Lilo? Wer ist diese Lilo?

„Du, Leo?“, fragte Frl. Lotte Miez, während sie sich, wie immer nach dem Essen, gemütlich auf den noch leicht sonnengewärmten Holzfußboden im Wohnzimmer sinken ließ, um sich genüsslich zu putzen, „kann ich dich mal was fragen?“

„Was denn?“, erkundigte sich Frl. Leonie Mau, die schon wieder auf dem Sofa Platz genommen hatte, ihre rechte Hinterpfote graziös in die Höhe reckte und sich ebenfalls hingebungsvoll putzte.

„Hast du es auch gerochen?“, fragte Lotti aufgeregt und wedelte mit der Pfote in Richtung Küche, in der man es rumoren hörte. „Sie riecht wieder… nach Hund!!!“

„Natürlich habe ich das gerochen“, erwiderte Leo, „das lässt sich ja wohl kaum überriechen. Ich würde mal vermuten, dass sie sieben bis acht Minuten engen Körperkontakt im Schoßbereich hatte. Wahrscheinlich wieder mit dieser Lilo.“

„Lilo?“, fragte Lotti verblüfft. „Wer ist denn Lilo?“

„Lilo ist der Hund, der auf dem Schoß der dicken freundlichen Frau gesessen hat“, gab Leo gewollt cool zurück. Und weil Lotti sie noch immer verständnislos anstarrte (und dabei ganz vergaß, ihren Rücken fertig zu putzen), fügte sie hinzu: „Lilo ist der Name des Hundes.“

„Hunde haben Namen???“, fragte Lotti ungläubig. „Ja, aber… aber… wieso das denn?“

„Weil sie mit Menschen zusammenwohnen, so wie wir auch. Und weil Menschen ihren Hunden gerne Befehle erteilen.“

„Befehle? Menschen erteilen Hunden Befehle? Das verstehe ich nicht.“ Lotti wirkte verwirrt.

„Ich weiß“, sagte Leo, „es ist völlig verrückt und anders als beim Zusammenleben von Menschen mit Katzen, wo natürlich die Katzen den Menschen Befehle erteilen. Unabhängig davon übrigens, ob diese Namen haben.“

„Aber warum erteilen denn die Menschen den Hunden Befehle?“, fragte Lotti noch einmal. „Und warum lassen die Hunde sich das gefallen.“

„Weil sie keine Katzen sind!“, vermutete Leo.

„Richtig“, erinnerte sich Lotti. „Weil sie keine Katzen sind. Aber warum sitzen sie dann auf dem Schoß der dicken freundlichen Frau?“

„Das ist eine gute Frage“, gab Leo stirnrunzelnd zu. „Vielleicht weil bei diesem ‚Arbeiten‘, zu dem die dicke freundliche Frau immer geht, keine Katzen sind, sondern nur Hunde?“

„Wie schrecklich!“, sagte Lotti aus tiefster Seele. „Keine Katzen? Dann würde ich ja nicht zu diesem ‚Arbeiten‘ gehen, schon gar nicht fünf Tage die Woche. Und wieso hat es da Hunde?“

„Vielleicht arbeiten die auch“, überlegte Leo, „das würde ja dazu passen, dass sie sich Befehle geben lassen.“

„Du meine Güte!“, stöhnte Lotti, „sich was befehlen lassen und dann auch noch arbeiten. Für mich wäre das nichts.“

„Das überrascht mich nicht“, erwiderte Leo und legte sich wieder hin, um nun ihre linke Hinterpfote in die Luft zu recken.

„Du, Leo?“

„Ja, Lotti?“

„Meinst du, sie hat ein Foto von dieser Lilo auf ihrem Telefon?“

„Das kann gut sein“, überlegte Leo laut, „aber wenn, dann wahrscheinlich auf dem zweiten Telefon, dem ‚Diensthandy“.

„Sie hat ein zweites Telefon? Voller Hundefotos?“, fragte Lotti entsetzt.

„Das finden wir jetzt raus“, schlug Leo vor. „Da ist es ja, am Ladekabel. Schnell eben das Telefon entsperren und dann schauen wir nach.“

Sie zog das Smartphone vom Kabel und schaute sich das ausgeschaltete Display genau an. „Hm.“

„Was denn?“

„Wir brauchen einen Fingerabdruck der dicken freundlichen Frau.“

„Wie stellst du dir das vor? Sie ist doch gerade in der Küche und macht sich was zu essen. So ungeschickt, wie sie ist, braucht sie dafür alle zehn Finger.“

„Das stimmt“, gab Leo zu. Dann müssen wir den PIN eben hacken.“

Lotti schaute fasziniert zu, wie Leo ihre rechte Zeigekralle ausfuhr und damit über das Display kratzte. Dann schnüffelte sie aufmerksam an der kleinen Glasscheibe und sagte befriedigt: „Ich glaube, ich hab’s.“

Sie tippte einige Male auf das Display, nickte zufrieden und murmelte: „Kein Problem. Wir sind drin. Dann wollen wir mal die Fotogalerie überprüfen.“

Lotti rutschte ganz dicht neben ihre Schwester und guckte ihr über die Schulter, während Leo sehr gekonnt durch die Fotogalerie scrollte.

„Warum sind denn da gar keine Katzen auf den Fotos?“, fragte sie dann verwundert. „Nur immer wieder dasselbe Haus, Menschen, die wir nicht kennen und ein Garten, der nicht aussieht wie ein Garten.“

„Hier ist ein Hund!“, rief Leo plötzlich aufgeregt. „Ein Mops. Und noch einer: ein Windhund. Die können aber nicht Lilo sein, ihre Haare sehen anders aus als die Haare auf der Hose der dicken freundlichen Frau… Hier, das muss sie sein!“

Triumphierend schwenkte Leo das Smartphone und zeigte Lotti dann die Großaufnahme eines winzigen Hundes mit Glubschaugen und haarigen Fledermausohren. „Das ist Lilo.“

Lotti betrachtete das Foto misstrauisch. „Das ist doch kein Hund“, sagte sie dann. „Das ist ein Insekt.“

Leo hatte das Foto mittlerweile in die Rückwärtssuche bei Google eingegeben.

„Es ist ein Chihuahua“, erklärte sie dann. „Das sind Hunde, aber eben in Insektengröße.“

„Nicht zu fassen!“, staunte Lotti. „Und wozu sind die gut?“

„Wahrscheinlich kann man sie in der Handtasche überall hin mitnehmen“, überlegte Leo. „Sie wiegen ja so gut wie nichts.“

„So wie ich“, rief Lotti.

„Fast so wie du“, stimmte Leo ihr zu. „Und man muss keine Busfahrkarte für sie kaufen, weil der Fahrer sie gar nicht sieht. Praktisch.“

„Ich habe auch noch nie eine Busfahrkarte gekauft“, sagte Lotti.

„Du bist auch noch nie Bus gefahren.“

„Das stimmt. Du aber auch nicht.“

„Das stimmt auch.“

Beide Katzen starrten nachdenklich auf das Foto.

„Und was für Befehle kann man so einer halben bzw. Viertelportion geben?“, fragte Lotti. „Die kann doch niemanden ins Bett tragen oder die Kekse aus der Küche holen.“

„Sie sieht auch nicht aus, als würde sie sich Befehle geben lassen“, befand Leo. „Sie ist zwar winzig, wirkt aber trotzdem sehr eigensinnig.“

„Wie eine Katze.“

„Wie eine Katze.“

„Und du meinst, die dicke freundliche Frau mag sie gerne?“, fragte Lotti.

„Ich glaube schon“, sagte Leo, „aber nicht so gerne wie uns. Und auch nur, weil wir nicht da sind bei diesem ‚Arbeiten‘. Bestimmt lässt sie sie manchmal auf ihrem Schoß sitzen, damit Lilo sie darüber hinwegtröstet, dass wir nicht da sind.“

„Hm“, machte Lotti. „Und das finden wir okay?“

„Solange sie sie nicht mit nach Hause bringt“, beschloss Leo großzügig, „oder im Schlaf ihren Namen murmelt.“

„Au weia!“, kicherte Lotti. „Das gäbe dann richtig Ärger. Und so eine kleine Lilo, die essen wir ja, wenn es drauf ankommt zum Frühstück.“

„Auf Toast!“, stimmte Leo ihr zu. „Aber so weit wird es hoffentlich nicht kommen.“

In der Küche waren Gepolter und ein leises Fluchen zu hören.

„Das Telefon weg!“, zischte Lotti. „Sie kommt.“

Leo schaltete das Telefon blitzschnell aus und hängte es wieder ans Ladekabel, bevor sie sich fest schlafend aufs Sofa fallen ließ. Lotti hatte sich bereits auf die Seite gerollt und blinzelte träumerisch vor sich hin.

„So, ihr Mäuse“, sagte die dicke freundliche Frau, während sie sich mit einer dampfenden Schüssel in der Hand aufs Sofa fallen ließ. „Da bin ich endlich. Das war ein langer Tag heute, so ohne euch. Aber jetzt machen wir es uns gemütlich.“

„Gemütlich“, murmelten beide Katzen schläfrig im Chor. „Gemütlich. Ohne Lilo.“

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