Kurz vor Feierabend. Zu Hause warten die Katzen.

„Ist bald Feierabend?“, fragte die Katze und hüpfte elegant vom Sofa auf den Fußboden und von da aus auf die Fensterbank, um auf die Straße zu schauen. „Die Frau ist jetzt schon mindestens fünf Stunden weg und ich verhungere.“

„Es kann noch nicht Feierabend sein“, sagte die andere Katze, die völlig entspannt in der Höhle des Kratzbaums herumlümmelte und offensichtlich keine Sorgen in dieser Welt hatte, „denn es ist ja noch hell draußen. Du weißt doch, wie es im Januar ist: Sie geht im Dunkeln weg und kommt im Dunkeln nach Hause.“

„Wird es dann bald dunkel?“, fragte die erste Katze, bang auf die Straße und in den Himmel spähend. „Wirklich: Ich bin schon ganz schwach vor Hunger und kann mich kaum noch auf den Beinen halten.“

Die andere Katze betrachtete die kräftigen Stampfer, die ihre Schwester als Beine bezeichnete, und sagte gelassen: „Du Arme. Dann solltest du dich am besten wieder hinlegen. Die Frau kommt nach Hause, so schnell sie kann, das weißt du doch. Aber sie macht halt wieder dieses ‚Arbeiten‘, wie sie es nennt, damit sie uns regelmäßig neues Katzenfutter kaufen kann.“

„Das ist aber sehr zeitraubend, dieses ‚Arbeiten“, sagte die erste Katze nachdenklich. „Meinst du nicht, die Frau wäre viel lieber hier mit uns zu Hause? Das Katzenfutter bringt doch der Paketbote. Wenn wir dem einfach nicht sagen, dass die Frau dieses ‚Arbeiten‘ aufgegeben hat, bringt er es doch sicher tro…“

„Der Paketbote kommt nicht!“, unterbrach die andere Katze sie. „Der Paketbote streikt, weil ihm dieses ‚Arbeiten‘ für wenig Geld nicht mehr gefällt.“

„Der Paketbote kommt nicht?“, fragte die erste Katze entsetzt und sah vor Schreck gleich ein bisschen dünner aus. „Aber dann verhungern wir ja erst recht, ob die Frau nun da ist oder nicht.“

„Aber wenn sie da ist, dann können wir sie wenigstens fressen, falls das Katzenfutter ausgeht“, schlug die zweite Katze vor, die die Unterhaltung irgendwie nicht ganz ernst zu nehmen schien.

„Die Frau fressen?“, fragte die erste Katze entsetzt. „Aberaberaber… wer soll denn dann unser Klo saubermachen?“

„Niemand“, sagte die zweite Katze und bemühte sich, cool zu klingen, „wenn das Katzenklo voll ist, kacken wir einfach auf die Badematte.“

„Hm“, überlegte die erste Katze. „Das ist gar nicht so eine üble Idee. Aber das können wir doch sowieso machen, auch wenn die Frau da ist.“

„Das stimmt natürlich“, erwiderte die zweite Katze, die jetzt auch langsam ein kleines Hüngerchen zu entwickeln schien, „die Frau wird sich daran gewöhnen. Nur wenn sie im Dunkeln ins Badezimmer geht, muss sie halt aufpassen… nun ja, das Leben ist kein Ponyhof. Sagt sie doch immer, wenn sie die Leckerlis-Tüte zumacht.“

„Leckerlis!“, stöhnte die erste Katze, die mittlerweile wirklich schon ganz eingefallen aussah. „Da muss doch noch eine fast volle Tüte mit Hirschstreifen in der Nachttischschublade sein!“

„Die kriegen wir aber nicht auf“, gab die zweite Katze zu bedenken. „Probiert haben wir es ja oft genug. Aber schau mal, es wird jetzt wirklich allmählich dunkel. Bestimmt kommt die Frau bald nach Hause und dann gibt es endlich Essen.“

„Essen!“, rief die erste Katze begeistert. „Ich kann mich kaum noch erinnern, aber ich glaube, es war wundervoll!“

„Das war es“, stimmte die zweite Katze ihr zu. „Tütchen und Trockenfutter. Und abends Hirschstreifen. Großartig. Die Frau ist schon eine Gute, auch wenn sie dauernd zu diesem blöden ‚Arbeiten‘ muss.“

„Kommt sie nun bald? Kommt sie nun bald? Und wollen wir zuerst das rote Tütchen oder das gelbe?“

„Das gelbe natürlich. Und ich will die größere Hälfte.“

„Nein, ich!“

„Ich!“

„Ich!“

Wütend standen die beiden Katzen sich gegenüber und warfen sich gegenseitig Blicke zu, die alles andere auf dieser Erde vernichtet hätten. Da sie aber Schwestern waren und diese Übung mehrmals täglich durchführten, waren sie gegen ihre Blicke komplett immun und nichts passierte, außer dass ihre Wut langsam wieder verrauchte.

„Wir könnten schon mal in den Flur gehen“, schlug die erste Katze vor. „In wenigen Minuten werde ich nämlich zu schwach sein, um mich zu bewegen.“

„Gute Idee“, fand die zweite Katze. „Wir legen uns hinter die Wohnungstür und sehen eingefallen aus. Dann muss sie uns sofort und zuallererst füttern, wenn sie nach Hause kommt.“

„Wenn wir dann noch leben.“

„Wenn wir dann noch leben.“

Die beiden Katzen verließen Sofa und Fensterposten und begaben sich in den Flur, wo sie sich auf den nackten, kühlen Holzfußboden legten und Bäuche sowie Backen einzogen. Und so verharrten sie, mehrere Minuten lang, bis endlich das Geräusch der sich öffnenden und schließenden Haustür zu hören war und unverkennbar die Frau die Treppe heraufstapfte.

„Mau“, stieß die erste Katze, die mit eingezogenen Backen wirklich mitleiderregend aussah, mit letzter Kraft und in klagendem Tonfall aus. „Mau. Füttere mich!“

Die zweite Katze unterdrückte ein Kichern und setzte ein angemessen leidendes Gesicht auf. „Mau“, sagte sie dann auch, mit ersterbender Stimme und ganz leise.

Von draußen vor der Tür kam ein ebenfalls unterdrücktes Kichern. „Ihr armen kleinen Katzen. Ihr wart wohl sehr lange alleine?“

„Mau!“, riefen die beiden Schwestern im Chor, „sehr lange. Seit dem Frühstück. Und nun komm rein und rette uns endlich. Mau.“

Vorsichtig schob die Frau von außen die Wohnungstür auf, hinter der ihre entkräfteten Mitbewohnerinnen ungeduldig auf sie warteten. Tatsächlich, sie sahen völlig verhungert aus und die Frau dachte einen kurzen Moment darüber noch, ob sie vielleicht das Frühstück vergessen hatte. Aber nein, es waren mehrere gelbe und rote Tütchen gefrühstückt worden, daran konnte sie sich deutlich erinnern.

„Lasst mich doch erstmal rein“, sagte die Frau und schloss die Tür von innen, während die beiden Katzen aufgeregt vor ihr hin und her rannten und freudige Schreie ausstießen, die gar nicht mehr so schwach klagen wie eben gerade. „Ich komme ja schon.“

„Beeil dich!“, rief die erste Katze, „und zuerst das rote Tütchen!“

„Schneller!“, rief die zweite Katze, „und dann machst du das gelbe Tütchen auf!“

„Und wenn ich erst aufs Klo muss?“, fragte die Frau und machte ein ernstes Gesicht.

„Dann fressen wir dich!“, schlug die erste Katze vor.

„Und kacken auf die Badematte!“, ergänzte die zweite Katze.

„Klingt wie ein Plan“, gab die Frau zu und schlug doch lieber den direkten Weg in die Küche ein. „Dann wollen wir mal. Ein gelbes Tütchen, bitte schön. Guten Appetit.“

Während die Frau die Küche wieder verließ und sich den Weg ins Badezimmer machte, stürzten sich die ausgehungerten Katzen auf ihre vollen Schälchen. Omnomnomnom-Geräusche erfüllten die Küche.

Während die Katzen die Reste des gelben Tütchens vernichteten, kam die Frau aus dem Badezimmer, setzte sich auf die Bettkante und entledigte sich zunächst ihrer Schuhe und der Hose. So. Schon viel besser. Dann auf in die Küche, dachte sie, und das rote Tütchen öffnen. Und dann fängt der gemütliche Teil des Abends an mit meinen entzückenden Katzen, die mich den ganzen Tag so sehr vermisst haben wie ich sie. Herrlich.

„Gerade noch einmal gutgegangen“, sagte die zweite Katze währenddessen in der Küche zu ihrer Schwester. „Aber das nächste Mal fressen wir sie wirklich.“

1 Kommentar

  1. Liebe Bettina,
    herzlichen Dank!
    Vermisse die Damen ganz schlimm auf twitter. Aber natürlich kann ich verstehen, dass der seltsame Eigentümer ein guter Grund ist, dort nicht mehr unterwegs zu sein.
    Deine pelzigen Mädels liebe ich sehr, leider bin ich schlimm allergisch und kann deshalb selbst keine Samtpfoten beherbergen. Umso schöner, ein wenig am Leben von Lotte und Leonie teilnehmen zu können.

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