso, wie geschildert!
    Herzlichst Norma

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