Mein Schaalsee. Der Liebesgeschichte zweiter Teil.

Beim zweiten Besuch näherten wir uns Lassahn von unten, also von der Südseite des Schaalsees aus. Dort lag und liegt das Städtchen Zarrentin, und zwar wunderwunderschön, nämlich direkt am See mit Uferweg und Strandbad. Und Aussicht – wie außergewöhnlich das ist, realisiert man erst, wenn man den Schaalsee nach und nach erkundet. Der Ortskern von Zarrentin besteht im Prinzip aus zwei Straßen, die parallel zueinander und zum Seeufer verlaufen. Von der einen aus kann man den See meistens sehen, er liegt gleich hinter der Häuserreihe. Es gibt eine Kirche, ein aufwendig restauriertes Zisterzienserkloster, ein Heimatmuseum, Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten und das Pahlhuus, das ist die Zentrale des Bioshärenreservats Schaalsee.

Mit dem Auto, von der Autobahn kommend, waren wir ruckzuck durch das charmant, aber durchaus verschlafen wirkende Städtchen hinaus und schwuppdiwupp auf der Chaussee nach Lassahn, wieder parallel zum Seeufer, jetzt aber nicht mehr in Sichtweite. Eine durchaus idyllische Straße mit Bäumen zwischen Feldern und auf leicht gehügeltem Gelände. Auch nicht direkt verkehrsreich, obwohl der kürzeste Weg nach Norden. Aber so viele Menschen sind hier einfach nicht unterwegs, weder mit dem Auto noch mit dem Fahrrad.

Nach ein paar Kilometern durchs Ländliche erreichten wir das Ortsschild von Lassahn – der Ort war bereits im Jahr 2004 eingemeindet worden, das neue Ortsschild, das Lassahn als Ortsteil der Stadt Zarrentin am Schaalsee auswies, stand aber erst im nächsten oder übernächsten Jahr.

Den nächsten Beweis, dass die Uhren in Mecklenburg etwas langsamer und insgesamt ein paar Jahrzehnte nachgehen, erhielten wir bereits weniger Meter weiter: Vor den eher wenig ansehnlichen Plattenbauten direkt hinter der Ortseinfahrt hing an einem Zaun ein Transparent mit dem Hinweis auf mietbare Zwei- und Dreiraumwohnungen. Zum Preis von DM 5,90 pro Quadratmeter, wenn ich mich recht erinnere. Auf jeden Fall spottbillig und in DM. Drei Jahre nach der Einführung des Euro.

Wir waren fasziniert, extrem fasziniert. Jahrelang war die wichtigste Frage, wenn wir nach längerer Abwesenheit mal wieder nach Lassahn kamen, immer die nach diesem Transparent. Würde es noch hängen? Waren die Preise stabil? Hatte hier irgendjemand schon mal von der Währungsreform gehört? Was gab es hier noch, was andernorts längst abgeschafft war?

Auf Höhe der Plattenbauten gab es auch einen Abzweig mit Hinweisschild, zur Stintenburg-Halbinsel und zum Brückenhaus. Interessant, dachten wir, noch ein Lokal. Was wir zu der Zeit noch nicht wussten, war, dass in dieser Gegend so ein Hinweisschild zwar im Prinzip auf ein Café oder ein Restaurant hindeutete – es konnte aber durchaus sein, dass dieses Café oder Restaurant seit ein oder zwei Wochen/Monaten/Jahren geschlossen war. Oder über den Winter. Oder dass es grundsätzlich nur an Sonntagnachmittagen und in der warmen Jahreshälfte geöffnet war.

Wir fuhren weiter, wir wollten ja erst einmal Lassahn näher kennenlernen, bevor wir uns mit der Umgebung befassten. Eine Bushaltestelle, ein Sportplatz, die Freiwillige Feuerwehr, eine Gärtnerei lagen an der Dorfstraße. Kein Tante-Emma-Laden, kein Bäcker, kein Kiosk.

Dann erreichten wir auch schon die Kirche und parkten diesmal auf dem ausgeschilderten Parkplatz. Ein sehnsüchtiger Blick zum Friedhof, ein weiterer zum Biergarten dahinter. Unser Plan heute war, zunächst einen Spaziergang am See zu machen – und mit „am See“ meinten wir so etwas wie eine Ufer-Promenade, nicht einen ehemaligen Grenzer-Kolonnenweg, der durch ein undurchdringliches Dornröschen-Gestrüpp vom Wasser getrennt war. Alter Falter, was waren wir naiv.

Um es kurz zu machen: Wir liefen viele Kilometer. Auf Kolonnenwegen, auf Trampelpfaden, am Feldrand, durch hohes Gras und noch höhere Brennesseln. Lief man von Lassahn aus nach links, also nach Süden, so gab es einen sehr ordentlich aussehenden Weg, der auch tatsächlich zu einem kleinen Boots- und Sonnensteg, zur Stintenburginsel und noch weiter, zur nächsten Ortschaft Techin führte. Lief man nach rechts, so gab es einen Trampelpfad zu der Badestelle, die wir letzte Woche schon gesehen hatte, und zum Aussichtspunkt auf einem kleinen Hügel. Dann versandete er im Gestrüpp.

Für alle Wege galt: Das Wasser konnte man erahnen, manchmal plätschern hören und ganz gelegentlich glitzern sehen. Nähern konnte man sich ihm von diesen Wegen aus nicht.

Es war uns natürlich klar, dass sich zu DDR-Zeiten außer den Grenzern vermutlich niemand am östlichen Schaalseeufer hatte aufhalten dürfen. Schließlich verlief die innerdeutsche Grenze mitten durch den See, der teilweise nicht sehr breit ist. Etwas anderes als die Kolonnenwege hatte es also nicht gegeben, wofür denn? Andererseits befanden wir uns im Jahre 2005, also 15 Jahre nach der Wiedervereinigung. Ganz offensichtlich hatte in diesen 15 Jahren niemand etwas an der Sichtbarkeits- und Erreichbarkeitssituation des Sees geändert. Oder ändern dürfen. Der ansässigen Flora und Fauna bekam das bestens, das war sehr deutlich. Trotzdem fanden wir Großstädter das eigentlich ganz und gar unglaublich.

In der Tat war es so, dass schon zu DDR-Zeiten Teile der Mecklenburger Schaalseelandschaft zum Landschaftsschutzgebiet erklärt wurden, und so blieb es dann auch nach der Wende, bis im Jahr 2000 die UNESCO ein Biosphärenreservat daraus machte. Das östliche Ufer blieb also, was es schon lange gewesen war: Ein einzigartiges, wunderschönes, extrem naturbelassenes Areal, das sich in keiner Weise für eine touristische Entwicklung im großen Stil eignete. Selbst als Individualreisender hat man es nicht überall leicht in dieser Gegend.

Ein bisschen traurig fand (und finde) ich die Vorstellung, dass die Menschen, die am Schaalsee lebten, jahrzehntelang nicht an ihren See durften. Lassahn lag, wie Zarrentin und einige andere kleine Ortschaften auch, im innerdeutschen Sperrgebiet, zum Teil im 500-Meter-Streifen, zum Teil in der 5-Kilometer-Zone. Einige Siedlungen wurden „geschliffen“, also einfach platt gemacht, in der gesamten Gegend wurden als „nicht zuverlässige“ Bürger weiter ins Landesinnere umgesiedelt. Die Menschen, die bleiben durften, waren ziemlich von der Umwelt abgeschnitten, das Sperrgebiet konnte nur mit Passierschein betreten und verlassen werden. Und der See war natürlich komplett abgesperrt von allem. Nur einige Schaalseefischer mit Ausnahmegenehmigung durften noch an und auf den See.

Lassahn hatte übrigens schon vor dem Mauerbau dramatische Veränderungen durchlebt. Wussten Sie, dass es – wie auch die Ortschaften nördlich und südlich – eigentlich zu Lauenburg, also zu Schleswig-Holstein, gehört hatte und erst einige Monate nach dem Ende des Krieges im Rahmen eines Grenzbegradigungs-Gebietstausches von der britischen Besatzungsmacht an die sowjetischen Besatzer abgegeben wurde? Ich wusste davon nichts und fand nur ganz zufällig einen Hinweis, als ich irgendwann ein Infoblättchen las, das ich in der Dorfkirche von Lassahn erhalten hatte. Hinter der Bezeichnung „Barber-Lyaschtschenko-Abkommen“ verbirgt sich eine sehr spannende Geschichte, auf die ich dann vielleicht schon im nächsten Blogpost zu sprechen komme.

1 Kommentar

  1. Liebe Bettina, mal wieder vielen Dank für den wunderschönen und interessanten Bericht. Wie viele Male wir schon auf dem Weg von Verden nach Güstrow an Zarrentin und dem Schaalsee vorbeigeflitzt sind, ohne Notiz davon zu nehmen. Dein Bericht lädt zum Anhalten ein. Als Ostmenschen ist uns vieles von dem, was Du erfahren hast, noch so bekannt und normal. Zum Glück kam die Wende für meinen Mann und mich zum
    richtigen Zeitpunkt. Gerade fertig mit dem Studium in Wismar und auf einmal war die Welt groß.
    Liebe Grüße Norma

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