Katze 2 und der alte Hocker. Ein Drama.

Sie erinnern sich vielleicht: Irgendwann im Frühjahr habe ich mir ein neues Sofa gekauft, weil die Katzen das alte aufgegessen hatten. Das neue heißt Wal&Tuna oder so ähnlich und sieht auch so aus. Die Katzen haben sehr schnell herausgefunden, wie man auf den eigentlich zu schmalen Arm- und Rückenlehnen bequem liegen kann, und kratzen schon wieder eifrig an den Seitenteilen.

Das eigentlich zum Sofa gehörende Hockerelement zum Hochlegen der Füße, wenn die eine Seite des Sofas durch die Katzen oder meinen Freund besetzt ist, habe ich erst einige Wochen später ausgetauscht, das Hockerteil vom alten Sofa passte so einigermaßen auch zu Wal&Tuna und ich wollte auch erst einmal sicher sein, dass mir das Sofa wirklich gefällt. Vor ein paar Wochen haben wir nun aber den passenden Hocker gekauft, mit Mühe in den Kleinwagen meines Freundes gestopft (das Paket war echt riesig und so ein Lupo ist auch mit umgeklapptem Rücksitz noch immer ein kleines Auto) und zu Hause in die Wohnung bugsiert. Dabei verletzte mein Freund sich am Handgelenk (nicht schlimm, aber es tat ein paar Tage lang weh), so dass wir nicht, wie ursprünglich geplant, den alten und nun überflüssigen Hocker zum Recyclinghof bringen konnten.

Statt ihn direkt aus der Wohnung zu entfernen, schob ich also den alten Hocker in die letzte freie Ecke meines Wohnzimmers – hochkant, um Platz zu sparen – nahm den neuen Hocker in Betrieb und schrieb „Hocker zum Sperrmüll“ auf meine To-Do-Liste. Dann hatte ich sechs Wochen Urlaub, keine Zeit, keine Lust, etwas anderes zu tun, Rückenschmerzen oder mein Freund hatte das Auto nicht dabei. Der alte Hocker stand in der Ecke, staubte ein und geriet in Vergessenheit. Die Katzen taten so, als wäre er nicht da, und ich hatte eigentlich schon fast vergessen, dass es diese Zimmerecke überhaupt gibt. Früher hat da übrigens mal ein Katzenkratzbaum gestanden, der aber auch jahrelang ignoriert wurde.

Alles war gut, staubig und friedlich. Bis mein Freund vor ein paar Tagen bei unserem abendlichen Telefonat sagte: „Wir können an deinem freien Nachmittag morgen ja auch endlich mal den Hocker zum Recyclinghof bringen!“

BÄHM!

Im selben Moment sehe ich aus dem Augenwinkel ein schildpattfarbenen Blitz durchs Zimmer huschen, hüpfen und auf dem hochkant an der Wand lehnenden, ziemlich eingestaubten Hocker landen.

BÄHM!

Katze 2 hat einen neuen Lieblingsplatz gefunden und in Besitz genommen. Rein zufällig in diesem Moment. Natürlich.

„Eigentlich eine gute Idee“, sage ich ins Telefon und fummele mit der freien Hand nach meinem Smartphone, „ich bin nur nicht sicher, ob Katze 2 damit einverstanden ist.“

„Unsinn!“ erwidert mein Freund. „Die ignoriert das Ding doch schon seit sechs Woch… oh, warte… da kommt eine Nachricht… ein Foto… von dir… Oh.“

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„Mein ganzes Leben lang habe ich mir so einen schönen Platz gewünscht! Und nun habe ich ihn endlich gefunden. Ich werde für immer hier sitzen bleiben.“

Aus der Zimmerecke mit dem Hocker und Katze 2 ist ein leises Knurren zu hören.

„Vielleicht kann ich sie mit Essen ablenken“, flüstere ich, „aber wir müssen jetzt sofort aufhören, über dieses Thema zu sprechen, sonst kettet sie sich am Hocker fest oder so.“

Gesagt, getan. Wir setzen unser Telefonat mit unverfänglichen Themen fort und streifen die Ecke mit dem Hocker und Katze 2 weder mit Blicken noch Gedanken. Etwas später gehe ich ins Bett, schrecke aber im Laufe der Nacht mehrfach aus unruhigen Träumen hoch und muss feststellen, dass Katze 1 und ich alleine im Bett sind. Katze 2 sitzt im Wohnzimmer auf dem staubigen Hochkant-Hocker und ihre weit aufgerissenen Augen funkeln im Dunkeln.

Ich würde nicht sagen, dass mich dieser Anblick beunruhigt, aber ich gehe in dieser Nacht nur noch mit Sonnenbrille aufs Klo.

Am nächsten Morgen sitzt Katze 1 noch immer mit großen Augen auf dem Hocker in der Wohnzimmerecke, sieht aber ganz klar hungrig aus. Trotzdem kostet es mich viel Mühe, sie zum Essen in die Küche zu locken… eigentlich klappt es erst, als ich unter der Dusche stehe und Katze 2 sicher sein kann, dass ich es auf gar keinen Fall schaffen kann, vor ihr wieder am Hocker zu sein und diesem vielleicht irgendetwas Böses anzutun.

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„Du glaubst wohl, eine zahnlose Katze hätte keine Mittel des Widerstands, was? Du wirst dich wundern.“

Ich bemühe mich, gute Laune und auf keinen Fall den Eindruck, es könne etwas Unvorhergesehenes geschehen, zu verbreiten. Tief in meinem Herzen weiß ich aber bereits, dass dieser Tag schwierig, sehr schwierig werden wird.

Am frühen Nachmittag, als ich aus dem Büro nach Hause komme, sitzt Katze 2 noch oder wieder auf dem staubigen alten Hocker, der hochkant an der Wand lehnt, und mir ist, als habe der eigentlich ziemlich abgenutzte Memoryschaum der Polsterung sich schon sehr exakt der Form ihres wunderhübschen kleinen Katzenpopos angepasst. Nach wie vor glühen ihre Augen und ihr Schwanz zuckt unaufhörlich.

Katze 1 hat sich mit einem Buch ins Schlafzimmer zurückgezogen, Kopfhörer aufgesetzt und will mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun haben.

Es fällt mir schwer, meine Nervosität zu unterdrücken. Zum Glück kommt schon wenig später mein Freund, dem allerdings beim Anblick von Katze 2, die sich zu ihrer vollen Größe aufgerichtet hat, das aufgesetzt heitere „So, dann wollen wir mal!“ im Hals stecken bleibt.

Nun geht alles sehr schnell. Ich nähere mich Katze 2 mit den Worten „So, dann wollen wir mal das Dirndl fürs Oktoberfest anprobieren!“. Ich bin noch nicht einmal in ihrer Nähe, als sie entsetzt aufspringt, anfängt, sich den staubigen Hochkant-Hocker in die Bauchtasche zu stopfen, und losstürmt mit der klaren Absicht, sich mitsamt ihrer Beute unter dem Bett zu verstecken. Mein Freund wirft sich ihr heldenhaft entgegen und wedelt mit dem Staubsauger. Katze 2 schreit entsetzt auf, zerrt den Hocker wieder aus ihrer Bauchtasche heraus und rutscht instinktiv auf dem Bauch unters Sofa. Dort bemerkt sie sofort ihren Fehler, aber es ist zu spät: Mein Freund hat sich sofort den Hocker geschnappt und ihn aus der Wohnung getragen. Während ich hastig meine Handtasche und meine Schuhe greife, um ihm zu folgen, höre ich noch, wie Katze 2 „Ist da die Auskunft? Verbinden Sie mich mit der Stadtreinigung, aber zackzack!“ in den Telefonhörer ruft. Dann fällt die Tür zu, mein Freund und ich zittern zwar am ganzen Körper und können nicht sprechen, wissen aber, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Während wir den Hocker unten in den Kleinwagen stopfen, sehen wir, wie Katze 2 auf dem Balkon steht und Bettlaken zusammenknotet, um die Verfolgung aufzunehmen. Außerdem beschimpft sie uns sehr wüst mit Ausdrücken, die ich hier nicht wiederholen möchte.

Am Recyclinghof werden wir zügig zum Sperrmüllcontainer durchgewinkt; offenbar ist der Anruf von Katze 2 doch nicht durchgestellt worden. Wir entledigen uns blitzschnell des alten Hockers und fahren ohne weiteren Zeitverlust wieder vom Hof.

PUH.

Auf dem Rückweg kaufen wir dann noch ganz viel Katzenfutter, nur Lieblingssorten von Katze 2. Trotzdem ist mir nicht wohl in meiner Haut, als wir wieder vor meiner Wohnungstür stehen. Immerhin, die Wohnungstür ist noch da und unbeschädigt. Es rinnt uns auch kein Blut durch den Briefschlitz entgegen. Beherzt öffnen wir die Tür und treten ein.

„Hallo Katzen! Wir sind wieder daha!“

Kein Laut ist zu vernehmen.

Vorsichtig durchquere ich den Flur und schaue ins Wohnzimmer. Oh.

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„Hier stand er. Mein Hocker. Der einzige Hocker, den ich jemals geliebt habe. Und nun ist er weg. Für immer. Ich bin sehr arm.“

Das alles ist nun vier Tage her. Katze 2 sitzt seitdem unverändert und mit eingefrorenen Gesichtszügen auf dem Ersatzhocker, der natürlich kein echter Ersatz für den staubigen alten Hochkant-Hocker sein kann. Katze 1 hat mir gestanden, dass sie ihr manchmal Essen dorthin bringt. Katze 2 spricht nicht mehr mit mir und ignoriert alle Entschuldigungsversuche sowie die Catsticks, die ich ihr anbiete. Mein Freund überlegt, ob es Trauerbegleiter gibt, die Katzen, denen man ihr Lieblingsmöbelstück entwendet hat, betreuen (oder ob er eine entsprechende Ausbildung machen sollte).

Ich fühle mich schuldig. Schuldig und schlecht. Außerdem tut mir die Schulter weh. Katze 1 vermutet, dass das mit der Voodoo-Puppe von mir zu tun hat, die Katze 2 manchmal unter dem pinkfarbenen Kissen hervorzieht und mit den Krallen malträtiert. Katze 1 sagt aber auch, ich solle Geduld haben: Katze 2 werde sich schon irgendwann beruhigen und ihre Wenn-du-willst-dass-es-wieder-gut-wird-Forderungen einreichen, die selbstverständlich auf der Stelle und ohne den geringsten Verhandlungsspielraum erfüllt werden müssen. Ich bin darauf eingerichtet. Natürlich. Wir werden das mit dem Bällebad im Schlafzimmer schon irgendwie hinkriegen und warum sollte es denn ein Problem sein, im Badezimmer eine Mäusezucht zu betreiben? Hauptsache, Katze 2 lächelt wieder. Zahnlos, aber strahlend.

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„Mäusezucht? Bällebad. Gut, aber das reicht natürlich noch lange nicht. Mein Forderungskatalog geht Ihnen in den nächsten Tagen zu.“

 

 

 

2 Kommentare

  1. Du hast Glück gehabt.. wirklich.. habt abwechselnd Nachtwache gemacht ? Schlafen kann man nicht, wenn man sowas getan hat.. das arme Tierchen ,-)
    Mein Kater hat bestimme Musikstücke gehasst… er hatte eine Katzenknappe und konnte rein und raus wie er wollte. Aber wehe !!! Es gab Dieter Thomas Kuhn im TV und wir haben mitgesungen.. oder überhaupt Schlager.. auch wenn wir nicht laut gesungen haben.. sofort kam er von draussen rein.. strafte uns aus seerosenballtgrünen Augen und malträtierte sofort meinen Lieblingsessel mit seinen Krallen..
    Auch die angeschafften Kopfhörer wollte er nicht tragen..
    Tja.. es blieb ein Rätsel noch über sein Albleben hinaus.. immerhin wurde er 19 und starb auch nicht an einer Überdosis Schlagermusik sondern an Alterskrankheiten..
    so what.. ich vermisse ihn.. schnüff….
    Gruss S.

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