So ein Feiertag am Donnerstag ist ja eine gute Sache, bietet sie doch vielen Arbeitnehmenden die Möglichkeit, mit einem Brückentag am Freitag das Wochenende auf ein viertägiges langes Wochenende zu verlängern. Als ich noch in der Staatsoper arbeitete, machte mich das immer etwas sauer, weil sich mir die Möglichkeit nur in ganz seltenen Fällen präsentierte. Im Allgemeinen führte meine Brücke an dem Freitag zwischen Feiertag und Wochenende ins Büro und ich konnte von Glück sagen, wenn nicht auch noch Wochenendbereitschafts- und/oder einen Vorstellungsdienst hatte.
Jetzt, im Hospiz, gehöre ich zu den wenigen Mitarbeitenden, die nicht – wie zum Beispiel die Bereiche Pflege, Hauswirtschaft und Psychosoziale Begleitung – regelmäßig an Wochenenden und Feiertagen arbeiten. Hurra. Nur gelegentlich, wenn öffentliche Veranstaltungen wie z. B. ein Tag der offenen Tür am Wochenende stattfinden, muss ich auch ran. So auch dieses Wochenende. Das Hospiz am Deich öffnet am Sonntag seine Türen am Nachmittag zwischen 14 und 17 Uhr für alle Interessierten, die schon immer mal gucken wollten, wie das rotgeklinkerte ehemalige Schulhaus an der Reitbrooker Mühlenbrücke eigentlich von innen aussieht. Da bin ich natürlich dabei, so wie viele andere haupt- und ehrenamtliche Kolleg*innen auch. Im Allgemeinen finden die Besucher*innen, die an einer Führung durch das Hospiz teilnehmen, immer alles sehr schön, atmosphärisch und sympathisch – da macht die Interaktion natürlich Spaß.
Unser Tag der offenen Tür findet zweimal im Jahr statt, praktischerweise im Rahmen des Querbeet-Wochenendes, bei dem zahlreiche Höfe und Betriebe in den Vier- und Marschlanden Einblicke in ihre Tätigkeiten bieten und die Besucher*innen so eine Art Hoffest-Hopping betreiben können.
Dieses Jahr findet das Frühjahrs-Querbeet-Wochenende gleichzeitig mit den Gedenkfeierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Befreiung Hamburgs durch die Alliierten statt. Das ist insofern interessant und in meinen Augen relevant, weil Neuengamme – außerhalb Hamburgs vor allem bekannt wegen des gleichnamigen Konzentrationslagers – in den Vier- und Marschlanden liegt. Auf dem Areal des ehemaligen Konzentrationslagers, das erst ziemlich lange nach dem Ende des Krieges zur Gedenkstätte werden durfte, weil die Stadt dort vorher noch „normale“ Gefängnisse unterhielt, fand dann auch gestern, am 3. Mai 2025, die Hamburger Gedenkveranstaltung statt.
Gut zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass das KZ Neuengamme nicht wirklich von den Alliierten befreit worden ist. Schon Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation und Übergabe der Stadt an die Briten am 3. Mai 1945 hatten die Nazis damit begonnen, das KZ Neuengamme und die zahlreichen dazugehörigen Außenlager in ganz Norddeutschland zu räumen. Evakuieren wäre hier nicht der richtige Begriff, denn die Häftlinge und Zwangsarbeiter wurden zum Teil per Eisenbahn irgendwo ins Abseits gefahren, noch schnell hingerichtet, auf Todesmärsche gezwungen oder in vier Schiffen auf die Ostsee geschickt. Drei dieser Schiffe, darunter das ehemalige Luxus-Passagierschiff „Cap Arcona“ wurden dann versehentlich von den Briten bombardiert und versenkt – in dem Glauben, auf den Schiffen befänden sich SS-Offiziere und -Soldaten auf der Flucht nach Norwegen.
Die letzten etwa 700 Häftlinge im Stammlager Neuengamme mussten die Spuren der NS-Verbrechen, also Galgen etc. und auch alle Akten beseitigen, noch mal eben putzen und die Wände neu tünchen – es sollte ja kein Blut zu sehen sein! – bevor sie auf einen „Evakuierungsmarsch“ in Richtung Flensburg geschickt wurden. Tatsächlich fanden die zur Befreiung der Häftlinge bereiten Alliierten am 4. Mai 1945 weder Häftlinge noch Spuren noch Akten vor.
Von den insgesamt ca. 100.000 Häftlingen, die bis zum Ende des Krieges in Neuengamme inhaftiert und zum großen Teil als Arbeitssklaven missbraucht wurden, hat nur etwa die Hälfte überlebt.
Es lohnt sich, sich mit der Geschichte des Konzentrationslagers Neuengamme zu beschäftigen. Die Frage, wer alles von der erzwungenen Arbeitskraft der Inhaftierten profitiert hat, berührt noch heute viele wunde Punkte zahlreicher großer und kleiner Unternehmen in Hamburg und rundherum, die nach wie vor geschichtsklitternd damit befasst sind, die Geschichte ihrer Familien, ihrer Unternehmen und ihrer Vermögen unbefleckt und ehrenhaft darzustellen, am besten in der Rückschau gar im Widerstand anzusiedeln.
Ebenfalls spannend und nicht sehr rühmlich ist die Rolle, die die Stadt Hamburg in der Zeit von 1948 bis zur ziemlich verspäteten Eröffnung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme im Jahr 2025 gespielt hat.
Soweit ich weiß, ist die Gedenkstätte kein Teil der Querbeet-Community, das würde wohl auch der Thematik nicht gerecht. Nichtsdestotrotz hat sie sonntags und somit auch heute von 10 bis 19 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Ein Besuch lässt dort ließe sich durchaus mit Kaffee und Kuchen im Hospizgarten in Allermöhe kombinieren (oder den anderen Stationen des Querbeets).
PS: Das Hospiz am Deich wurde schon lange vor dem Krieg erbaut, nämlich im Jahr 1902. Unsere schönen roten Klinkersteine sind also, und das beruhigt mich sehr, nicht von KZ-Häftlingen geformt, gebrannt oder geschleppt worden.
Liebe Bettina, ich lese deinen Blog jeden Sonntag mit großer Freude. Ich mag einfach deine Art zu schreiben. Ich mag deinen Ton. Heute aber hat mich dein Beitrag besonders berührt. Danke, dass du das Thema des KZ Neuengamme aufgreifst. Ich bin in der Nähe von Berlin groß geworden, es gibt dort das KZ Sachsenhausen bei Oranienburg, mit dem ich schon früh, eigentlich zu früh, in Berührung gekommen bin. Ich werde nie verstehen, dass es Menschen Menschen dies antun. Es ist wichtig darüber zu sprechen.