Wie man liest, ist hierzulande seit Beginn der Pandemie die Tendenz, sich weniger zu bewegen und dafür mehr zu essen, unübersehbar geworden. Durchschnittlich um eine Kleidergröße hat sich unser Umfang vermehrt – und viele von uns wären froh, wenn es nur eine Kleidergröße wäre.
Die Gründe liegen auf der Hand: Wir sind weniger draußen, viele unserer sonst üblichen Sport- und Bewegungseinheiten sind nur eingeschränkt möglich oder entfallen gänzlich. Dafür haben wir mehr Zeit und Gelegenheit zum Essen. Wer von zu Hause aus arbeitet, hat es nicht weit zum Kühlschrank. Es sind keine Kollegen da, die das Essen klauen, und es kommentiert auch niemand die regelmäßigen Gänge in die Küche („um mal nach dem Rechten zu sehen“). Viele von uns gehen nur noch ein- oder zweimal in der Woche zum Einkaufen oder lassen sich Lebensmittel nach Hause liefern. Das bedeutet, dass – im krassen Gegensatz zu früher – fast immer etwas Essbares verfügbar ist. Möglicherweise muss es sogar zügig verzehrt werden, weil sonst das MHD abläuft oder Schimmelsporen sichtbar werden.
Mit den Kontakt- und Bewegungseinschränkungen nimmt auch die Anzahl der unmittelbar zur Verfügung stehenden Mittel und Mittelchen, unsere Laune zu stabilisieren/verbessern oder uns zu belohnen, stark ab. In vielen Fällen reduziert sie sich auf: 1 Snack. Das aber mehrmals am Tag, denn natürlich zehrt die Pandemie an unseren Nerven und zieht uns stimmungsmäßig runter. Und da müssen wir gegensteuern, auch aus solidarischen und gemeinschaftlichen Gründen.
Falls irgendwann der Tag kommen sollte – ich kann mir das allerdings schon fast gar nicht mehr vorstellen – an dem wir wieder täglich acht bis zehn Stunden in repräsentativen, modischen oder zumindest nicht Anstoß erregenden Outfits verbringen wollen oder müssen, dann werden viele von uns vermutlich bisher Unvorstellbares herausfinden: Dass man auch unter einem körpernah geschnittenen Blüschen oder einem Blazer durchaus eine Hose mit Gummizuganteil tragen kann. Und dass es auf die bloße Silhouette gar nicht ankommt, genauer gesagt: Dass diese durchaus auch ein sichtbares Bäuchlein verträgt, das vor der Pandemie nicht da war. Viele Klamotten gibt es auch einfach eine Nummer größer. Und?
Es geht uns ja nicht alleine so. Auch unsere Haustiere tragen dieses Jahr ihr Sommerfell eventuell eine Nummer größer. Sie haben – nach einer kurzen Phase der Umgewöhnung – festgestellt, dass es ziemlich praktisch ist, wenn ihre Menschen den ganzen Tag zu Hause verbringen. Sie haben schnell gelernt, in welchen Momenten sie nicht lange nach einer Zwischenmahlzeit fragen müssen, sondern diese bereits nach einem kurzen Auftritt mit Köpfchengeben, Schwanz ins Gesicht halten und Sachen vom Tisch schieben bekommen: Sobald die Menschen in diesem merkwürdig offiziellen Ton mit ihren Endgeräten sprechen und fremde Stimmen im Zimmer zu hören sind. Aber auch wenn sie schon seit längerer Zeit still vor sich hin arbeiten, nun aber unterschwellig unruhig werden, sich die Augen reiben, ihre Sitzposition verändern und leise Flüche ausstoßen (dies wird begleitet von Blutdruck- und Pulsanstieg). Und selbstverständlich auch dann, wenn die Menschen in die Küche gehen, um sich selbst ein Getränk oder eine Zwischenmahlzeit zu holen. Wenn sie dann schon einmal dort sind, die leeren Näpfe und eingefallenen Gesichter ihrer Haustiere bemerken, dann ist es für eine erfahrene Katze oder einen gewitzten Hund ein Leichtes, sich auch einen Snack zu erbetteln.
Schließlich ist es viel besser, in Gesellschaft zu essen, nicht wahr? Gemeinsame Glücksmomente und so.
Ohne unsere Haustiere wären wir während der Pandemie ja ohnehin aufgeschmissen. Sie sprechen uns jeden Tag Mut zu, sagen uns, dass wir noch immer wichtig und einzigartig sind, dass die Welt keinesfalls ohne uns auskommen kann. Sie teilen unsere schlechte Laune, unsere Trauer und unseren Hunger nach Dingen, die es nicht im Kühlschrank oder im Vorratsschrank gibt. Sie halten mit uns durch und aus. Es ist ihnen vollkommen wumpe, ob wir – oder sie – den Jeansknopf öffnen müssen, sobald wir uns hinsetzen. Wenn sie ihr Sommerfell dieses Jahr in XL brauchen statt in M, dann ist das eben so? Und? Sie leben im Hier und Jetzt. Sie machen das Beste aus jedem Tag. Sie lieben uns fast bedingungslos (solange wir sie regelmäßig füttern). Sie machen alles, wirklich alles so sehr viel besser. Pandemie hin oder her, sie sind da. Sie lächeln uns an, sabbern uns voll, niesen uns aufs Käsebrot, trinken aus unserem Wasserglas, schnurren ohrenbetäubend, schlafen mit uns im Bett und neben uns am Homofiss-Schreibtisch, beschweren sich selten und versichern uns immer wieder, dass alles gut ist. Und wieder besser wird. Ganz bestimmt. Völlig unabhängig von der Kleidergröße.