Mein Körper und ich (Zwei wie Glück und Schwefel)

Inzwischen bin ich ja in einem Alter (und Zustand); ich muss viele Entwicklungen und Erkenntnisse, die offenbar unser aller Leben (und damit irgendwie auch meins) betreffen und möglicherweise beeinflussen, erst googeln. Zum Beispiel kann ich mir irgendwie nicht richtig merken, was „Gendern“ bedeutet. Oder „Selbstoptimierung durch künstliche Intelligenz“. Und „vong“. (Ach nee, „vong“ hatte ich verstanden, bloß nicht, was daran lustig sein soll. Aber auch das ist ja möglicherweise eine Alterserscheinung.)

„Body Shaming“ ist auch so ein Ding. Ja, ich kann Englisch, den Google Translator brauche ich nicht. Aber wer wen beschämt und wessen Body, das müsste mir mal jemand fallübergreifend erläutern. Nach Möglichkeit ohne Zuhilfenahme des Wortes „Dissen“, denn das kenne ich auch nur vom Hörensagen. Wobei ich es noch nie gesagt habe, jedenfalls nicht bewusst. Und was machen wir mit den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die nicht kapiert haben, dass Body Shaming eine übergriffige und meist passiv-aggressive Meinungsäußerung zur Körperlichkeit anderer Menschen darstellt, sondern glauben, dass es hier um Menschen gehe, die sich schon von Vorneherein ihres eigenen Körpers schämen, ganz ohne Fremdeinwirkung.

Aber vielleicht denke ich hier auch nicht weit genug und diese unglücklichen Menschen sind durchaus gemeint, weil sie nämlich – in einer Art vorauseilendem Gehorsam  – ihren Körper selbst beschämen bzw. schlechtmachen, bevor es jemand anderes tun kann? Fiele unter (Eigen-)Body Shaming dann auch jemand, der versucht, in seiner – vermeintlich nicht perfekten Körperlichkeit – versucht, unsichtbar zu werden oder zu bleiben?

Wissen Sie, was ich meine? Mir fällt das immer besonders im Fitness-Studio auf. In dem Studio, in dem ich dreimal wöchentlich im Wasser rumhüpfe und der Versuchung widerstehe, die Poolnudel zu essen, sind Menschen in allen Ausführungen unterwegs: Jung, alt, dick, dünn, austrainiert, untrainiert, und vor allem: selbstbewusst oder sich ihrer selbst zu sehr bewusst. Mit sich zufrieden oder eben nicht. Diese Unterscheidung nehme ich selten bewusst vor, aber mein Hirn teilt die Menschen, die mir dort begegnen, entsprechend meiner Wahrnehmung meist relativ zügig in diese Gruppen ein.

Interessant finde ich dabei, dass die Zufriedenen zwar zufriedener, bei sich selbst angekommener wirken als die Unzufriedenen, aber im Großen und Ganzen keineswegs perfekter. In der Gruppe der Unzufriedenen finden sich ebenso viele Frauen und Männer mit einem idealen BMI, einem hübschen Gesicht und genug Geld für Markensportklamotten wie in der Gruppe der Zufriedenen. Und ebenso viele Frauen und Männer mit Übergewicht, Haaren die nicht aussehen wie frisch aus dem Bett sondern wie aus dem Vogelnest gefallen, rutschenden Shorts und hochrotem Kopf, noch bevor ihr Bauch-Beine-Po-Kurs begonnen hat.

Wobei der klassische Bauch-Beine-Po-Kurs so langsam aus den Kursplänen verschwindet und durch „Body-Toning“, „Bodyfit“ und „MoveIt“ ersetzt wird, scheint mir (ja, die musste ich jetzt googeln). Und für die unter den Unzufriedenen, die zwar einen tollen BMI haben, aber trotzdem kein Sixpack, gibt es noch die Angebote „Bauch Spezial“ und „Bauch Xpress“. Diese Kurse sind, wenn ich es richtig verstanden habe, erfunden für die unglückliche Zielgruppe der „Skinny Fat People“. „Skinny Fat“ – noch so ein Begriff. Ich persönlich hätte ihn eher als eine Hälfte einer Kaffeebestellung in einem amerikanischen Coffeeshop eingeordnet. Aber nein, „Skinny Fat“ bezeichnet Menschen, die dünn sind und trotzdem fett rüberkommen (oder sich selbst so wahrnehmen). Weil nicht straff und muskulös genug in den bekannten „Problemzonen“.

„Problemzone“ – das Wort kenne ich schon lange, aber es gefällt mir auch nicht mehr so richtig. Mein Körper geht nun schon so lange mit mir durch Dick und Nicht-ganz-so-Dick, er hält zu mir und steht zu mir, obwohl ich mich ihm gegenüber wirklich nicht immer sehr vornehm oder gar vernünftig verhalte: Wie komme ich dazu, Teile von ihm als Problemzonen zu bezeichnen oder bezeichnen zu lassen? Fette Oberschenkel? Ja, mag sein, aber es sind meine Oberschenkel und sie tragen mich seit über fünfzig Jahren durch die Welt, sie schützen meine Geschlechtsteile (lückenlos, versteht sich) und sie würden mich notfalls sechs Monate lang ernähren, falls ich mal auf einer der letzten Eisschollen dieser Welt festsäße, wo kein Lieferdienst hinkommt. Meine Oberschenkel lassen sich nicht so ohne Weiteres Hosen anpassen, das stimmt, und sie sind auch beim Aquafit manchmal im Weg, wenn ich zum Beispiel im Wasser hüpfen und unter meinem Hintern in die Hände klatschen soll, aber sie sind ein wesentlicher Teil von mir und ganz sicher keine Problemzone.

Was mich freut: In der Gruppe der zufriedenen Menschen in meinem Fitness-Studio sind einige, die offenbar zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sind wie ich und die sich mit ihrem Körper angefreundet bzw. ausgesöhnt haben. Ob sie dicker oder dünner sind als ich, spielt doch gar keine Rolle. Auffällig ist, dass die meisten nicht mehr ganz jung sind – klar, für eine junge Frau, die sich insgesamt noch finden muss, hat ein vermeintlich nicht perfekter Körper vermutlich noch einen ganz anderen Stellenwert. Wobei er auch einen hervorragenden Nebenkriegsschauplatz abgeben kann, um sich nicht mit anderen, eigentlich wichtigeren Fragen auseinandersetzen zu müssen.

Ich freue mich über jede Frau, die quasi Hand in Hand mit ihrem Körper zum Sport geht, ein nicht nur zum Körper passendes Sport-Outfit gefunden hat und die mit Freude und Energie bei der Sache ist. Der es völlig egal ist, wenn sie beim schnellen Umzug in einer vollen Umkleide mal bescheuert aussieht, die sich gemütlich in der Sauna oder auf der Sonnenterrasse ausbreitet und ihre Körperlichkeit genießen kann. Der es komplett schnurz ist, ob mal ein Teil von ihr wabbelt. (Das gilt natürlich ebenso für Männer, aber wie ich schon sagte, das mit dem Gendern ist nicht immer meins.)

Weil das nämlich, objektiv betrachtet, auch wirklich komplett schnurz ist. Den Zufriedenen ohnehin, sie widerstehen meist recht erfolgreich dem Drang, sich immerfort mit allen anderen vergleichen zu müssen. Den Unzufriedenen aber auch, denn sie sind ohnehin überwiegend mit sich selbst und ihrer (vermeintlichen) Außenwirkung beschäftigt: Sie registrieren zwar „Auffälligkeiten“ an ihren Mitmenschen, aber nur, um diese mit ihren eigenen Auffälligkeiten vergleichen zu können und dann hoffentlich zu der Erkenntnis zu kommen, dass sie sich ihres Bodys nicht schämen müssen.

Im wirklichen Leben ist es eigentlich genauso wie im Fitness-Studio, nur eben im Büro-Dress statt im Trikot oder Badeanzug. Problemzonen lassen sich hier etwas leichter kaschieren, noch besser ist es aber, wenn ich sie nicht als Problemzonen begreife, sondern als Teile von mir, die unabhängig davon, ob sie irgendeinem Schönheitsideal entsprechen, mit mir mein Leben leben. Teile, die es verdient haben, dass ich sie wertschätze, und nicht, dass ich mich für sie schäme (oder mich allzu sehr davor fürchte, dass ein Mitmensch sie abfällig betrachten könnte).

Ich bin ich und das, was Sie meistens zuerst von mir sehen, ist mein Körper. Dieser zeichnet sich durch schöne und kluge Augen, ein herzliches Lachen, einen Hintern mit eingebautem Sitzkissen, zwei plattgelaufene Füße, grauwerdende Haare, zupackende Hände, ein Reservekinn und definitiv kein Sixpack aus. Er beherbergt einen scharfen Verstand, ein großes Herz, eine wunderschöne Seele und… MICH. Er ist ich. Ich bin er. Wir werden zusammen älter und manche Modebegriffe kommen bei uns nicht mehr so richtig an. Andere hingegen schon. „Covfefe“ zum Beispiel und „Achtsamkeit“, „innere Mitte“ oder „Gelassenheit“.

 

2 Kommentare

  1. Zustimmung in jedem Punkt. Wie gerne wäre ich in meiner Selbstwahrnehmung und Selbstschätzung schon so weit wie Du. Aber ich bemühe mich, dass mir solche Äußerlichkeiten – die mich bei anderen übrigens, wenn sie nicht sehr extrem sind, niemals negativ auffallen – etwas egaler werden.
    Du bist offensichtlich schon (länger?) an diesem Punkt. Glückwunsch und Neid (aber der Gute)!

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