Schlafen. Man kann es oder man kann es nicht.

Ich kann nicht schlafen. Nicht einschlafen, nicht weiterschlafen, nicht durchschlafen. Und das eigentlich schon mein ganzes Leben lang. Ich. Kann. Nicht. Schlafen.

Ich war das Kind, das schon vor der Einschulung ein Schlafmittel verschrieben bekam. Ein Schlafmittel, das leicht und bekömmlich war. Ein Schlafmittel, das nicht half. Jahrelang steckten meine Eltern mich zu altersangemessener Zeit ins Bett. Jahrelang lag ich wach im Dunkeln oder mit der Taschenlampe und einem spannenden Buch unter der Bettdecke  und ärgerte mich über die Anmaßung meiner Eltern, mich zum Schlafen zwingen zu wollen, obwohl ich doch gar nicht müde war.

Meine Probleme fingen erst morgens mit dem Aufstehen an. Das konnte ich nämlich schon damals nicht. Die Müdigkeit, die mir abends fehlte, hatte über Nacht noch ihre Verwandten eingeladen oder sich selbst geklont – schon als Schulkind war ich beim Weckerklingeln grundsätzlich trunken vor Müdigkeit und nur unter Androhung schlimmster Strafen im letztmöglichen Moment bereit, das Bett zu verlassen.

Daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert, vielleicht mit Ausnahme der traurigen Tatsache, dass ich mir die schlimmsten Strafen mittlerweile selbst androhen muss. Aber aufstehen kann ich noch immer nicht, je früher, desto schlimmer.

Die Theorie, dass ich am Theater landen musste, weil da nur in Ausnahmefällen von mir verlangt wird, sehr früh aufzustehen, ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Und glauben Sie bitte nicht, dass es mir leicht fiele, um halb zehn pünktlich im Büro zu sein. Natürlich nicht. Es ist schwierig, sehr schwierig. Aber eben nicht vollkommen ausgeschlossen wie so unrealistische Zeiten wie z. B. halb acht. Halb acht. Gibt es wirklich Menschen, die um halb acht mit der Arbeit beginnen? Wann stehen die dann auf? Um sechs? Da habe ich gefühlt meine zweite Tiefschlafphase! Und dann klingelt um halb acht der Wecker. Mein Wecker ist die von mir meistgehasste Person auf dieser Welt und das Weckerklingeln für mich quasi das Geräusch des beginnenden Weltuntergangs.

Falls ich beim Weckerklingeln aus irgendeinem Grund nicht aufstehe (oder wenn ich nach dem Füttern der Katzen wieder ins Bett falle), kann ich übrigens ganz hervorragend schlafen. Ebenso nachmittags. Nach kaum zwei Stunden Entspannungsübungen kommt ein kleines Nickerchen fast von alleine über mich. Somit wäre ich eigentlich prädestiniert für Powernapping – nur dass mir leider die Power fehlt, um nach zwanzig Minuten von alleine wach zu werden und frisch und fröhlich dem Rest des Tages ins blutunterlaufene Auge zu blicken.

Richtige Schlafmittel nehme ich nicht. Da Medikamente bei mir selten so funktionieren, wie sie sollen, und im Allgemeinen mehr Nebenwirkungen als erwünschte Wirkungen zeigen, bin ich in dieser Hinsicht nicht sonderlich experimentierfreudig. Pflanzliche Mittel zeigen eher gar keine Wirkung. Bis auf Baldriantropfen. Die beruhigen mich tatsächlich ein bisschen, haben aber die etwas unpraktische Nebenwirkung, dass sie im Haushalt ansässige Katzen wie besoffene Punks randalieren lassen. Und die bei mir eingetretene Beruhigung verfliegt schnell, wenn auf meiner Brust eine Katze mit riesigen leuchtenden Augen und schweren Halluzinationen sitzt, die meinen Atem trinken möchte.

In meiner Jugend habe ich mal einen Kurs in Autogenem Training gemacht. Wenn ich mir heute leise zuflüstere: „Meine Arme und Beine sind schwer!“, dann flüstert immer eine Stimme zurück: „Erzähl mir was, was ich noch nicht weiß!“. Und dann streiten sich wieder die Stimmen in meinem Kopf und ich muss was essen. Und was trinken. Und Pipi machen. Mir Socken anziehen und die Heizung höher stellen. Oder die Socken ausziehen und das Fenster öffnen. Das Kopfkissen aufschütteln und die Decke drehen. Noch mal auf die Uhr schauen und sehen, dass in sechs Stunden und vierunddreißig Minuten der Wecker klingelt. Die Stimmen im Kopf anschreien, dass sie endlich ruhig sein sollen, hier gebe es Menschen, die morgen zur Arbeit müssen!

Wenn ich dann endlich einschlafe, kann es passieren, dass ich ein paar Minuten später von einem grässlichen Geräusch geweckt werde. Dieses Geräusch, so hat sich herausgestellt, kommt im Allgemeinen aus meinem Rachen, in dem irgendein Kleinmöbel oder ein Zäpfchen im Luftstrom hängt und lautstark flattert. Oder ich habe im Schlaf versehentlich eine Katze verschluckt, die jetzt um Hilfe ruft.

Um mich langsam wieder abzuregen, nehme ich dann meistens das Smartphone zur Hand und verspiele alle meine Leben bei Candy Crush – viele schwere Level habe ich spät in der Nacht geknackt. Wenn das auch nicht hilft, gehe ich in der Wohnung auf und ab, sehe aus dem Fenster (Oh nein, gegenüber stehen sie schon wieder auf!), trinke was, mache Pipi, suche die Socken, die ich im Schlaf (welchem Schlaf?) ausgezogen habe und überlege, worüber ich als nächstes bloggen möchte.

Die Katzen ignorieren meine nächtlichen Aktivitäten normalerweise. Sie bleiben stur liegen, im Bett, im Schrank oder auf dem Sofa und bestehen darauf, ihren Schönheitsschlaf ohne Unterbrechung fortsetzen zu dürfen. Erst ungefähr eine halbe Stunde vorm Klingeln meines Weckers stehen sie auf, machen erste gymnastische Übungen und führen stichprobenartige Untersuchungen bei mir durch, mit denen sie gerne beweisen würden, dass ich sie genauso gut jetzt füttern könnte wie nach dem Weckerklingeln. In dieser halben Stunde muss ich also bewegungslos im Bett liegen und ruhig atmen, egal, ob ich nun schlafe oder nicht.

Meistens beruhigt mich diese Zwangspause so weit, dass ich nach dem Füttern der Katzen tatsächlich schlafen kann. Könnte. Denn nun kann ich ja nicht mehr schlafen, weil ich ja aufstehen muss. Und wenn ich dann erstmal aufgestanden bin und mich ins Büro geschleppt habe, kann ich auch nicht mehr schlafen. Weil ich dann immer vom Stuhl falle und Lärm mache. Das provoziert nur peinliche Fragen der Kollegen, habe ich festgestellt. Im Theater, also während eine Vorstellung läuft, kann ich auch nicht schlafen. Zwar ist es angenehm dunkel, aber die Musik ist meistens zu laut und außerdem ist es mir immer peinlich, wenn ich auf der Schulter meines Sitznachbarn einen Sabberfaden hinterlasse. Und cool genug, um in der Oper eine Schnarchschiene zu tragen, bin ich auch nicht.

Ich kann nicht schlafen. Wenn ich soll, kann ich nicht. Wenn ich will, soll ich nicht. Wenn ich darf, will ich nicht. Seit Jahrzehnten. Mein akkumuliertes Schlafdefizit dürfte insgesamt ungefähr zehn Jahre bzw. etwa achtzigtausend Stunden betragen. Lässt sich das irgendwie kommerziell verwerten? Oder müsste ich einfach ausgeschlafener sein, um mir darüber mal ernsthaft Gedanken zu machen? Lassen Sie uns morgen darüber reden, okay? Wenn wir frisch und munter sind. Für heute Gute Nacht.

4 Kommentare

  1. Verehrte Frau Wal,
    warum schreiben Sie einfach einen Artikel aus meinem Kopf ab? Ich bin da sowas von bei Ihnen.
    Zeit meines Lebens zum Frühaufstehen gezwungen, hatte ich immer heiße Sehnsucht nach einem Nachtwächterjob. Meine Arbeit begann um 9 Uhr. Vor 11 Uhr wagte keine Kollegin mich anzusprechen. Alle komplexen Aufgaben die Denken erforderten, wurden erst dann erledigt.
    Ja, es gibt ihn, den berühmten Biorhythmus. Man kann den auch errechnen. In Japan haben die Taxifahrer angeblich Fähnchen an ihren Autos, wenn der Biorhythmus im Keller ist. Wer trotzdem mitfährt, kann sich zumindest auf sein eventuelles Ableben einstellen.
    Ab 23 Uhr kann ich Ihnen aber locker die Steuererklärung machen, bügeln, Atome spalten oder eine Rede an die Nation verfassen.
    Es gibt halt die Lerchen und die Eulen.

    Ein freundliches Schuuuuhuuuuu und tapfer bleiben!

    1. Vielen Dank. Es ist ja gleich 23 Uhr – ist die Rede an die Nation fertig? Welchen Sender soll ich einschalten?
      Das mit den Fähnchen klingt gut. Kann ich mir so eins an die Bürotür nageln, so von sagen wir mal halb zehn bis sechs?

  2. Danke das war spaßig zu lesen 😀 auch wenn das ganze für sie nicht so spaßig ist. Ich hab nicht mal einen Tipp wie „schlafen“ in ihrem Fall besser geht :/ ich kann es, einfach so, mal besser, mal schlechter, einfach so 🙂

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