Noch ein Arztbesuch. Also, beinahe.

Irgendwas lief schief in meinem Leben. Kaum hatte ich mich von dem Arztbesuch mit meiner Mutter in der letzten Woche erholt, stand diese Woche schon der nächste Termin mit ihr an: beim Augenarzt.

Bitte erinnern Sie mich daran, nie wieder zwei Arzttermine mit meiner Mutter in einem so kurzen Zeitraum zu planen!

Auch den Augenarzttermin hatten wir – zwangsweise – lange im Voraus vereinbart; es ging um eine Zusatzuntersuchung, weil meine Mutter oft darüber klagt, Gegenstände doppelt zu sehen. Bei der Vereinbarung war mir schon klar, dass der Vorabend meinen Geburtstags nicht ideal war, weil ich da ja noch Kuchen für meine Kollegen backen musste, aber ich wollte meine Mutter nicht noch weitere vier Wochen bis zum nächsten freien Spätnachmittagstermin warten lassen. Und ich möchte eigentlich immer vermeiden, den ganzen Nachmittag frei zu nehmen, wenn es nicht unbedingt sein muss – so viele Plusstunden, wie ich bei diesen Aktionen immer verbrate, kann ich ja gar nicht ansammeln.

Kurz nach der Fixierung des Termins kam für den 26. März dann noch die Einladung zu unserem monatlichen Ehrenamtlichen-Austauschabend im Hospiz (was anderso wahrscheinlich Supervision hieße) und ich wusste, dass der Abend hektisch werden würde. Und vor allem würde ich doch den ganzen Nachmittag frei nehmen müssen, um den Kuchen vor dem Arzttermin zu backen. Dann könnte ich in Ruhe zu meiner Mutter und mit ihr zum Augenarzt fahren, um von da aus in Hektik meine Mutter zurück ins Heim und mich in Windeseile ins Hospiz zu schaffen.

Soweit der Plan.

Mit dem Kuchen klappte auch alles gut. Mein weltberühmter glutenfreier Schokokuchen besteht aus fünf simplen Zutaten und muss nur ganz kurz in den Ofen, weil er etwas matschig am allerbesten schmeckt. Nach seiner Fertigstellung hatte ich sogar noch Zeit, ein Käsebrötchen zu essen.

Als ich dann – zum Glück noch sehr entspannt und gut in der Zeit – ins Seniorenheim kam, wo meine Mutter verabredungsgemäß fertig angezogen in ihrem Zimmer auf mich warten sollte (sie hatte mich im Laufe des Vormittags viermal angerufen, um diese Verabredung zu bestätigen), wurde es dann langsam schwierig: Meine Mutter stand – nur teilweise bekleidet, unglücklich und verwirrt – in ihrem Zimmer und hatte keine Ahnung, was sie da wollte. Oder sollte. Oder musste. Offenbar hatte ihre Verdauung ihr einen Streich gespielt und die meisten ihrer Klamotten lagen verschmutzt im Badezimmer herum.

Ich überlegte kurz, ob ich ihr beim Waschen und Anziehen helfen sollte, verwarf diese Idee aber und klingelte nach der Pflege. Schließlich wollte ich vermeiden, dass wir schon vor dem Verlassen des Hauses in Streit gerieten. Zum Glück kam auch sofort eine kompetente Mitarbeiterin der Pflege, die meine widerstrebende Mutter freundlich aber bestimmt in einen halbwegs ausgehfertigen Zustand versetzte. Ich war einfach nur heilfroh, wie immer viel Pufferzeit eingeplant zu haben…

„Bist du sicher, dass du fit genug für den Termin beim Augenarzt bist?“ fragte ich meine Mutter. „Wenn es dir nicht gut geht, können wir ihn auch absagen.“

„Nein“, rief meine Mutter, „ich warte schon so lange auf diesen Termin! Da will ich unbedingt hin. Das wird schon gehen.“

Da sie dies sagte, während sie sich ein Schlafanzugoberteil als Schal um den Hals wickelte, war ich so mittelberuhigt.

Es regnete leicht, als der freundliche Taxifahrer meine Mutter, den Rollator mit dem Bernsteinzimmer und mich vor dem Gebäudekomplex, in dem der Augenarzt residierte, absetzte. Ich schob meine Mutter mit sanfter Gewalt in den Hauseingang und drückte den Rufknopf für den Aufzug.

Nichts geschah.

Ich drückte den Knopf noch einige Male.

Nichts.

Ich schaute auf die Tafel des Augenarztes, auf dem „3. Etage (barrierefrei und bequem mit dem Aufzug zu erreichen)“ stand, und auf die enge Wendeltreppe aus Stein, die neben uns nach oben führte.

Ich drückte den Aufzugrufknopf noch ein paarmal, nicht mehr ganz so zaghaft, und holte mein Telefon aus der Tasche, um in der Arztpraxis anzurufen.

„Oh“, sagte die Dame am Empfang, als ich unser Problem kurz schilderte, „richtig. Der Aufzug ist vor einer Stunde kaputtgegangen. Ich habe schon versucht, bei der Aufzugfirma herauszufinden, wann er repariert wird, aber noch ohne Erfolg.“

„Tja“, sagte ich, „dann wird das wohl heute nichts mit unserem Termin.“

Die freundliche Dame versuchte es noch einmal bei der Aufzugfirma, während meine Mutter und ich beim Bäcker nebenan warteten. Es regnete inzwischen in Strömen und nachdem klar war, dass wir vergebens warteten, dauerte es über zwanzig Minuten, bis wir ein Taxi bekamen. Manchmal ist es in der Hamburger Innenstadt schlimmer als auf dem platten Land, wirklich.

Am Heim gab ich meine Mutter und ihre Krankenversicherungskarte nur kurz – aber getrennt voneinander – am Empfang ab und fuhr dann mit demselben Taxi weiter zum Hospiz, wo ich es zwar nicht mehr pünktlich zum Beginn des Treffens schaffte, aber immerhin noch zur Anfangsmeditation, also direkt in die Mitte der Anfangsmeditation.

„Das ist nur Bettina“, sagte unsere Koordinatorin zur Gruppe, nachdem ich hereingeplatzt war, „ihr könnt die Augen geschlossen lassen.“

Ich sank erleichtert auf einen freien Stuhl und schloss ebenfalls die Augen. Uff. Das war ein herrlicher Nachmittag gewesen und die Aussicht, nun einen weiteren Augenarzttermin planen und durchziehen zu müssen, stimmte mich nicht gerade glücklich. Aber egal. Für heute hatte ich die schwierigen Sachen erledigt – ohne Schreikrampf und/oder Gewalt wohlgemerkt! – und zu Hause wartete ein fertiger Geburtstagskuchen für die Kollegen. Und morgen, an meinem Geburtstag, würde ich nur schöne Sachen machen. Alles andere hatte Zeit bis übermorgen. Mindestens. Uff.

5 Kommentare

  1. *seufz*

    Manchmal bin innerlich doch ein klein wenig froh, dass mir diese elterliche Fürsorge aus früh mortalen Gründen erspart geblieben ist.

    Tipp: diesen Kuchen, ich ahne ja welchen Du da backst, der schmeckt noch viel viel besser, wenn man ihn zwei Tage im voraus backt. (Weswegen ich ihn so besonders liebe, der ist fertig, wenn es bei solchen stressigen Events in die Endphase geht.)

    1. Du hast es schon mal geschafft, diesen Kuchen zwei Tage im Haus zu haben, ohne dass du nachts über ihn hergefallen wärest? Erstaunlich. Ganz erstaunlich.

      Ich schwanke ja im Moment oft zwischen den Extremen „Ich bin froh, dass ich meinen Eltern ein bisschen von dem zurückgeben kann, was sie alles für mich getan haben“ und „Muss ich mich in meinem hohen Alter wirklich noch so sehr schikanieren/manipulieren und exhaustieren (ist das ein Wort?) lassen?“…

  2. Guten Morgen liebe Bettina,

    die Art, in der Du die sicher nicht so einfachen Ereignisse mit und um Deine Mutter im Blog resümierst, machen es leichter zu glauben, ich schaff das, wenn es bei meiner Mama mal soweit sein sollte. Ich hoffe ganz stark, dass ich mir dann Deine Blogeinträge darüber ins Gedächtnis holen kann und vlt. sogar ein bisschen schmunzeln kann, wenn so ein Termin ansteht.

    Und ja, ich bewundere den Optimismus und die Willensstärke, in der Du es angehst gerade oder wegen des Ehresamtes, das Du auch übernommen hast. Hut ab.

    Viele Grüße Norma

    1. Liebe Norma,

      vielen Dank für deine ermutigenden und liebevollen Worte. First of all: Ich halte dir die Daumen, dass es bei deiner Mama nicht soweit kommt. Ansonsten: Ohne Humor wird alles noch viel schlimmer. Glaube ich. Optimismus und Willensstärke gehören bei uns Frauen doch sowieso zur Grundausstattung.

      Und mein Ehrenamt ist meins, ganz allein meins, und wird gegen Mutter und Job verteidigt. Das tut mir sehr gut.

      Danke und viele Grüße
      Bettina

  3. Liebe Bettina,
    wie du weißt, habe ich das auch alles genauso mit meiner Mutter gemacht und kann daher lebhaft mitfühlen. Heute im Rückblick denke ich, ich hätte gelegentlich nicht an meinen Plänen festhalten sollen, wenn nichts klappt wir vereinbart. Ich habe in ähnlichen Situationen aus meinem Stress heraus meiner Mutter Stress gemacht und das sind eigentlich die einzigen Situationen, die mir im Nachhinein leid tun. In ihren letzten Lebensmonaten konnte ich endlich öfter mal fünf grade sein lassen und nehme seitdem generell vieles nicht mehr so wichtig. Das meiste, wofür ich mich abrackere, interessiert in hundert Jahren niemanden mehr…ach was, in 30. Der Gedanke hilft mir ungemein, öfter das zu wählen, was mir Freude macht und weniger oft die olle Pflicht.
    Dass du dein Ehrenamt gegen alles verteidigst, ist großartig! Ich lese auch immer sehr gerne deine Berichte. Unter anderem wegen deines Humors 🙂

    Liebe Grüße aus Berlin von
    Katharina

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