Mal am Ehrenamt schnuppern. Ein Tag im Hospiz.

Eventuell habe ich es schon das eine oder andere Mal reflexhaft mit dem Zaunpfahl winkend angedeutet: Die Begleitung meines Vaters in seinen letzten Lebenswochen und der Kontakt mit den Menschen in Palliativstation und Hospiz haben in mir den Wunsch geweckt, mich selbst in diesem Bereich ehrenamtlich zu engagieren.

Über ein Ehrenamt an sich hatte ich, angeregt durch meinen Freund, schon länger nachgedacht. Anfang 2015 waren wir zusammen bei der Aktivoli Freiwilligenbörse, bei der sich Interessierte Informationen über bürgerschaftliches Engagement holen und Kontakte zu gemeinnützigen  Projekten aus verschiedenen Bereichen knüpfen können. Über hundert Aussteller waren dort, viele mit interessanten Projekten und Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden. „Ach“, dachte ich, „was mit Tieren oder was mit Schreiben könnte ich ja eigentlich auch machen. Oder was mit schreibenden Tieren.“

In meiner Jugend war ich jahrelang ehrenamtlich aktiv, in unserer Kirchengemeinde engagierte ich mich beim Kindergottesdienst und in Jugendteestuben. Das gab ich auf, als es in die gymnasiale Oberstufe ging, andere Dinge waren mir wichtiger und meine Zeit plötzlich begrenzt. So blieb es in den nächsten dreißig Jahren: Ich war mit meinem Studium, verschiedenen Jobs und meinem eigenen Leben total ausgelastet und wollte mir keine weiteren Verpflichtungen mehr aufhalsen. Die Anregung durch meinen Freund kam dann im richtigen Moment: Schließlich mache ich meinen derzeitigen Job nun wirklich schon lange genug (zwanzig Jahre nämlich), um ein bisschen Routine zu haben und nicht bei jeder größeren Aufgabe ins Schwimmen zu geraten.

Während ich dann Anfang letzten Jahres so hin- und herüberlegte, was ich denn wohl zum Wohle meiner selbst und der restlichen Menschheit so tun könnte, wurde klar, dass der Moment wohl doch nicht der richtige war… Der Zustand meines Vaters, der ja schon länger krank war, verschlechterte sich langsam (wieder), weil die Möglichkeiten der Chemotherapie allmählich ausgereizt waren. Die nächsten Wochen und Monate waren wir mit der Begleitung meines Vaters komplett ausgelastet (auch darüber schrieb ich – ausführlichst). Immerhin wurde mir im Verlauf dieser Sterbebegleitung klar, dass ich im Hospiz nun ein neues Objekt meiner ehrenamtlichen Begierde gefunden hatte.

Die hauptamtlichen Hospiz-Mitarbeiter, denen ich von dieser Idee erzählte, freuten sich über mein Interesse und schlugen mir vor, mich für den entsprechenden Ausbildungskurs anzumelden, sobald ich guten Gewissens behaupten könne, mich nicht mehr in einem akuten Trauerprozess zu befinden. Da der Kurs für Ehrenamt im stationären Hospiz gerade neu begonnen hatte, bestand diese Gefahr aber wohl nicht. Der nächste Kurs sollte frühestens in einem Jahr stattfinden, vielleicht aber auch erst in zwei Jahren.

Zwei Jahre warten. Hm. Das fand ich ganz schön lang. Aber okay, wenn es so sein sollte, dachte ich, dann hatte das ja sicher auch seinen Sinn. So kam ich übrigens erst auf die Idee, in meinem Blog so ausführlich über das Erlebte zu schreiben. Diese Berichterstattung hat mir sehr bei meiner persönlichen Trauerarbeit geholfen, für die „im wirklichen Leben“ nicht immer viel Platz war und ist.

Vor ein paar Wochen beschlossen mein Freund und ich dann, uns schon in diesem Jahr zu einer Informationsveranstaltung, einem „Schnuppertag Ehrenamt Hospiz“, im Hospiz anzumelden. Angekündigt waren Kurzvorträge, Diskussionen und Selbsterfahrungsübungen für bis zu 22 Interessierte an einem Samstag von zehn bis siebzehn Uhr.

Vor zwei Wochen fand dieser Schnuppertag nun statt. Bei sturzbachartigem Regen eilten wir ins Hamburger Hospiz im Helenstift, deponierten unseren Beitrag zum Mittagsbuffet in der Küche und trafen im großen Versammlungsraum auf weitere mehr oder weniger feuchte und durchweg gespannte Schnupperwillige.

Wir kannten das Haus ja schon und wussten, dass die „Gesellschaftsräume“ wie auch die Büros der Hospiz-Mitarbeiter alle im Erdgeschoss liegen und die Bewohner in der ersten und zweiten Etage untergebracht sind, ebenso wie die von den Bewohnern und ihren Gästen genutzten Gemeinschaftsräume. Das Erdgeschoss „gehörte“ uns an diesem Samstag also ganz alleine – bei dem Regen am Morgen gingen auch noch keine Besucher ein und aus. Wie immer schaute ich beim Betreten des Hauses zuerst auf den großen Kerzenleuchter rechts von der Eingangstür. Keine Kerze brannte. Puh.

In dem hellen und freundlichen Seminarraum erinnert nichts daran, dass man sich in einem Haus befindet, in dem der Tod möglicherweise schon hinter der nächsten Tür wartet. Man sieht durch große Fenster hinaus in den Hof, der von wunderschönen alten Bäumen eingerahmt wird, und kann sich gleich sehr wohl fühlen.

Im Vorraum standen Kaffee, Wasser und Kekse bereit, daneben das Sparschwein Helene (die Teilnahme am Schnuppertag war kostenlos, wie bei allen Veranstaltungen des Hospizes aber waren Spenden erbeten worden). Die achtzehn Schnupperwilligen, die sich trotz des Wetters eingefunden hatten, wurden von Frau R., die für die Öffentlichkeitsarbeit des Hospizvereins und auch für die Ausbildung von Ehrenamtlichen zuständig ist, und drei ehrenamtlichen Hospizlerinnen herzlich begrüßt.

Wir erfuhren viel an diesem Tag. Darüber, dass es zwei unterschiedliche Bereiche der Hospizarbeit gibt, den stationären und den ambulanten, zum Beispiel. Den stationären Teil, bei dem schwerkranke Menschen in das Hospiz aufgenommen werden und im Allgemeinen dort sterben, kannten wir ja schon. Über ambulante Hospizarbeit, bei der Menschen zu Hause begleitet und betreut werden, hatte ich bisher nur gelesen – er ist aber der Bereich, in dem weit mehr ehrenamtliche Mitarbeiter benötigt werden. Zum Vergleich: Im Verein Hamburger Hospiz e. V. gibt es etwa 75 Ehrenamtliche im ambulanten Bereich und „nur“ ungefähr 20 im stationären Hospiz.

Ehrenamtliche aller Art, vor allem für den ambulanten Bereich, werden ständig gesucht und ausgebildet. Händeringend gesucht werden vor allem Männer und Interessierte mit muslimischem Hintergrund. Ein Mann mit muslimischem Hintergrund wäre also quasi der Hauptgewinn für das Hospiz.

Besonders faszinierend fand ich, was uns Frau R. über den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen erklärte: Ein Ehrenamtlicher im stationären Hospiz ist eingebunden in die bestehende und bestens funktionierende Struktur des Lebens im Hospiz; es stehen immer Profis als Ansprechpartner zur Verfügung, die Supervision ist quasi Teil der Tätigkeit bzw. eng damit verknüpft. Man ist ein kleiner Teil des weitgehend sichtbaren Ganzen.

Ein Ehrenamtlicher im ambulanten Hospizbereich hingegen verkörpert für seine „Begleitung“ das Hospiz. Natürlich ist er in den seltensten Fällen der einzige Hospiz-Kontakt für die Menschen, die er zu Hause besucht, aber er besucht sie im Allgemeinen alleine und selbständig. Und verkörpert dabei das Hospiz. Auch er ist selbstverständlich eingebunden in sein Team, es gibt regelmäßige Gruppen-Supervision und nach jedem Besuch wird ein Feedback-Formular ausgefüllt. Aber während seiner Besuche ist er der Träger des Hospizgedankens.

Der Hospizgedanke ist überhaupt fundamental wichtig. Die Hospizbewegung (die übrigens eine Bürgerbewegung ist), wie wir sie heute kennen (sollten), gibt es noch gar nicht so lange. Die Idee, dass das Sterben und der Tod zum Leben gehören, und deswegen auch im persönlichen und sozialen Bewusstsein der Menschen ihren Raum einnehmen sollten, hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erst langsam (wieder – es gibt historische Vorlagen) Gehör verschaffen können. Die Erfahrungen des 2. Weltkriegs und der Nachkriegsjahre führten wohl zu einer sehr weitreichenden Verdrängung des gesamten Themenkomplexes aus dem Bewusstsein einer ganzen Generation. Der Tod sollte nicht mehr Teil des Lebens sein, man konnte und wollte ihn nicht mehr sehen, hören, riechen und schmecken. Am liebsten nicht einmal ahnen. Wenn jemand starb, dann am besten im Krankenhaus, am liebsten ohne großes Aufsehen und ohne „die Lebenden“ damit zu sehr in Anspruch zu nehmen. Denn die Lebenden hatten sich um das Leben zu kümmern.

Die Hospizbewegung hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Tod wieder als einen Teil des Lebens ins Bewusstsein zu rücken und somit sterbende und sich aufs Sterben vorbereitende Menschen nicht auszugrenzen, sondern sie als Teil der Gesellschaft und als Individuum wahrzunehmen. Der Schwerkranke bzw. Sterbende wird in seiner Würde als Mensch wahrgenommen, sein Leben – egal wie eingeschränkt und scheinbar ohne Perspektive – hat einen Wert. Die Bewahrung seiner Selbstbestimmung bis zum Sterben und darüber hinaus, unabhängig von Religion und Weltanschauung, ist der Grundsatz des Hospizgedankens an sich.

Darüber hinaus fühlt sich das Hospiz auch für die An- und Zugehörigen eines sterbenden Menschen zuständig, auch sie dürfen erleben, dass es sich lohnt, dem Tod nicht aus dem Weg zu gehen, sondern ihn zuzulassen, ein Stück weit mitzuerleben. Zu erfahren, dass sich aus dem Erlebten auch Kraft schöpfen lässt und dass die Begleitung eines wichtigen Menschen auf seinem letzten Weg uns Weiterlebende auch reicher und reifer werden lässt.

Der nächste Schritt ist dann, die Erfahrung, dass die Beschäftigung mit dem Bereich Sterben und Tod wertvoll und wichtig ist, weiter in die Gesellschaft hineinzutragen und aktiv der Tabuisierung eben dieser Themen entgegenzuwirken. Aus diesem Grunde sind alle Hospizvereine sehr aktiv in der Öffentlichkeitsarbeit und laden Interessierte gerne zu Veranstaltungen wie Vorträgen, Führungen und Feiern ein.

Der Einsatz und die Ausbildung von ehrenamtlichen Hospizmitarbeitern ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit. Nicht nur, weil Hospize einen festgelegten Prozentsatz ihres Budgets selbst aufbringen müssen (das hat damit zu tun, dass Hospize nicht profitorientiert arbeiten können SOLLEN) und somit auf Geld- und Zeitspenden (also ehrenamtliche Mitarbeit) angewiesen sind. Die Ehrenamtlichen tragen auch wesentlich dazu bei, dass sich in unserer Gesellschaft ein Wandel im Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Menschen vollzieht.

Wie gesagt, wir erfuhren viel an diesem Tag. Harte Fakten in sachlichen Vorträgen machten nur einen relativ kleinen Teil des Programms aus, mindestens ebenso wichtig waren auch die Gespräche und Übungen in kleinen Gruppen und der Austausch mit den drei bereits aktiven Ehrenamtlichen und den anderen schnuppernden Teilnehmern. Ich will auch gar nicht sehr detailliert erzählen, was wir an dem Tag alles machten („What happens in the Seminarraum stays in the Seminarraum!“),

Eine kleine Anekdote zum Schluss gestatte ich mir aber doch. Mein Freund und ich hatten uns den ganzen Tag über, wenn Kleingruppenarbeit angesagt war, immer getrennt und in verschiedene Gruppen stecken lassen – schließlich wollten wir neue Menschen kennenlernen und nicht eine unserer Dauerunterhaltungen, die wir sowieso immer und ständig führen, fortsetzen. Bei der letzten Übung des Tages aber durften wir unsere Gruppen (die sich mit etwas unterschiedlichen, vorher angerissenen Sujets beschäftigen sollten) nicht frei wählen, sondern sollten ein Los aus dem sprechenden Hut ziehen, das uns dann in unsere Häuser Gruppen weisen würde. Schließlich darf man sich als Ehrenamtliche/r auch nicht alles selbst aussuchen, sondern bekommt eine Begleitung zugewiesen (im Allgemeinen, weil sich ein sehr fähiger und weitblickender Hauptamtlicher zuvor gründlich Gedanken gemacht hat). Aber – so lächelte Frau R. etwas schelmisch – wir seien ja noch gar keine Ehrenamtlichen. Also könnten wir, wenn wir das Losziehen doof fänden, auch einfach so in die gewünschte Gruppe gehen.

Hm. Ich überlegte kurz. Ich wusste eigentlich genau, in welche Gruppe ich gerne wollte. Sollte ich das Los ignorieren? Aber… würde ich dann vielleicht eine wichtige Erfahrung verpassen? Hm. Am besten wäre es ja, einfach ein Los für die richtige Gruppe zu ziehen. Genau, das klang doch wie ein Plan! Schnellentschlossen stand ich auf und war die zweite Teilnehmerin, die mutig ein Los aus dem Hut zog. Selbstverständlich für die richtige Gruppe. Ohne zu gucken. Ha, dachte ich, das läuft doch. Dann kam mein Freund und hatte ein Los für dieselbe Gruppe gezogen.

„Tja“, sagte ich, „da kann man wohl nichts machen.“

„Nein“, erwiderte er. „Da müssen wir wohl durch.“

So saßen wir gemütlich zusammen in der letzten Kleingruppe des Tages und ich erfuhr, was ich vorher schon vermutet hatte: Mein Freund war von dem Gedanken an ambulante Hospizarbeit sehr begeistert und tendiert nun sehr dazu, sich für den entsprechenden Kurs anzumelden. Ich fand und finde das toll, konnte und kann ihn mir in diesem Bereich auch sehr gut vorstellen. Da ich, schon wegen meines etwas komplizierteren Zeitmanagements und der Notwendigkeit, im Job klare Ansagen zu machen und diese dann auch einzuhalten, im stationären Bereich bleiben will, ergibt sich dann auch das, was uns Frau R. schon bei der Anmeldung per Mail vorgeschlagen hatte: Wir hocken nicht aufeinander, sondern machen unterschiedliche Kurse bei unterschiedlichen Kursleitern in unterschiedlichen Gruppen. Was vermutlich alles in allem sehr sinnvoll ist.

Ein bisschen neidisch bin ich darauf, dass der Kurs für die ambulante Hospizarbeit schon diesen Herbst beginnt, während ich noch mindestens ein halbes Jahr warten muss. Wobei… bewerben müssen wir uns dann natürlich auch noch. Und angenommen werden. Wobei ich das eigentlilch sehr optimistisch sehe, auch wenn ich kein Mann bin und keinen muslimischen Hintergrund habe. Denn immerhin bin ich ich.

1 Kommentar

  1. Bisher nur stille Mitleserin bei der berührenden Erzählung über den Vater, aber jetzt möchte ich doch gerne ganz feste die Daumen drücken für das Ehrenamt! Weil ich das so gut nachfühlen kann. Ich bin selbst ehrenamtlich unterwegs auf der geriatrischen Station einer Klinik und möchte es nicht mehr missen. Viel Erfolg! 🙂
    Lieben Gruß
    AnnJ

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