Mal wieder: Corona im Seniorenheim

Na toll. Nun gibt es also wieder Corona-Fälle im Seniorenheim, aber der am Dienstag dieser Woche wegen mehrerer Verdachtsfälle in unterschiedlichen Bereichen des Hauses vorsorglich verhängte Besuchsstopp wurde bereits am Mittwoch vom Gesundheitsamt wieder aufgehoben. Und das, obwohl sich die Verdachtsfälle bestätigt haben. Besuche im Heim sind, unter Einhaltung der bereits bekannten (in letzter Zeit aber nicht sonderlich motiviert eingehaltenen) Hygienemaßnahmen auch weiterhin möglich. Auf eigene Gefahr, so steht es in dem betreffenden Schreibens, und das sogar in roter Schrift.

Hm. Soweit ich weiß, habe ich meine Mutter auch bisher schon auf eigene Gefahr im Heim besucht. Vor und während der Pandemie. Der erneute Hinweis aber, noch dazu in Rot, macht mich ausgesprochen nervös. Und so habe ich mich nach einiger Überlegung entschlossen, meine Mutter diese Woche nicht zu besuchen, obwohl ich es dürfte.

Sie wird trotzdem Besuch bekommen, von meinem Bruder und ihrem Freund. Ich muss mir also kein allzu schlechtes Gewissen wegen meiner egoistischen Entscheidung einreden. Ich bleibe dem Heim nämlich vor allem fern, um mich selbst vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen.

Glücklicherweise hat meine Mutter im Juli nun endlich ihre zweite Impfung erhalten, wie empfohlen sechs Monate nach der Erstimpfung und ihrer Infektion mit Corona. Die Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen des Heims, die bereits im Januar beide Impfungen erhalten konnten, erhielten jetzt im September auf Wunsch ihre dritte Impfung. So mache ich mir wenigstens um meine Mutter keine allzu großen Sorgen (obwohl ein Impfdurchbruch natürlich möglich wäre).

Meine zweite Impfung hingegen liegt mittlerweile etwas über sieben Monate zurück. Eine Booster-Impfung steht, zumindest im Augenblick, für mich noch nicht zur Verfügung. Wann sich das ändert, lässt sich derzeit nicht absehen. Wahrscheinlich wenn das Infektionsgeschehen auch unter Geimpften noch stärker zunimmt als erwartet und vor allem dann, wenn es auch unter Geimpften ohne offensichtliche Vorerkrankungen etc. vermehrt schwere Verläufe gibt, denke ich mal.

Ich fühle mich aber schon jetzt nicht mehr so richtig gut geschützt. Nein, dafür gibt es keine nachweisbaren Anzeichen. Es ist mehr so ein Gefühl, ein Gefühl des Unwohlseins und der diffusen Angst, sobald ich mich unter Menschen begebe. Ja, auch in 3G- und sogar ein bisschen in 2G-Situationen. Zu viele Berichte von Menschen, die trotz nachweisbarer Kontakte mit Infektionspotenzial nicht getestet und schon gar nicht in Quarantäne geschickt wurden. Nicht mal, wenn sie darum bettelten. Zu wenig Vertrauen in Nasenpimmelmaskenträger und ihre Bereitschaft, bei Atemwegserkrankungen vorsichtshalber keine öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen oder auch nur einen Selbsttest aus der eigenen Tasche zu zahlen.

Das mulmige Gefühl, dass es politisch und gesellschaftlich momentan nur noch zwei große Ziele gibt:

  1. Nichts mehr dichtzumachen, was dann was kostet,
  2. Die Impfkampagne voranbringen, so schnell und so flächendeckend wie möglich.

Beides ist ja im Prinzip nicht falsch, weder für die Allgemeinheit noch für mich, aber… können wir noch einmal kurz über die Sache mit den Kollateralschäden sprechen?

Ich meine: Muss man den bisher Impfunwilligen und denen, die so weit hinter dem Mond leben, dass sie von Corona und umzu noch immer nicht so richtig was mitgekriegt haben, so dermaßen in den Arsch kriechen? Muss man ihnen vollmundig versprechen, dass sie sich nach einer vollständigen Impfung nie wieder, komme was wolle, testen lassen, in Quarantäne schicken lassen und ihre Kontaktdaten angeben müssen und am besten gleich auch noch nie wieder eine Maske tragen, Hände waschen oder Abstand halten müssen? Kann man sie wirklich nicht anders davon überzeugen, dass es ausgesprochen sinnvoll ist, sich impfen zu lassen? Dass wirklich nur die Mitmenschen ungeimpft bleiben dürfen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können, auch nicht, wenn sie das gerne möchten? Dass aber auch diese Mitmenschen ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe mit möglichst geringem Risiko, sich zu infizieren, haben?

Ist der Gedanke, dass es auch für vollständig Geimpfte unter gewissen Bedingungen und in bestimmten Lebensräumen durchaus sinnvoll ist, gelegentlich einen Test zu machen und sich nach einer Exposition vorübergehend zu isolieren, denn wirklich nicht kompatibel mit anderen vernünftigen Argumenten?

Stattdessen sind die kostenlosen Tests, die uns allen zur Verfügung standen, nun weitgehend abgeschafft. Prophylaktische Tests selbst organisieren und/oder finanzieren, das werden nur die von uns, die es sich leisten können und wollen, sowohl die damit verbundenen Kosten wie auch ein Verantwortungsgefühl der Allgemeinheit gegenüber. Bei vielen der Menschen, denen ich im Bus, im Supermarkt oder auch im Eingangsbereich des Seniorenheims begegne, habe ich da durchaus Zweifel.

Im Seniorenheim sind jetzt gerade „nur“ drei Fälle bekannt. Asymptomatisch, vermute ich, sonst hätte das Gesundheitsamt sicherlich nicht auf ein allgemeines Besuchsverbot verzichtet. Wie viele Kontaktpersonen rundherum getestet worden sind, hoffentlich alle negativ, ist mir nicht bekannt. Ich hoffe, alle in Frage kommenden – das Problem ist halt: Ich weiß es nicht und es wird mir auch keiner sagen. Da ich aber weiß, wie es in den Wohnbereichen mit demenzerkrankten, aber mobilen Bewohner*innen zugeht – zugehen muss! – habe ich Zweifel daran, dass die Infektionskette so einfach und so schnell sicher unterbrochen sein kann. Ich denke, hier sind auch von Seiten der Fachpersonen, die die konkrete aktuelle Lage natürlich sehr viel besser beurteilen können als ich, Annahmen, Wahrscheinlichkeiten und Mutmaßungen im Spiel.

Annahmen, Wahrscheinlichkeiten und Mutmaßungen, die davon ausgehen, dass sich das Virus an die derzeitigen Spielregeln halten wird:

  • Übertragungen zwischen Geimpften finden auch bei längerer Exposition nur noch in einem Bruchteil der Situationen statt.
  • Der allergrößte Teil der Infektionen unter Geimpften verläuft asymptomatisch, d. h. die Infizierten entwickeln keine Symptome, werden nicht krank.
  • Asymptomatische Infektionen sind ohnehin weniger ansteckend (weil weniger Viruslast), erst recht unter Geimpften.
  • Wer dennoch Symptome bekommt, bei dem gleicht Corona einer Erkältungserkrankung, allerhöchstens einer Grippe.
  • Impfdurchbrüche führen nur ganz, ganz selten zu schweren Verläufen, Krankenhauseinweisungen oder gar der Notwendigkeit von intensivmedizinischer Behandlung.
  • Wenn Geimpfte dennoch auf der Intensivstation landen oder gar in der Leichenhalle, dann waren sie entweder sehr, sehr alt und/oder hatten ominöse Vorerkrankungen, von denen sie vielleicht gar nichts wussten. Und dann wären sie ja trotz Impfung sowieso gestorben, früher oder später. (Was sagen Sie? Wir werden alle sterben? Das stimmt, aber das steht jetzt gar nicht zur Debatte).

Soweit die Spielregeln. Weißte Bescheid, Virus? Ganz ehrlich: Mir reichen diese ganzen Wahrscheinlichkeiten nicht aus. Ich fühle mich halt weniger als statistische Masse denn als Individuum. Und als Individuum sehe ich da durchaus ein gewisses Infektionsrisiko, wenn ich mich an einen Ort begebe, an dem nachweislich Menschen infiziert sind und andere, nämlich die mobilen Demenzerkrankten, äußerst schwer zu lenken und zu kontrollieren sind. Ich meine, es vergeht kein Besuch im Zimmer meiner Mutter, bei dem nicht zwischendurch die Tür aufgeht und andere Bewohner*innen reinkommen und, sofern ich sie nicht daran hindere, sich wortlos zu uns setzen oder für ein Schläfchen ins Bett legen. Stofftiere und Klamotten werden durchgetauscht, fremde Süßigkeiten angenuckelt und zurückgelegt. Das ist da ganz normal und gehört zum Alltag. Hygienemaßnahmen gehen aber natürlich anders.

Ich werde also aus reinem Eigennutz meine Mutter in den nächsten Tagen nicht besuchen. Dann frage ich mal vorsichtig nach, wie sich die Lage im Heim entwickelt hat. Bin verhalten optimistisch und habe auch nur ein ganz leicht schlechtes Gewissen. Aber wenn ich bei meinem Fernstudium zur Heilpraktikerin für Psychotherapie eins gelernt habe, dann: Erst kommt die Eigensicherung, dann kann das Gute für den Rest der Welt.

5 Kommentare

  1. Liebe Bettina
    Es geht mir genau wie ihnen, trotz Doppelimpfung ist immer noch ein mulmiges Gefühl stellenweise da. Ich finde ein schlechtes Gewissen ist unnötig, wenn man sich bei etwas unwohl fühlt, darf man auf seine eigene innere Stimme hören und vorsichtig sein. Alles Liebe für sie Gitte

  2. Ich fühle mit Dir. ich musste kürzlich – weil es nicht anders ging – über eine Stunde mit dem ÖPNV unterwegs sein. Und ich fühlte mich – trotz 2x geimpft und FFP2 – nicht sehr wohl dabei. Ja, wahrscheinlich habe ich mittlerweile eine Corona-Angststörung oder so entwickelt, aber es ist eben so. Ich verzichte an dieser Stelle auf die umfangreiche Schilderung der Details, die mich störten.

    Zwei Hinweise: es gibt die Möglichkeit, den Antikörperspiegel bestimmen zu lassen. Das ist ein Indikator dafür, wie gut die Impfwirkung noch ist. Ist aber kostenpflichtig, die Krankenkasse bezahlt das nicht.

    Und zweitens: die Drittimpfung ist noch nicht für alle empfohlen, richtig. Eine Hausärztin kann aber individuell darüber entscheiden. Wenn Du eine gute Hausärztin hast, könntest Du mit ihr besprechen, ob für Dich eine Drittimpfung schon jetzt in Betracht kommt. Bei Dir mit Deinen Besuchen im Hospiz und im Altersheim könnte ich mir vorstellen, dass das klappen könnte. Einfach mal fragen. Impfstoff ist im Moment nicht knapp (ja, es wäre viel besser, erst einmal schlecht versorgte Länder mit Impfstoff zu versorgen. Aber die angebrochenen Impfstoffampullen in den Praxen kann man nicht in andere Länder schicken. Die kann man nur wegwerfen – oder eben für eine Drittimpfung bei Menschen mit höherem Risiko verwenden)

    1. Vielen Dank. Ja, in öffentlichen Verkehrsmitteln fühle ich mich auch oft nicht wohl, ich setze mich meistens einige Male um während der Fahrt (und wähle meine Verkehrsmittel so, dass das möglich ist).
      Mein Hausarzt macht noch gar keine Drittimpfungen, er wartet noch auf die endgültige Empfehlung der Stiko. Erst danach lohnt es sich, mit ihm zu diskutieren oder per Antikörperspiegel nachzuweisen, dass mein Impfschutz eventuell nachlässt. Momentan gibt es da aber nicht einmal die Möglichkeit, auf eine Warteliste aufgenommen zu werden.
      Dir alles Gute für Herbst und Winter!

  3. Liebe Bettina,
    Deine Beobachtungen sprechen mir aus dem Herzen. Genauso empfinde ich den leichtfertigen Umgang mit Corona in unserer Gesellschaft. Äußerlich betrachtet scheint alles“nicht so schlimm zu sein“ bis es jemanden erwischt hat. Bei mir ist die Sorge um meine Schwiegermutter mit fast 95 groß, dass sie es nicht noch einmal erwischt. Sie hat vor 6 Wochen Corona gehabt und muss fast den ganzen Tag am großen Sauerstoffgerät bleiben, um nicht zu geringe Werte zu haben..
    Ich gehöre zur Fraktion der Vorsichtigen und hatte bis jetzt Glück gehabt. Werde es auch weiterhin bleiben. Viele liebe Mitmenschen, die auch vorsichtig warenhaben es trotzdem zum Teil schwer bekommen. In jedem Fall danke ich Dir für Deinen Blog und Dein Engagement, das Dich dazu gebracht hat, einen neuen Weg zu gehen. Dir alles Gute und weiterhin die Stärke, die Du entgegenbringst. Dass ich erst jetzt Deinen Blog so richtig entdeckt habe zeigt wie blind man manchmal ist….Ganz herzliche Grüße von Meinolf

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